
„Geglückte Binnendifferenzierung wird immer wichtiger“
Liebe Frau Hensch, liebe Frau Buck, was genau ist Binnendifferenzierung?
Katharina Buck/Jana Hensch: Etwas sehr viel Spannenderes, als wir uns hätten träumen lassen! Denn obwohl das pädagogische Konzept der Binnendifferenzierung unter diesem Namen seit mindestens einem halben Jahrhundert diskutiert wird und inzwischen Bestandteil in der Ausbildung von Lehrkräften weltweit ist, so ist es doch noch lange nicht abschließend behandelt. Schon allein deshalb, weil Binnendifferenzierung ein Sammelbegriff für eine ganze Fülle von Maßnahmen ist, gibt es noch zahlreiche Aspekte zu beleuchten! Aber um die Frage zu beantworten, Binnendifferenzierung meint pauschal alle Methoden, die es ermöglichen, mit den Unterschieden von Lernenden in einer Gruppe konstruktiv umzugehen. Und weil wir beobachten, dass Lerngruppen heutzutage in vielerlei Hinsicht heterogener werden, wird auch geglückte Binnendifferenzierung immer wichtiger.
Gibt es regionale Unterschiede, wie mit Binnendifferenzierung umgegangen wird?
Katharina Buck/Jana Hensch: Die gibt es – und sie lassen sich gleichzeitig oft auf unterschiedliche bildungspolitische und andere Rahmenbedingungen zurückführen. Unser Heft bietet z. B. eine Perspektive aus China. Demnach könnten der bildungskulturelle Hintergrund sowie der traditionelle Lernstil in einer Lernbiografie eine weit weniger bedeutende Rolle spielen als oft angenommen. Vielmehr können sich Lernkultur und Lernverhalten unter veränderten institutionellen Rahmenbedingungen anpassen. Genauso wie unter veränderten sozioökonomischen Umständen und in Bezug auf Fragen der politischen Freiheit.
Wie gehen Lehrwerke mit dem Thema um?
Katharina Buck/Jana Hensch: Lehrwerke müssen vielfältigen Anforderungen gerecht werden. Konzipiert werden sie als kurstragende Medien, die niveau- und gruppenorientiert ausgerichtet sind. Sie können daher unmöglich auf individuelle Lernanforderungen eingehen, die im Laufe des Lernweges entstehen. Die Fremdspracherwerbsforschung gibt den Verlagen und Autor*innen jedoch Erkenntnisse an die Hand, um Thesen über herausfordernde Themen und mögliche Lernhürden aufzustellen. Viele Lehrwerkanbieter setzen daher als Lernunterstützung Instrumente der Binnendifferenzierung ein, indem sie zusätzliche Aufgaben anbieten, den Schwierigkeitsgrad variieren, Selbstlernmaterialien sowie weiterführende Online-Angebote zur Verfügung stellen.
Welche (neuen) Erkenntnisse haben Sie durch die Arbeit am Heft erlangt?
Katharina Buck/Jana Hensch: Viele! Unsere drei vielleicht wichtigsten:
Erstens: Die Arbeit an diesem Heft hat unsere eigenen Schwerpunktsetzungen in Unterrichtshospitationen beeinflusst. Uns ist deutlicher geworden, wie sehr Binnendifferenzierung zum bewussten Lernen aller Beteiligten beiträgt und damit einen wichtigen Motivationsfaktor darstellt und gute Lernerfolge begünstigt. Für weitere Ausführungen empfehlen wir den Beitrag aus Lettland in unserem Heft.
Zweitens: Heterogenität von Lerngruppen ist ein Gewinn. Heterogenität ist mehr als nur der Ausgangspunkt, der Binnendifferenzierung notwendig macht. Sondern sie darf konsequent zu Ende gedacht auch positiv formuliertes Ziel der Differenzierung sein.
Und drittens: Wie unglaublich wichtig die institutionelle und kollegiale Unterstützung der Lehrkräfte ist. Schon während der Einarbeitung in das Thema stand für uns fest, dass Binnendifferenzierung als hohe Erwartung in Bezug auf Kompetenz, Kreativität, Empathie und Flexibilität an die Lehrkräfte herangetragen wird. Es darf aber dabei die institutionelle Verantwortung nicht vernachlässigt werden. Bildungsentscheider*innen sind aufgefordert, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen. Dazu zählen unter anderem die Gestaltung der Kursräume, Fortbildungsangebote, Anpassungen der Gruppengröße oder auch technische Ausstattungen. Die Verantwortung für geglückte Binnendifferenzierung in Lerngruppen liegt also auf vielen Schultern – und auch auf solchen, die noch stärker sind als die der Lehrkräfte!
Was ist Ihr ganz persönlicher Tipp für guten Unterricht?
Katharina Buck/Jana Hensch: Für uns ist die Rolle der Lehrkraft der Schlüssel. Sie ist wie eine angenehme „zweite Haut“, die Persönlichkeit und Kompetenz ausstrahlt. Fühlt man sich in dieser zweiten Haut wohl, ebnet sich der Weg in die Herzen der Lernenden. Eine Lehrkraft darf aber auch lernend sein: Eine Lehrkraft, die ausprobiert, evaluiert, den Kurs korrigiert und ihre Lernenden auf diesem Weg mitnimmt, ist authentisch und wird Freude an der Arbeit empfinden. Kleine Schritte und langsames Herantasten an Herausforderungen sind vollkommen in Ordnung. Wichtig ist nur, Neues überhaupt zu wagen.
Vielen Dank, liebe Frau Buck und liebe Frau Hensch, für diesen Einblick in die Binnendifferenzierung!
Möchten Sie, liebe Leserinnen und Leser, mehr zur Methode der Binnendifferenzierung erfahren? Das aktuelle Heft der Zeitschrift „Fremdsprache Deutsch“ können Sie hier oder in jedem Buchhandel erwerben. Alle Hefte der Zeitschrift finden Sie auch online.
Die Heftherausgeberinnen |
Katharina Buck leitet die Spracharbeit des Goethe-Instituts Ukraine und ist damit verantwortlich für die Bildungsarbeit des Goethe-Instituts im Land mit den fünftmeisten Deutschlerner*innen weltweit. Sie studierte Deutsche Sprache und Literatur, Politikwissenschaft und Internationale Sicherheit und wurde mit einer Arbeit zu Nationalstaatsbildung, Sprachenpolitik und „ethnischen“ Konflikten in Zentralasien und Osteuropa an der University of Bristol promoviert. Berufliche Stationen führten sie bislang neben der Ukraine, Großbritannien und Deutschland unter anderem nach Belgien, Kasachstan, Moldau und Schweden. Jana Hensch ist Expertin für Unterricht am Goethe-Institut Budapest und betreut „PASCH“-Schulen mit vertieftem Deutschunterricht in Ungarn und Zentral-/Osteuropa. Ihr beruflicher Werdegang ist gekennzeichnet durch die stete Verzahnung von eigener Unterrichtspraxis sowie der Lehre bzw. Aus- und Weiterbildung von DaF-Lehrkräften. Bisherige Stationen umfassten u. a. die Philipps-Universität Marburg, die Friedrich-Schiller-Universität Jena, die Technische und Wirtschaftswissenschaftliche Universität Budapest sowie die Technische Universität Braunschweig. Sie ist Autorin für die telc gGmbh. |
Programmbereich: Deutsch als Fremdsprache