Sie haben folgende Möglichkeiten:
  1. zum Login.
  2. zur Navigation.
  3. zum Inhalt der Seite.

Jana Massow und Dr. Kerstin Bohne: Die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers sollte rechtzeitig und regelmäßig geprüft werden (Foto: privat)
Nachgefragt bei Jana Massow und Dr. Kerstin Bohne

Jana Massow und Dr. Kerstin Bohne: „Trotz der Quick Fixes im Umsatzsteuerrecht besteht noch viel Klärungsbedarf“

ESV-Redaktion Steuern
03.03.2020
Seit 1.1.2020 gelten innerhalb der EU die sogenannten Quick Fixes. Diese sollen sukzessive bis 2022 die Mehrwertsteuersystemrichtlinie ändern. Auskunft über die wichtigsten Neuerungen und die Folgen für die unternehmerische Praxis geben Rechtsanwältin Dr. Kerstin Bohne und Steuerberaterin Jana Massow im Interview mit der ESV-Redaktion.
Frau Massow, Frau Dr. Bohne, worum geht es bei den Quick Fixes im Umsatzsteuerrecht?

Jana Massow und Dr. Kerstin Bohne: Bei den sog. Quick Fixes handelt es sich um dringend umsetzungsbedürftige Maßnahmen, um kurzfristig die Mehrwertsteuervorschriften der EU-Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen und für mehr Rechtssicherheit zu sorgen. Sie sind ein Minimalkonsens auf „kleine erste Sofortmaßnahmen“ der EU-Mitgliedstaaten, um die bereits seit den 90er Jahren angestrebte EU-weite Harmonisierung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs voranzubringen. Bisher angestoßene Reformen scheiterten immer wieder an fehlender Einigkeit auf Mitgliederebene. Erst die stetig steigenden Steuerausfälle durch den Umsatzsteuerbetrug – zuletzt ca. 50 Mrd. Euro jährlich – führten nun zur Verabschiedung der sog. Quick Fixes.

Welche Bereiche sind von der Reform betroffen?

Jana Massow und Dr. Kerstin Bohne: Im Wesentlichen betreffen die Quick-Fixes innergemeinschaftliche Lieferungen, Reihengeschäfte und Lieferungen an ein Konsignationslager.


Vereinfachung als Ziel


Ziel der Reform sollte unter anderem eine Vereinfachung sein. Zudem sollten aktuelle Probleme behoben werden. Welche Probleme waren dies?

Jana Massow und Dr. Kerstin Bohne: Ja, Ziel der Quick Fixes war es, einige umsatzsteuerliche Probleme zu lösen, bevor in den nächsten Jahren die Umsatzbesteuerung von Waren und Dienstleistungen grundlegend geändert und ein neues Mehrwertsteuersystem eingeführt werden soll.

Zu diesen Problemen gehört etwa, dass bisher keine EU-weit einheitlichen Vorgaben existierten, wie Transportnachweise zu führen sind, um eine Lieferung aus einem EU-Mitgliedstaat in einen anderen EU-Mitgliedstaat (sog. innergemeinschaftliche Lieferung) als steuerfrei behandeln zu können. International agierende Unternehmer waren daher mit einer Vielzahl unterschiedlichster Nachweismodi der einzelnen EU-Mitgliedstaaten konfrontiert.

Ähnliches gilt für sog. grenzüberschreitende Reihengeschäfte. Auch hier gab es ein kaum zu überblickendes Dickicht aus Einzelmeinungen zur umsatzsteuerlichen Behandlung. Angesichts der Tatsache, dass grenzüberschreitende Warenbewegungen in nahezu jedem Unternehmen mit Auslandsbezug vorkommen, ist der Ansatz einer EU-weiten Angleichung daher sehr zu begrüßen.

Schließlich trifft Gleiches für die sog. Konsignationslager-Fälle zu: Wegen unterschiedlichen Vereinfachungsregelungen zum Konsignationslager in den einzelnen Mitgliedstaaten kam es bisher zu diversen Unstimmigkeiten etwa im Hinblick auf das innergemeinschaftliche Kontrollverfahren (sog. MIAS-Verfahren), der Zusammenfassenden Meldung oder der Erfassung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer.

Vermutungsprinzip beim Nachweis innergemeinschaftlicher Leistungen


Neue Regelungen gelten unter anderem auch beim Nachweis für innergemeinschaftliche Lieferungen. Hier gilt das widerlegbare Vermutungsprinzip. Allerdings sind hierfür Belege notwendig. Was können dies für Belege sein?

Jana Massow und Dr. Kerstin Bohne: Die neuen Belegmöglichkeiten, die alternativ zu den bisher bestehenden und weiterhin gültigen Belegnachweisen treten, unterscheiden sich, je nachdem, wer den Transport beauftragt und verantwortet.

Beauftragt z.B. der Exporteur den Transport, kann er den Nachweis entweder über zwei Transportdokumente wie z.B. CMR-Frachtbrief und Rechnung des Spediteurs oder alternativ durch ein solches Transportdokument neben einem zusätzlichen „Verbringens- bzw. Ankunftsnachweis“ wie z.B. eine Versicherungspolice zum Warentransport oder Bankunterlagen, die die Bezahlung des grenzüberschreitenden Transports belegen, erbringen.

Voraussetzung ist jedoch, dass die jeweiligen Nachweisdokumente von verschiedenen Parteien, die voneinander und vom Verkäufer und vom Erwerber unabhängig sind, ausgestellt worden sind.


Incoterms verlieren bei Reihengeschäften an Bedeutung


Können Sie kurz skizzieren, was bei Reihengeschäften neu ist?


Jana Massow und Dr. Kerstin Bohne: Bei einem Reihengeschäft schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Liefergeschäfte ab und der Gegenstand gelangt unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer. Bisher bestand EU-weit Einigkeit nur darüber, dass nur eines der abgeschlossenen Liefergeschäfte als umsatzsteuerfrei behandelt werden kann. Unklar und daher häufig streitbefangen war indes die Frage, wonach sich die Zuordnung des einen Liefergeschäfts zur Steuerfreiheit richten sollte.

Hier sorgen die Quick Fixes jedenfalls in einem Fall EU-weit für Klarheit: Es wird dem transportierenden Zwischenhändler nunmehr ein gesetzliches Wahlrecht eingeräumt: Verwendet er bis zum Transportbeginn gegenüber seinem (Vor-)Lieferer die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Landes, in dem der Transport beginnt, ist die Lieferung des Zwischenhändlers grundsätzlich steuerfrei. Verwendet der Zwischenhändler dagegen eine andere Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, ist die Lieferung des Zwischenhändlers grundsätzlich steuerpflichtig.

Statt der bisher komplizierten Gesamtbetrachtung anhand „diffuser“ Kriterien, ist nunmehr nur noch der „USt-IdNr.-Auftritt“ des Zwischenhändlers gegenüber seinem Lieferer maßgebend. Insofern verlieren auch die bisher bestehenden Lieferabsprachen (Incoterms) an Bedeutung.

Zu den Personen
  • Dr. Kerstin Bohne, Rechtsanwältin, LL.M. oec., „eureos gmbh steuerberatungsgesellschaft rechtsanwaltsgesellschaft“, ist spezialisiert auf das Gebiet der indirekten Steuern. Sie berät Unternehmen in allen Fragen des Umsatzsteuerrechts, erstellt Gutachten zu nationalen wie grenzüberschreitenden Umsatzsteuerfragen und begleitet finanzbehördliche und finanzgerichtliche Verfahren.
  • Jana Massow, Steuerberaterin, Fachberaterin für Unternehmensnachfolge (DStV e.V.), „eureos gmbh steuerberatungsgesellschaft rechtsanwaltsgesellschaft“, betreut insbesondere mittelständische Unternehmen mit internationalem Bezug. Dazu gehören u. a. Außenprüfungen, Umstrukturierungen und Fragen des internationalen Steuerrechts. Darüber hinaus berät sie familiengeführte Unternehmensgruppen bei der Strukturierung von Vermögen aus privater Hand.


Lagerregister bei Konsignationslagern


Und was gilt für Konsignationslager?


Jana Massow und Dr. Kerstin Bohne: Bei einem Konsignationslager werden in der Regel Waren des Lieferers in ein, regelmäßig in der Nähe des Abnehmers gelegenes, Lager verbracht, um diese bei Bedarf durch den Abnehmer zu entnehmen. Eigentümer der Ware bleibt dabei der Lieferer.

Nach den neuen EU-weiten Vorschriften werden künftig die beiden separaten Warenbewegungen – grenzüberschreitende Lieferung in das Konsignationslager und die Entnahme vor Ort – als eine innergemeinschaftliche Lieferung des Lieferers und ein innergemeinschaftlicher Erwerb des Abnehmers im Zeitpunkt der Entnahme der Ware aus dem Lager behandelt. Die bisher in der Regel erforderliche Registrierungspflicht des Lieferers entfällt damit. Um diese „Vereinfachung“ in Anspruch zu nehmen, hat der Lieferer jedoch künftig zwingend ein umfangreiches „Lagerregister“ zu führen und seine Zusammenfassende Meldung entsprechend anzupassen.


Verschärfte Anforderungen an Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen


Worauf sollten Unternehmer besonders achten und worauf legen Sie bei Ihrer Beratung besonderen Wert?


Jana Massow und Dr. Kerstin Bohne: Von besonderer Relevanz sind beispielsweise die verschärften Anforderungen an die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen. Die zentrale Rolle nehmen hier die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers sowie die Zusammenfassende Meldung des Lieferers ein. Hier gilt es, die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers rechtzeitig und regelmäßig auf ihre Gültigkeit mittels sog. qualifizierter Bestätigungsabfrage beim Bundeszentralamt für Steuern zu prüfen.

Generell empfehlen wir, die innergemeinschaftlichen Warenströme zu prüfen und die unternehmensinternen Prozesse an die neuen gesetzlichen Vorgaben anzupassen. Hier achten wir auf individuelle, maßgeschneiderte Lösungen für unsere Mandanten. So lassen sich ggf. bereits bestehende „Daten-Sammlungs-Prozesse“ zusammenführen und entsprechend erweitern, um mit möglichst wenig Aufwand die neuen Anforderungen zu erfüllen.

Ihr Fazit: Hat die Reform ihr Ziel erreicht oder treten auch neue Schwierigkeiten auf?

Jana Massow und Dr. Kerstin Bohne: Grundsätzlich sind die Harmonisierungsbestrebungen zu begrüßen. Gleichwohl besteht bezüglich vieler Punkte weiterhin Klärungsbedarf. Daher bleibt abzuwarten, ob die Umsetzung in der unternehmerischen Praxis tatsächlich die erhoffte Vereinfachung mit sich bringen wird bzw. überhaupt kann.


„Quick Fixes“ – Folgen der Umsetzung in das nationale Umsatzsteuerrecht


Im innereuropäischen Warenverkehr markiert der EU-Mehrwertsteueraktionsplan mit den nunmehr in Kraft getretenen Neuregelungen in der MwStSystRL einen weitreichenden Meilenstein.

Eine kompakte Gegenüberstellung des zukünftigen und bisherigen Rechts – sowohl aus europarechtlicher als auch aus nationaler Sicht – sowie eine erste Auswertung einschlägiger Rechtsprechung präsentieren Sarah Weih und Gabi Meissner in ihrem hochaktuellen Buch. Im Fokus u.a.:

  • Neuerungen durch die „Quick Fixes“ und der Status „zertifizierter Steuerpflichtiger“, detailliert dargestellt auf Basis des jüngsten Gesetzesentwurfs der Bundesregierung
  • Resultierende Risiken und Unsicherheiten, z.B. durch weiter divergierende Rechtsprechung im Hinblick auf die Zuordnung der bewegten Lieferung im Reihengeschäft
  • Praktische Lösungsansätze u.a. für einschlägige Quick Fixes zu Konsignationslager, Reihengeschäften und Steuerbefreiung/Belegnachweis für innergemeinschaftliche Lieferungen

Ein prägnanter Einstieg und Überblick für Praktiker aus Beratung und Verwaltung, Studierende und Kandidat/-innen einer Steuerberater- oder Laufbahnprüfung.


(ESV/bp/fl)



Programmbereich: Steuerrecht