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Gewerbeaufsicht: Kontrollen bei hohem Gefährdungspotenzial (Foto: highwaystarz/Fotolia.com)
Nachgefragt bei: Siegfried Müller (Gewerbeaufsicht, SGD Süd)

Müller: „Leiharbeiter haben eine erhöhte psychische Belastung“

ESV-Redaktion Arbeitsschutz
30.01.2019
Siegfried Müller, Gewerbeaufsichtsbeamter bei der Struktur- und Genehmigungdirektion Süd in Neustadt an der Weinstraße, berichtet im Interview mit der ESV-Redaktion Arbeitsschutz aus seinem Arbeitsalltag und welche Herausforderungen Betriebe und Politik im Bereich Arbeitsschutz in den kommenden Jahren meistern müssen.
Die Aufgaben der Gewerbeaufsicht sind komplex und reichen vom technischen bis hin zum sozialen Arbeitsschutz. Wie sieht bei Ihnen ein typischer Arbeitstag aus?

Siegfried Müller: Entweder habe ich einen Büro-Tag in der Behörde oder ich bin als Aufsichtsbeamter im Außendienst unterwegs. Zu meinen Außendienstaufgaben zählen u. a. die Bearbeitung von Nachbarschaftsbeschwerden über Lärm, Gerüche, Stäube und Vibrationen ausgehend von Gewerbebetrieben. Hier wird durch entsprechende Messungen festgestellt, ob die Beschwerde berechtigt ist. In diesem Fall muss der Verursacher durch technische oder organisatorische Maßnahmen Abhilfe schaffen.

Bei größeren Bauprojekten werden gemeinsam mit der Baubehörde und dem Brandschutz Abnahmeprüfungen durchgeführt. Regelmäßig überprüfe ich Sprengstoffläger, zum Beispiel von Munitionshändlern, und vor Silvester die Einhaltung der Lagermengen von pyrotechnischen Gegenständen in Verkaufsgeschäften.

Des Weiteren sind immer wieder Beschwerden von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern über Missstände im Arbeitsschutz oder bei Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz, Jugendarbeitsschutzgesetz oder Mutterschutzgesetz Anlass zu Überprüfungen in den Betrieben. Gemäß dem Immissionsschutzrecht werde ich auch bei der Bauleitplanung zur Erschließung von Bau- oder Gewerbegebieten beteiligt und muss dann die Umgebung in Augenschein nehmen, um eine fachtechnische Stellungnahme abzugeben.

Der typische Arbeitstag im Büro besteht dann in der Aufarbeitung des Außendienstes, wie zum Beispiel dem Erstellen von Inspektionsschreiben, das Schreiben von Anhörungen und Anordnungen sowie Stellungnahmen zu Bauanträgen. Die SGD Süd ist zum Beispiel auch zuständig für Erlaubnisse zur Errichtung von Tankstellen sowie Genehmigungen von Heizkraftwerken, die nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungspflichtig sind.

Als Schwerpunktaufgabe überwache ich im Strahlenschutz Röntgenanlagen und bin auch für die Kontrolle der Umsetzung des Medizinproduktegesetzes in Arztpraxen und Krankenhäusern zuständig.

Inspektionen erfolgen bei hohem Gefährdungspotenzial und auch anlassbezogen

Gerade hat eine Plusminus-Sendung der ARD Furore gemacht, bei der ermittelt wurde, dass statistisch gesehen ein Betrieb nur alle 30 Jahre mit einer Überprüfung rechnen muss, somit Arbeitsschutz faktisch kaum kontrollierbar ist. Was entgegnen Sie?

Siegfried Müller:
Wir arbeiten nach einem Prioritätenkatalog: Betriebe mit höherem Gefährdungspotenzial werden häufiger inspiziert als Einzelhandelsgeschäfte. Zudem werden Inspektionen anlassbezogen durchgeführt, das heißt, wenn eine Beschwerde an uns herangetragen wurde oder wenn ein Genehmigungsverfahren anhängig ist.

Sie sind schon lange als Aufsichtsperson tätig. Gibt es eine Begehung, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Siegfried Müller:
Da war zum Beispiel 2001 der Plutonium-Diebstahl in Karlsruhe, bei dem zwei Wohnungen und mehrere Personen in unserem Aufsichtsbezirk kontaminiert wurden. Ich war damals in der Arbeitsgruppe, die die erforderlichen Maßnahmen koordinierte.

Ansonsten wünscht man sich bei den Untersuchungen von tödlichen Arbeitsunfällen oder schweren Unfällen, dass man durch die Aufsichtstätigkeit die Arbeitswelt verbessern kann und folgenschwere Unfälle zukünftig verhindert werden.

„Bei Scheinselbständigen wird der Arbeitsschutz komplett ausgehebelt”

Wo sehen Sie die Herausforderungen im Arbeitsschutz in den kommenden Jahren? Haben Sie einen Appell an die Betriebe, die Politik oder die Berufsgenossenschaften?

Siegfried Müller: Eine Herausforderung sehe ich in der starken Zunahme von Leiharbeitnehmern. Hier ist oft nicht geregelt, wer von den Vertragspartnern für den Arbeitsschutz zuständig ist: Entsender oder Entleiher?

Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet der ständige Wechsel der Tätigkeit und der Einsatzorte eine erhöhte psychische Belastung. Eine feste Lebensplanung ist für die betroffenen Menschen schwierig. Das Gleiche gilt auch für die Scheinselbständigkeit. Hier wird der Arbeitsschutz komplett ausgehebelt.

Was tut sich in Ihrer Wahrnehmung im Bereich der psychischen Belastungen? Wie gehen Unternehmen damit um?

Siegfried Müller: Nach meiner Wahrnehmung nimmt die psychische Belastung an Arbeitsplätzen in vielen Branchen zu. Die Zunahme von negativ wirkenden psychischen Belastungen ist unter anderem zu suchen in steigenden Anforderungen an Quantität und Qualität der Arbeit.

Im Dialog versuchen wir in den Betrieben den Fehlbeanspruchungen entgegenzuwirken. Organisatorisch kann hier zum Beispiel durch klare Aufgabenstellung und abgegrenzte Verantwortungsbereiche positiv reagiert werden. Den Arbeitnehmern muss auch ermöglicht werden, sich entsprechend ihrer Tätigkeit fortzubilden und zu qualifizieren. Viele Betriebe führen Mitarbeiterbefragungen durch, um psychische Fehlbelastungen zu erkennen und zu verhindern. Von Arbeitgebern werden auch Programme zur Gesundheitsförderung angeboten. Beispielsweise werden Gymnastikkurse, Physiotherapie und der Besuch von Fitness-Studios gefördert. Entscheidend ist, dass die Unternehmen das Thema psychische Belastung in ihre Gefährdungsbeurteilung integrieren, erkennbare Gefährdungen bewerten und die erforderlichen Maßnahmen einleiten.

Zur Person

Siegfried Müller
ist Aufsichtsbeamter bei der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd in Neustadt an der Weinstraße. Dabei handelt es sich um eine obere Landesbehörde des Landes Rheinland-Pfalz. Ihr Aufgabenspektrum reicht - in Auswahl - von Abfallwirtschaft, Arbeitnehmerschutz, Bauwesen,Gefahrenschutz, Gentechnik, Immissionsschutz, Verbraucherschutz bis Wasserwirtschaft.


Psychische Belastungen in der Arbeitswelt 4.0

Autor: Dipl.-Psychologe Dr. Stefan Poppelreuter, Prof. Dr. Katja Mierke

Das vorliegende Buch beinhaltet Entstehung, Genese und Diagnostik psychischer Belastungen am Arbeitsplatz sowie deren Prävention und Intervention. Es zeichnet sich sowohl durch wissenschaftliche Fundierung als auch leichte Verständlichkeit und Praxisnähe aus. Es gibt praktische Hilfestellung, die "gesunde Leistungsfähigkeit" am Arbeitsplatz zu schaffen und zu erhalten.



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(ESV/ck)

Programmbereich: Arbeitsschutz