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Gefährdungsbeurteilung bei der Einarbeitung berücksichtigen (Foto: rawpixel/Unsplash)
Betriebliche Organisation

Integrierte Gefährdungsbeurteilung - am Beispiel betriebsinterner Personalprozesse

Daniel Limmert
12.06.2018
Um für die Herausforderungen des bestehenden Fachkräftemangels gewappnet zu sein, steht die Optimierung aller personalwirtschaftlichen Prozesse aktuell im Fokus der Unternehmen. Daher sollte die Gefährdungsbeurteilung samt notwendiger Maßnahmen als Instrument des betrieblichen Arbeitsschutzes ernst genommen werden.
Da die Gesetzgebung den Verantwortlichen bei der Erstellung der Gefahrdungsbeurteilung lediglich Grundsätze nennt und in diesem Zusammenhang keine detaillierten Vorgaben zur Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes an die Hand gibt, existiert nicht eine mustergültige Vorgehensweise. Diese definiert sich vielmehr durch die betrieblichen Anforderungen und Gegebenheiten.

Die Gefährdungsbeurteilung sowie das Ableiten von Maßnahmen

Die Gefährdungsbeurteilung sollte definitiv risikobasiert sein, sprich potentielle Gefährdungen und erkennbare Gefahren müssen identifiziert und entsprechend der Höhe des Risikos untersucht werden. Hierbei gilt, nicht „mit Kanonen auf Spatzen zu schießen“, sondern angemessene Maßnahmen abzuleiten und dadurch die hohen Gefährdungen im Blick zu behalten. Durch die Integration der Gefährdungsbeurteilung sowie der notwendigen Maßnahmen in bestehende Prozesse ist sichergestellt, dass die Durchführung und Umsetzung in der Praxis gelebt wird. Die Steigerung des Nutzens ist immens und der Aufwand im Arbeits- und Gesundheitsschutz wird gleichzeitig minimiert, was zusätzlichen Raum für weitere Maßnahmen schafft.

Nachfolgendes Beispiel soll verdeutlichen, wie die arbeitsschutzrelevanten Faktoren im Einstellprozess des Human Resources Managements (nachfolgend HR Management) aggregiert sein können.

Der neue Arbeitskollege – ein Sicherheitsrisiko!

Bereits vor einer Stellenausschreibung sollte die Gefährdungsbeurteilung Anwendung im Betrieb finden. Notwendige Qualifikationen sowie Eignungen sollten genau beschrieben werden und deren Vorhandensein auch in Zeiten des Fachkräftemangels bzw. auch bei internen Bewerbern indiskutabel sein. Dies schafft Klarheit bereits im Bewerbungsprozess. Wenn der Wunschkandidierende gefunden und eingestellt wurde, geht es mit den integrierten Prozessen weiter.

Der erste Arbeitstag – die Überforderung ist programmiert

Zur Prozessoptimierung gehört auch hier, keine gesonderten Aktionen zu starten, sondern erforderliche Unterweisungen sowie notwendige arbeitsmedizinische Maßnahmen in bestehende Prozesse zu integrieren. Der Mitarbeiter sollte sich wohlfühlen und nicht mit Informationen überflutet werden. Die Namen der neuen Kollegen, die Sprache des Unternehmens, der Weg zur Kantine etc. – auch ohne die Arbeitsschutzthemen prasseln bereits viele Eindrücke auf den Mitarbeiter ein. Das Gespräch mit dem Betriebsarzt und alle weiteren arbeitsschutzrelevanten Informationen – die Unterweisung – werden in der Regel gar nicht mehr aufgenommen.

Daher wäre es optimal, dem neuen Kollegen die arbeits- und gesundheitsschutzrelevanten Themen sukzessive im Verlauf des Einarbeitungsprozesses näher zu bringen. Als Voraussetzung sollte in der Gefährdungsbeurteilung definiert sein, dass die Erstunterweisung Bestandteil des Einarbeitungsplans ist und dort auch dokumentiert wird. Ein Kollege sollte als Pate benannt werden und die Einarbeitung begleiten. Eine Checkliste zur Einarbeitung existiert in den meisten Unternehmen und kann entsprechend ergänzt und optimiert werden.

Hier ein Beispiel – das „Need to know-Prinzip“:
  • Der erste Arbeitstag – Kennenlernen des Arbeitsplatzes und Verhalten im Notfall.
  • Die erste Arbeitswoche – erste Tätigkeiten unter Aufsicht – tägliche Unterweisung entsprechend der anstehenden Themen.
  • Der erste Arbeitsmonat – Übernahme der Verantwortung erster eigener Themen – Finalisieren der Einarbeitung.


Als Dokumentation gilt für alle Stufen der in der Gefährdungsbeurteilung definierte Einarbeitungsplan. Dieses Beispiel, beschrieben am Einstellprozess, kann parallel auch auf andere Themen, wie bspw. die Beurteilung neuer Gefährdungen sowie erneute Unterweisungen bei
  • internen Umsetzungen oder Versetzungen der Mitarbeiter
  • Umstrukturierungen im Betrieb
  • Zuweisung neuer Aufgaben
  • zeitweise Unterstützungsleistungen

adaptiert werden.

Wirtschaftlichkeit versus Arbeitsschutz

Sicherheits- und Qualitatskultur im Betrieb sind eng miteinander verbunden. Erhöhte Unfallzahlen sowie ein unzureichendes Sicherheitsbewusstsein sind grundsätzlich auch immer ein Hinweis auf Qualitätsprobleme im Unternehmen und umgekehrt. Unsichere Arbeitsbedingungen oder gar Unfälle fuhren immer zu vermeidbaren Zusatzkosten, unter anderem durch
  • Arbeits- bzw. Prozessunterbrechungen
  • zerstörte Anlagen oder Material
  • Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall
  • Regressansprüche der Kunden bzw. sonstiger Dritter
  • Ermittlungsverfahren von Behörden
  • hohe Mitarbeiterfluktuation.
Die optimierte Etablierung der Gefährdungsbeurteilung bzw. Eingliederung dieser in die betrieblichen Prozesse erhöht die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens und schafft damit einen tatsächlichen Mehrwert.

Gefährdungen durch intuitiv abgeleitete Maßnahmen erkennen und dokumentieren

Oftmals werden unbewusst Maßnahmen zur Vermeidung von Gefährdungen ergriffen. Bei Nachfragen nach dem Sinn der Maßnahme erhält man oft Antworten wie „ist doch logisch“ oder „das geht doch nicht anders“. Da deren Ursprung aber tatsächlich aus einer Gefährdung resultierte, muss diese auch entsprechend dokumentiert und das Restrisiko bewertet werden.

Dies kann am Beispiel der Beurteilung psychischer Belastungen verdeutlicht werden:

Unternehmen sind grundsätzlich an motivierten Mitarbeitern interessiert. Um diese Motivation zu generieren bzw. aufrecht zu erhalten, werden oftmals bereits einige Maßnahmen ergriffen, um die Mitarbeiterzufriedenheit zu steigern, wie
  • Mitarbeiterbefragungen
  • Feedbackgespräche der Mitarbeiter an die Führungskraft
  • Kommunikationsregeln
  • flexible Arbeitszeitmodelle
  • mobile Arbeitsplatzlösungen bzw. Telearbeitsplätze.

Alle diese Maßnahmen sorgen nachhaltig für ein gutes Betriebsklima sowie eine Verbesserung der Arbeitsumgebung der Mitarbeiter und minimieren damit die psychischen Gefährdungsfaktoren eines Arbeitsplatzes. Die Aufgabe besteht darin, die Maßnahmen als solche zu erkennen, in der Gefährdungsbeurteilung zu dokumentieren und zusammenfassend in ein Gesamtkonzept zu überführen.

Der Kampf mit den „Prozessownern“

Die Herausforderung ist nun, die eigentlichen Maßnahmenumsetzungen in den bestehenden Prozessketten zu belassen und ggf. etwas zu modifizieren bzw. aufzuzeigen. Danach sollte der „Prozessowner“ sensibilisiert werden, dass diese Maßnahmen im Sinne der Minimierung von Gefährdungen, also unter Berücksichtigung des Arbeitsschutzgesetzes, in der Gefährdungsbeurteilung dokumentiert sein müssen. Um diesen Zustand zu erhalten, wird zunachst noch eine Kultur im Unternehmen implementiert und gelebt werden müssen, die die Integration bzw. Verzahnung solcher Prozesse vorsieht. Das stellt insofern eine Herausforderung dar, da zum einen ein Überblick der vorhandenen Prozesse und Systeme oftmals nicht transparent, ergo eine Nutzung dieser für evtl. weitere Themen somit nicht möglich ist und zum anderen die beteiligten Einheiten nur „bis zum Tellerrand schauen“ und ungern die eigenen Prozesse fur weitere Themen öffnen.

Fazit

Die genannten Beispiele zeigen, dass gerade in der heutigen Zeit die Anforderungen an Prozesse Flexibilität, Agilität und Transparenz lauten. Sollte es also gelingen, die Gefährdungsbeurteilung in bestehende Prozesse zu integrieren, bedeutete dies ein Vorteil für das ganze Unternehmen, vor allem die Schärfung des Bewusstseins fur arbeitsschutzrelevante Faktoren und somit – das Wichtigste – die Erhaltung der Arbeitsleistung und Steigerung des Wohlbefindens unserer Mitarbeitenden.

Der Autor
Daniel Limmert ist seit 2010 Leitender Sicherheitsingenieur bei der Siemens AG in Erlangen, seit 2014 Leiter der Region Nordbayern des VDSI (Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit).


Die Gefährdungsbeurteilung

Von Dr. Gerald Schneider

Im Laufe der Jahre hat sich unter dem Eindruck neuer Technologien, neu erkannter Gefährdungssituationen sowie gestiegener arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse der Charakter der Gefährdungsbeurteilung verändert. Im Vordergrund steht weniger die isolierte Erfassung von Einzelgefährdungen, sondern vielmehr die Integration der Beurteilung in einen allgemeinen Organisationsrahmen von Schutzmaßnahmen, um Arbeit sicherer und gesundheitsförderlicher zu gestalten.

Daher unterscheidet sich diese Darstellung von vielen anderen, weil sie eine Neubewertung der einzelnen Teile der Gefährdungsbeurteilung vornimmt, moderne Erkenntniswege aufzeigt und insbesondere die Verschränkung zwischen Erkenntnisgewinn und betrieblicher Praxis besonders in den Fokus nimmt. Es versteht sich sowohl als Hintergrundinformation als auch als Handlungshilfe für:
- Arbeitgeber/Führungskräfte
- Fachkräfte für Arbeitssicherheit
- Betriebsärzte
- Betriebsräte
- Aufsichtspersonen
- und andere im Arbeitsschutz Verantwortung tragende Personen.


(ESV/ck)

Programmbereich: Arbeitsschutz