
Governance in der vernetzten Wirtschaft
Interessant ist auch das Bild der Impfung. In Anlehnung an den Soziologen Luhmann. Luhmann bezeichnet Steuerung eines Systems als Impfung, das zukünftige Krankheiten in ihrer Wahrscheinlichkeit mindert. Genauso ist Governance zu verstehen. Governance schützt das System Unternehmung vor den potenziell negativen Folgen von Umwelteinflüssen. Der Autorin ist auch darin zuzustimmen, dass die sogenannten agilen Methoden mit ihrer Flexibilität und Hierarchien überwindenden Vorgehensweise gut klingen, praktisch aber oft scheitern, zum Beispiel durch mangelnde Veränderungsbereitschaft von Mitarbeitern.
Im zweiten Kapitel widmet sich die Autorin, nach dem in Kapitel 1 der managementorientierte Ansatz dargestellt wurde, der ökonomischen Perspektive. Schwarz greift hier insbesondere verhaltensökonomische Fragen auf und zitiert die Arbeiten des Psychologen und Ökonomienobelpreisträgers Kahneman. Immer wieder werden wichtige Ansatzpunkte aus der ökonomischen Theorie und ihrer Nachbardisziplinen zitiert. So wird thematisiert, dass es in Organisationen zu Shifting Baselines kommen kann, das heißt in Organisationen passen sich die Moralvorstellungen nach und nach den Umständen an. Zu Recht mahnt die Autorin, dass dies nicht als Entschuldigung insbesondere für Führungskräfte herhalten kann. Diese können die Organisationskultur besser als andere verändern und tragen damit eine höhere Verantwortung für hohe moralische Standards.
Kapitel 3 befasst sich mit den gesellschaftlichen Perspektiven. Hier wird wieder das Bild von der Impfung vorgestellt. Governance aus Sicht der Gesellschaft ist indirekt möglich. Man kann die Rahmenbedingungen beeinflussen und damit das Verhalten der Unternehmen im Sinne Luhmanns „impfen“. Digitalisierung ist der wichtigste Treiber von gesellschaftlichen Entwicklungen. Dabei muss im Rahmen der Governance entschieden werden, welche Entscheidungen von künstlicher Intelligenz getroffen werden sollen und welche echte Menschen treffen. Algorithmen werden aber auch von Menschen gemacht. Von daher ist es auch wichtig, wie diese gestaltet werden und wie die Maßstäbe vorgegeben werden, die von Algorithmen beachtet werden sollen.
Kapitel 4 stellt die multiperspektivischen Aspekte der Governance vor und bringt damit die einzelnen Aspekte der Vorkapitel zusammen. Die einzelnen Aspekte, die in den Vorkapiteln ausführlich diskutiert worden sind, werden hier eingeordnet und in konkretere Ratschläge für ein praktisches Management übersetzt.
In Kapitel 5 zeigt die Autorin Ansätze für einen Risikocheck. Wie kann man zu Erkenntnissen kommen, die zeigen, wo die Risiken in der Welt sind, die volatil, unsicher, komplex und zweifelhaft sind.
Insgesamt ein gelungenes Buch, dass dem Leser viele wichtige und innovative Anregungen aus vielen wissenschaftlichen Disziplinen nahebringt. Damit es allerdings nicht zu Enttäuschungen kommt: Es ist kein Buch, das direkt praktischen Rat für Aufsichtsräte bietet. Mit diesem Wissen als Hintergrund können die Zielgruppen des Buches jedoch trotzdem neue Impulse setzen, die ihrem Unternehmen helfen werden.
Prof. Dr. Stefan Behringer, NORDAKADEMIE Elmshorn und Hamburg
Quelle: ZRFC Risk, Fraud & Compliance Heft 3/2019
Programmbereich: Management und Wirtschaft