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Die erwartete Insolvenzwelle wird langfristig nicht zu verhindern sein. (Foto: godesignz/stock.adobe.com)
Corona-Pandemie und die Folgen

Insolvenzrecht: Kontroverse um bedingte Aussetzung der Antragspflicht

Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern / ESV-Redaktion Management und Wirtschaft
17.08.2020
Weltweit angelegte Analysen der zu erwartenden Insolvenzen kündigen Negativrekorde an. Der VID fordert hingegen gesetzgeberische Maßnahmen wegen drastisch gesunkener Insolvenzzahlen in Deutschland. Ein Widerspruch?

Kreditversicherer Euler Hermes hatte Mitte Juli 2020 vor einem weltweit drastischen Anstieg der Insolvenzen gewarnt. Nun aber schlägt der Berufsverband der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) in ganz anderer Hinsicht Alarm: „Drastischer Rückgang bei den Unternehmensinsolvenzen von 29,1 Prozent. BMJV muss diese Fehlentwicklung dringend korrigieren.“

Rückgang eröffneter Insolvenzverfahren trotz Wirtschaftskrise

Grundlage der VID-Warnung ist eine Mitteilung des Statistischen Bundesamts, wonach im Juli 2020 nach vorläufigen Zahlen knapp 29 Prozent weniger Regelinsolvenzverfahren eröffnet wurden als im Vorjahreszeitraum. Im Mai 2020 lag der Rückgang im Jahresvergleich bei 10 Prozent. Hintergrund: Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nutzen offenbar auch Unternehmen, die nicht pandemiebedingt in eine wirtschaftliche Schieflage geraten sind. Darin sieht der VID eine Fehlentwicklung, die dringend zu korrigiert sei, „insbesondere dann, wenn staatliche Hilfsmaßnahmen aufgelegt oder verlängert werden sollen“.

Das Bundesjustizministerium hat vorgeschlagen, die zunächst bis Ende September befristete Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für überschuldete Unternehmen bis Ende März 2021 zu verlängern. Aus Sicht des VID geht der Gesetzgeber in seinem Bemühen, eine Insolvenzwelle zu vermeiden, zu weit. Der Verband verweist darauf, dass der historische Tiefstand bei eröffneten Insolvenzverfahren aus dem vergangenen Jahr in der aktuellen schweren Wirtschaftskrise deutlich unterschritten werde.

„Haftungsrisiken werden von vielen Unternehmern nicht gesehen“

„Der deutliche Rückgang der eröffneten Unternehmensinsolvenzen zeigt, dass auch Unternehmen durch die Aussetzung der gesetzlichen Regelungen geschützt werden, die nicht pandemiebedingt in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind“, behauptet der VID-Vorsitzende Dr. Christoph Niering. Das deutsche Insolvenzrecht habe sich zu einem sanierungsorientierten Insolvenzrecht entwickelt. Schutzschirmverfahren und Insolvenzplan ermöglichten vielen Unternehmen, sich über ein Insolvenzverfahren neu aufzustellen. Doch offenbar sei bei einigen Unternehmern der Eindruck entstanden, dass derzeit die Verpflichtung, einen Insolvenzantrag zu stellen, ganz ausgesetzt sei. „Die damit verbundenen Haftungsrisiken, auch die strafrechtlichen Risiken, werden von vielen Unternehmern nicht gesehen“, warnt der VID-Vorsitzende, ohne dabei etwa das Risiko einer Insolvenzverschleppung namentlich zu erwähnen.

Problematisch sei auch, dass Profigläubiger wie Finanzbehörden und Sozialversicherungsträger trotz der wieder bestehenden rechtlichen Möglichkeiten weiterhin kaum Insolvenzanträge stellten. Anderen Gläubigern falle es deutlich schwerer, bestehende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gerichtsfest nachweisen zu können.

Die vollständige Pressemitteilung des VID finden Sie hier.

Um diese Maßnahmen geht es dem Gesetzgeber eigentlich

Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht – so der offizielle Titel – sieht für das Insolvenzrecht fünf Maßnahmen vor, die das Bundesjustizministerium im März 2020 wie folgt zusammengetragen hatte:

  • Die Aussetzung der dreiwöchigen Insolvenzantragspflicht gilt nur für Fälle, in denen die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Folgen der Covid-19-Pandemie beruht. Es müssen zudem Aussichten auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestehen.
  • Geschäftsleiter haften während der Aussetzung der Insolvenzantragspflichten nur eingeschränkt für Zahlungen, die sie nach Eintritt der Insolvenzreife des Unternehmens vornehmen.
  • Während der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht an von der Covid-19-Pandemie betroffene Unternehmen gewährte neue Kredite sind nicht als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung anzusehen.
  • Während der Aussetzung erfolgende Leistungen an Vertragspartner sind nur eingeschränkt anfechtbar.
  • Die Möglichkeit von Gläubigern, durch Insolvenzanträge Insolvenzverfahren zu erzwingen, werden zeitlich eingeschränkt, um von der Pandemie betroffenen Unternehmen Zeit für die Sanierung zu gewähren.

Den vollständigen Gesetzestext finden Sie hier.

Doch wodurch sind coronabedingte Krisenunternehmen definiert und woran wird die Aussicht festgemacht, dass sich Zahlungsfähigkeit wiederherstellen lässt? Diese Fragen sind nach wie vor nicht hinreichend geklärt.

(ESV/fab)

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Programmbereich: Management und Wirtschaft