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Dr. Stephan Rusch, Arbeits- und Organisationspsychologe, lehrt zu den Themen Leadership und Prävention von Gewalt am Arbeitsplatz. (Foto: privat)
Nachgefragt bei Dr. Stephan Rusch

„Kommunikation und Kommunikationsfähigkeit gehören zu den Basiskompetenzen von Führungskräften“

ESV-Redaktion ConsultingBay
12.04.2021
Im Interview mit der ESV-Redaktion sprach der Wirtschaftswissenschaftler und Organisationspsychologe Dr. Stephan Rusch über die Themen Bad Leadership und Bossing, seine eigenen Erfahrungen damit sowie wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu und darüber, dass Prävention und Sensibilisierung für das Thema bereits in der Schule beginnen müssen.
Herr Dr. Rusch, wann sind Sie mit dem Thema Bossing zum ersten Mal in Kontakt gekommen?

Stephan Rusch: Wenn ich recht darüber nachdenke, dann wohl schon gleich zu Beginn meiner Ausbildung bei der Polizei. Da war ich gerade mal 17 Jahre alt und dachte: „Okay, das ist dann wohl der normale Umgangston in der erwachsenen Arbeitswelt“, wenn meine jungen Mitauszubildenden angeschrien oder sonst in irgendeiner Art und Weise fies von unseren Vorgesetzten behandelt wurden. Hauptsache, man selbst geriet nicht in den Fokus gemeiner Übergriffe.

Welcher Fall ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben und weshalb?

Stephan Rusch: Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir im Rahmen meiner Studien zu Bossing der Fall eines Pflegedienstleiters eines Krankenhauses, der von seiner neuen Vorgesetzten für die hohe Anzahl von Fehlzeiten verantwortlich gemacht und in seiner Funktion immer wieder entmachtet und wiederholt auch vor der gesamten Belegschaft bloßgestellt wurde. Es ging dann soweit, dass der Mann durch die persönliche Übernahme von Dienstschichten am Rande des Burnouts stand. Als er physisch wie psychisch nicht mehr konnte, wandte er sich an seine Vorgesetzte und übergab ihr eine in Krankenhäusern übliche Überlastungsanzeige. Diese Überlastungsanzeige zerriss die Vorgesetzte vor den Augen des Pflegedienstleiters wortlos und warf sie in den Papierkorb.

Ihrem Buch Bad Leadership und Bossing, das soeben im Erich Schmidt Verlag erschienen ist, ist ein Ausspruch der deutsch-amerikanischen Politologin Hannah Arendt vorangestellt: „Gewalt beginnt, wo das Reden aufhört.“ Was sagt das über Unternehmen und deren Führung aus? Über die Mittel der Kommunikation einerseits und der Gewalt andererseits?

Stephan Rusch: Das Zitat ist meines Erachtens deshalb im Unternehmenskontext relevant, weil das Miteinanderreden die Chance in sich trägt, beispielsweise problematische Situationen im Diskurs zu lösen. Nicht Miteinanderreden und somit wortlos zu kommunizieren lässt insgesamt zu viel Spielraum für Interpretationen, ähnlich wie in der digitalisierten Welt beispielweise mit Emojis.

Eine mitarbeiterorientierte Sprache hat Einfluss auf Commitment und Leistung

Kommunikation und Kommunikationsfähigkeit gehören zu den Basiskompetenzen von Führungskräften. Eine authentische, mitarbeiterorientierte und vor allem eine an den sozialen Belangen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen interessierte Sprache hat einen erheblichen Einfluss auf das Wohlbefinden, das Commitment und die Leistung. Sind Sprache und anschließendes Handeln ausschließlich an den Bedürfnissen der Organisation ausgerichtet, stellt sich genau das Gegenteil bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ein. Ein Beispiel: Leider werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entgegen aller wissenschaftlichen Erkenntnisse nach wie vor als Human Resources oder mit betriebswirtschaftlichen Vokabeln wie zum Beispiel Beschäftigungsvolumen bezeichnet. Furchtbar! Einem Arbeits- und Organisationspsychologen läuft es bei diesen Bezeichnungen eiskalt den Rücken herunter. Denn aus meiner Sicht müssen wir vom Kapital Mensch und nicht von menschlichen Ressourcen sprechen.

Sprache als Gradmesser für Organisationskultur und Führungskräfte

Sprache und vor allem wie wir miteinander und auch übereinander reden, ist ein Gradmesser für eine gute und weniger gute Organisationskultur sowie für gute und weniger gute Führungskräfte. Wir müssen uns zudem immer wieder vor Augen führen, dass neben vielen anderen arbeitsumweltlichen Problemen eben auch eine defizitäre Kommunikation der Nährboden für soziale Konflikte am Arbeitsplatz und im Extremfall für Mobbing und Bossing und gar Gewalt am Arbeitsplatz darstellt.

Wie hängen Stress und Bossing miteinander zusammen? Wie lässt sich dieser Teufelskreis durchbrechen?

Stephan Rusch: Obwohl es ein wenig komplizierter ist, lautet die Antwort: Das eine bedingt das andere. Einerseits kann Stress durch unklare, widersprüchliche und übertriebene Arbeitsanforderungen zu Bossing führen. Andererseits – und dafür liegen klare Hinweise vor – führt Bossing unweigerlich zu Stress.

Für die von Bossing Betroffenen ist es schwierig, diesen Teufelskreis allein zu durchbrechen, da vor allem Faktoren des Arbeitsumfeldes sowohl zu Stress als auch zu Bossing führen können. So kann zum Beispiel schlecht gestaltete Arbeit mit Rollenkonflikten und mangelnder Kontrolle Stress und Frustration hervorrufen, was zu Konflikten und schlechten zwischenmenschlichen Beziehungen führt, was wiederum Unzufriedenheit und eine schlechte psychische Gesundheit zur Folge haben kann. Bossing wiederum verschlechtert das Arbeitsklima und verringert die soziale Unterstützung und den Informationsfluss, was wiederum Stressoren wie Unsicherheit und Kontrollverlust stärkt.

Bossing-Stress/Stress-Bossing-Teufelskreis auflösen

Ohne den Einsatz einer ganzen Reihe arbeits- und organisationspsychologischer Methoden und Instrumente zur Organisationsanalyse sowie sich aus der Analyse ergebende Organisationsentwicklungsmaßnahmen wird sich der Bossing-Stress/Stress-Bossing-Teufelskreis schwerlich auflösen lassen.

Über den Autor

Dr. Stephan Rusch ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler, Arbeits- und Organisationspsychologe (M.A.) und Diplom-Verwaltungswirt (FH). Nach über 30-jähriger Tätigkeit als Polizeibeamter/Kriminalbeamter mit 20-jähriger Führungserfahrung lehrt er heute an nationalen und internationalen Hochschulen v. a. zu den Themen Leadership und Prävention von Gewalt am Arbeitsplatz (u. a. Mobbing, Bossing, Stalking und sexuelle Übergriffe). Darüber hinaus ist er als freiberuflicher Berater tätig.

Ein Bosser kommt selten allein – könnte man sagen. Bossing ist auch ein Gruppenphänomen. Eine wichtige Rolle übernehmen dabei die Mitspieler und Mitspielerinnen, die sich ganz unterschiedlich verhalten können. Wie können Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für ihre Rolle und das entsprechende Verhalten sensibilisiert werden? Was können sie daraus lernen?


Stephan Rusch: Aus Arbeiten in den 1990er Jahren zu Mobbing in der Schule – was richtigerweise Bullying heißt, denn der Begriff des Mobbings ist ausschließlich für die Arbeitswelt kreiert worden – wissen wir, dass es neben den „Täterinnen und Tätern“ und „Opfern“ auch Assistenten und Assistentinnen und Verstärkerinnen und Verstärker des „Täters“, aber auch potenzielle Verteidiger und Verteidigerinnen der „Opfer“ gibt. Diese Gruppe macht etwa 17 Prozent aus. Bei den Verteidigerinnen handelt es sich im Übrigen im überwiegenden Maße um Mädchen. Die größte Gruppe allerdings sind die Außenstehenden mit etwa 25 Prozent, die vom schikanierenden Vorgehen eines Bullys wissen, aber nicht in das Geschehen eingreifen, weil sie nicht wissen wie.

Bereits 2004 ist auf Grundlage dieser Erkenntnisse zunächst die Initiative und schließlich der Verein „fairplayer e. V.” zur Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen entstanden, deren Gründungsmitglied ich war. In der Folge entstand das fairplayer.manual als eine Maßnahme gegen das Schul-Bullying und vor allem als Maßnahme, die den Fokus nicht nur auf die „Opfer“ und „Täter bzw. Täterinnen“ legt, sondern insbesondere auf die Außenstehenden, um ihnen Handlungsoptionen für das Eingreifen in Bullying-Situationen zu eröffnen.

Durch Darlegung von Handlungsoptionen Eingreifen ermöglichen

Im Rahmen einer Studie im Jahre 2014 konnte ich die eben genannten Mitspielerinnen und Mitspieler auch für das Phänomen Bossing identifizieren. Daraus lässt sich ableiten, dass entsprechende Präventionsprogramme wie zum Beispiel ein modifiziertes fairplayer.manual auch bei Bossing von großer Bedeutung sein kann. Das heißt, es geht in einem ersten Schritt darum, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ihre Rollen im Rahmen von Bossing-Geschehnissen zu vermitteln und ihnen in einem weiteren Schritt durch Darlegung von Handlungsoptionen ein Eingreifen in die Situation zu ermöglichen.

Lesen Sie den zweiten Teil des Interviews hier auf ConsultingBay.

Bad Leadership und Bossing

Autor: Dr. Stephan Rusch

Das Thema Führung wird häufig heroisiert. Die „dunkle Seite“ der Führung und ihre Folgen jedoch bleiben oft unbeachtet. Dabei geht es um mehr: Mit „Bossing“ erniedrigen und entindividualisieren Führungskräfte ihre Mitarbeiter, um Kontrolle und Macht über sie auszuüben – zum Schaden der Betroffenen und des gesamten Unternehmens.

Den weitreichenden Schattenseiten der Macht in Form von „Bad Leadership“ und „Bossing“ widmet sich Stephan Rusch mit viel Praxisbezug.

  • Woran erkennt man destruktive Führung, wie entsteht sie und wie geraten Mitarbeiter auf die „Abschussliste“ des Chefs?
  • Was müssen Führungskräfte wissen, um Machtmissbrauch im Unternehmen zu unterbinden?
  • Was sind die Folgen für die Beteiligten, die Mitspieler, das Unternehmen und die Gesellschaft?
  • Welche Präventions- und Interventions-Strategien gibt es, um „Bossing“ gegenzusteuern?

Fallvignetten, Beispiele, Interviewauszüge, Selbsttests und weitere Tools unterstützen Sie beim zielgerichteten Umgang mit dem Phänomen – und der Entwicklung einer lebendigen, konstruktiven Führungskultur.


(ESV, uw)

Programmbereich: Management und Wirtschaft