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‚Kontext‘: abgeleitet von lateinisch ‚contextus‘ = enge Verknüpfung, Zusammenhang (Foto: ESV)
Auszug aus: Kontextualität. Eine Einführung

Für literarische Texte gilt: ohne Kontext keine Bedeutung

ESV-Redaktion Philologie
25.11.2016
‚Kontext‘ als Name für Verbindungen spielt in unserer zunehmend vernetzten, globalisierten Welt eine entscheidende und im öffentlichen Bewusstsein entsprechend präsente Rolle. Auch in der Literaturwissenschaft wird der zu bearbeitende ‚Textraum‘ konsequent erweitert.
Dabei zeigt sich, wie komplex die Kontexte beschaffen sind: Sie reichen von Beziehungen innerhalb des Textes selbst über die Interart-Relationen bis hin zum Verhältnis zwischen der Literatur und den konkreten historischen Bedingungen ihrer jeweiligen Zeit.

Kontextualität: Literarische Texte im Kontext lesen


Im Folgenden können Sie einen exklusiven Vorabauszug aus dem bald im Erich Schmidt Verlag erscheinenden Buch Kontextualität von Angelika Corbineau-Hoffmann lesen. Es ist ein kleiner Vorgeschmack auf ein Buch, dessen Grundthese lautet, dass literarische Texte, ebenso wie Phänomene, Fragestellungen und Probleme des alltäglichen Lebens, immer im Kontext zu betrachten seien. Für die Literaturwissenschaft ist diese Überzeugung von besonderem Gewicht, weil literarische Texte ihre Bedeutungen in entscheidender Weise durch Kontexte und Kontextualisierungen gewinnen. 

„[...] Die Arbeit des Lesers am Text erschöpft sich nicht im passiven Mit- und Nachvollzug dessen, was dieser in seinem Verlauf an Aussagen entfaltet; ihnen zu folgen ist zwar Voraussetzung für das Textverstehen, aber noch nicht dessen Ziel. Aus kontexturaler Sicht ist der Leser eines literarischen Textes weniger der Betrachter eines bereits bestehenden Gebäudes als vielmehr jener Baumeister, der aus bereits gelieferten Materialien das Gebäude überhaupt erst errichtet.

Den linear geordneten Ablauf (‚cursus‘) des Diskurses erweitert der Leser durch das flächige ‚Gewebe‘ (‚contextus‘) des Textes, das durch innere kontextuelle Verbindungen den diskursiven Verlauf durchkreuzt. Kann man darüber streiten, ob dieses ‚Text‘-Gebilde noch flächig oder nicht viel­mehr schon räumlich ist, so stellt sich Räumlichkeit spätestens dann her, wenn die Kontexte über den Text hinausgehen, aus anderen, von ihm evozierten oder ihm angelagerten Bereichen stammen. Derartige transliterarische Kon­texte bilden, vom Leser zusammengetragen, sortiert und mit dem Ausgangs­text verbunden, eine räumliche Konstruktion, deren Ort jene mentalen Zonen bilden, die je nachdem als Imagination, Phantasie, Gedächtnis oder Erinne­rung bezeichnet werden können. Die Fähigkeiten des Lesers sind gefordert, wenn im Sinne der Kontextualität von Texten das Textverstehen näher be­stimmt werden soll.

Textverstehen verbindet


Mit dem Begriff ‚Textverstehen‘ ist das Stichwort gefallen, an dem sich die folgenden Überlegungen abarbeiten müssen und das sowohl Text und Kontext als auch Text und Leser verbindet. Wenn Kontexte als Relevanzfiguren für die Sinnsetzung von Texten auftreten, muss der Text-Kontext-Beziehung ein entscheidender Stellenwert für das Verstehen von Texten zukommen. Indem der Leser einem gegebenen Text Kontexte anlagert, vollzieht er einen Verste­hens- und Interpretationsakt.

Seine Funktion besteht darin, aus der Fülle möglicher Kontexte diejenigen herauszufiltern, die für den Sinn des Textes von Bedeutung sind. Damit wird er zum souveränen Herrscher über jenen kontexturalen Raum, in dem Texte und Textpassagen ebenso be­reitstehen wie situative Kontexte oder auch das eigene vorgängige Wissen.

Der Leser verfügt über das Reservoir der Kontexte, indem er ihm all jenes Material entnimmt, dem er Relevanz für die Interpretation des jeweils gege­benen Textes zuerkennt. Der Leser ist damit nicht mehr, Leerstellen ausfül­lend und Kommentare deutend, der Erfüllungsgehilfe des Autors oder Erzäh­lers (oder auch der Ergebnisse der Literaturwissenschaft), sondern akti­ver Partner des Textes. Pointiert ließe sich sagen, dass der Leser, indem er Kon­texte als Bausteine für ein Textgebäude verwendet, dem Text al­le­rerst Be­deutung verleiht. Wenn im Folgenden das Geschick des Lesers im Fokus der Erörterungen stehen wird, sind die Positionen der Re­zep­tions­ästhe­tik die erste und entscheidende Anlaufstelle. [...]“


Zur Autorin
Angelika Corbineau-Hoffmann, die Romanistik, Germanistik, Philosophie, Pädagogik und Vergleichende Literaturwissenschaft an den Universitäten Bochum und Tours/Frankreich studierte, ist emeritierte Professorin für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Sie arbeitet seit langer Zeit in Forschung und Lehre zu Fragen literarischer Kontextualität. Sie ist die Autorin der ebenfalls im Erich Schmidt Verlag erschienenen Einführung in die Komparatistik, die bereits in 3. Auflage vorliegt.

Zum Buch
Der Band Kontextualität. Einführung in eine literaturwissenschaftliche Basiskategorie wird bald im Erich Schmidt Verlag erscheinen. Sie können ihn bequem hier vorbestellen.

(ESV/vh)

Programmbereich: Germanistik und Komparatistik