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Die EU-Staaten müssen die Whistleblower-Richtlinie bis Dezember 2021 umsetzen. (Foto: Rawf8/stock.adobe.com)
Nachgefragt bei Prof. Dr. Peter Fissenewert

„Klare Regelung zum Whistleblowing ist ein Imagegewinn“ – Nachgefragt bei Prof. Dr. Peter Fissenewert

ESV-Redaktion Management und Wirtschaft
26.03.2020
Zu einer effektiven Compliance gehören eine Whistleblower-Hotline und die Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie, ist Prof. Dr. Peter Fissenewert überzeugt. Der Rechtsanwalt der Berliner Kanzlei Buse Heberer Fromm nennt in Teil 2 des Interviews mit der ESV-Redaktion weitere Vorteile eines funktionierenden Systems für Hinweisgeber.

Beschäftigte eines Unternehmens sehen in klaren Regelungen zum Whistleblowing zwar einen Vertrauensvorsprung. Welche Auswirkungen ergeben sich für Angestellte aus Verschwiegenheitsklauseln aber in Arbeitsverträgen? Wie gravierend und weitreichend müssten Verstöße sein, um als Whistleblower Schutz zu genießen?

Peter Fissenewert: Diese Frage betrifft genau das aktuelle Dilemma. Warum wird der Lkw-Fahrer, der den Behörden anzeigt, dass er Gammelfleisch ausfahren muss, von den Zeitungen gefeiert, aber vom Arbeitgeber gefeuert? Das deutsche Arbeitsrecht mag den Whistleblower einfach nicht. Mit welchen Klippen bislang ein Whistleblower zu rechnen hatte, wird am Fall einer Altenpflegerin deutlich, die ihren Arbeitgeber wegen Missständen in der Pflege und wegen Abrechnungsbetrugs anzeigte.

Wie hat sich dieser konkrete Fall entwickelt?

Peter Fissenewert: Nachdem ihr fristlos gekündigt worden war, hatte sie sich vor den Gerichten gegen die Kündigung gewehrt – ohne Erfolg. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ging davon aus, dass die Anzeige wegen Abrechnungsbetrugs leichtfertig gewesen sei. Als Beleg dafür sahen die Richter die Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen Betrugs. Das Bundesarbeitsgericht wies die Beschwerde der Arbeitnehmerin gegen die Nichtzulassung ihrer Revision zurück, das Bundesverfassungsgericht schließlich nahm ihre Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sprach ihr eine Entschädigung zu. Die europäischen Richter sahen insbesondere den Vorwurf der Leichtfertigkeit als zweifelhaft an: Die deutschen Gerichte hätten nicht genügend berücksichtigt, dass es der Arbeitnehmerin um den Schutz der ihr anvertrauten Patienten gegangen sei, die unter erheblichen Pflegemissständen gelitten hätten.

Kündigung ist aber nicht das einzige, was Hinweisgebern droht.

Peter Fissenewert: Bei weitem nicht. Neben der Kündigung müssen Betroffene damit rechnen, dass der Arbeitgeber sie wegen des Verrats von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen gemäß Paragraf 17 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb oder wegen der Verletzung von Privatgeheimnissen gemäß Paragraf 203 Strafgesetzbuch anzeigt. Das setzt aber beispielsweise voraus, dass ein Whistleblower unbefugt ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis offenbart hat.

Was genau fällt denn unter den Begriff Geschäftsgeheimnis?

Peter Fissenewert: Dazu gab es lange Zeit keine gesetzliche Definition. Das hat der Gesetzgeber vor knapp einem Jahr im Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen geändert. Danach sind unter einem Geschäftsgeheimnis alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge zu verstehen, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat.

Welchen Nutzen haben Unternehmen von einer klaren Regelung zum Whistleblowing? Wer Whistleblower schützt, hätte doch beispielsweise einen Imagegewinn.

Peter Fissenewert: Die Einführung einer klaren Regelung zum Whistleblowing ist ganz klar ein Imagegewinn. Die Einführung einer Whistleblower-Hotline und die Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie gehören zu einer effektiven Compliance. Aber auch schon ohne Whistleblower-Hotline und Whistleblower-Richtlinie war Compliance ein klarer Wettbewerbsvorteil und Imagegewinn. Die Mitarbeiter des Unternehmens sehen hierin einen ganz klaren Vertrauensvorsprung. Arbeitssuchende, die sich zwischen zwei Arbeitgebern entscheiden können, entscheiden sich überwiegend für die Arbeitsstelle, die ein Compliance-Management-System (CMS) implementiert hat – erst recht, wenn eine Whistleblower-Hotline dazugehört.

Wie steht es um das Bewusstsein bei Unternehmen, dass sie vom Whistleblowing profitieren können?

Peter Fissenewert: Unternehmen, die bereits ein CMS implementiert haben, stehen der Richtlinie grundsätzlich offen gegenüber. Natürlich ist dies zusätzlicher Aufwand und auch ein Risiko. Compliance ist aber eben gutes Risikomanagement, und diese Unternehmen beherrschen das und sehen dies als weiteren Schritt zu einem effizienten CMS. Nach einer aktuellen Studie verfügen fast 60 Prozent der Unternehmen, die ein CMS implementiert haben, über eine Meldestelle. Die Unternehmen, die noch kein CMS eingeführt haben – und das sind nicht wenige –, sehen die Whistleblower-Richtlinie eher als Bedrohung. Zugleich ist diese Bedrohung aber noch relativ weit weg, weil sie ja erst Ende kommenden Jahres in Kraft treten soll. Und erinnern wir uns an die Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO): Die kam auch erst kurz vor Inkrafttreten richtig ins Rollen. Die Umsetzung des Datenschutzes im Unternehmen ist bereits ein wesentlicher Schritt hin zu einem CMS. Viele Unternehmen haben bereits zahlreiche Richtlinien selbst entwickelt oder Dinge wie die DSGVO umgesetzt. Darauf lässt sich aufbauen und relativ kurzfristig ohne allzu großen Aufwand ein richtig gutes CMS implementieren. Die Whistleblower-Richtlinie ist dann die Sahne auf der Kirsche – je eher desto besser. Ich rate jedem Unternehmen dazu, sobald wie möglich damit zu beginnen.

Schauen wir uns staatliche Einrichtungen an und nehmen als Beispiel das Löschen von Daten auf einem Diensthandy der ehemaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Ließe sich ein derartiger Fall leichter aufklären, wenn potenzielle Whistleblower rechtlich geschützt wären?

Peter Fissenewert: Ganz klar: Ja. Und insofern sollte die Richtlinie alsbald umgesetzt werden. Zwar gilt für Beamte bereits eine Durchbrechung des Verschwiegenheitsgrundsatzes, allerdings eben nur für Beamte und dann auch nur für einzelne Straftaten. Demzufolge dürfen Beamte neben den Katalogstraftaten wie Hochverrat und Landesverrat nach Paragraf 138 Strafgesetzbuch auch Korruptionsstraftaten nach den Paragrafen 331 bis 337 Strafgesetzbuch anzeigen. Der Datenschutz ist hiervon aber nicht betroffen. Vermutlich liegt auch keine Straftat gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland vor, was aber noch zu prüfen wäre.

Für wann genau rechnen Sie mit einem Whistleblower-Gesetz in Deutschland?

Peter Fissenewert: Die EU-Richtlinie ist zum 16. Dezember 2019 in Kraft getreten. Die Mitgliedstaaten haben nun bis Dezember 2021 Zeit, die Direktive in nationales Recht umzusetzen. Zunächst müssen dann Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern ihren Pflichten nachkommen. Zwei Jahre später folgen die Unternehmen mit 50 bis 250 Mitarbeitern. Ich gehe davon aus, dass Deutschland frühestens im Herbst 2021 die Richtlinie umgesetzt haben wird. Es empfiehlt sich für Unternehmen, die Frist nicht auszureizen und frühzeitig aktiv zu werden. Einige Unternehmen haben bereits proaktiv Meldestellen eingerichtet und darüber wertvolle Meldungen erhalten. So können diese Risiken frühzeitig identifiziert und Probleme ausgeräumt werden, bevor sich daraus ernsthafte Konsequenzen für den Unternehmenserfolg ergeben.

Zur Person

Prof. Dr. Peter Fissenewert ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Buse Heberer Fromm am Standort Berlin.

Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind das Wirtschaftsrecht und das Wirtschaftsstrafrecht und hier insbesondere das Gesellschaftsrecht, Restrukturierung, Sanierung und Insolvenz, dazu Compliance-Beratung und Managerhaftung. Vor seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt arbeitete Peter Fissenewert unter anderem als Sprecher des Berliner Innensenators und führte bis 1995 die Geschäfte einer mittelständischen Unternehmensgruppe. Seit 2005 hält er eine Professur für Wirtschaftsrecht.

Lesen Sie in Teil 1 des Interviews, wie die EU-Whistleblower-Richtlinie ausgestaltet ist, wo es Bedarf für Nachbesserungen gibt und wie die US-amerikanische Gesetzgebung zum Whistleblowing funktioniert.

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(ESV(fab)

Programmbereich: Management und Wirtschaft