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Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Gerd Müller (Foto: Gottschalk/photothek.net)
Sustainable Developement Goals (SDG)

Müller: „Stiftungen haben spezifische Stärken“

Martin Block (Engagement Global)
08.06.2018
Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) zeigen den Weg auf, wie bis 2030 die Erde grundlegend umgestaltet werden kann. Welchen Beitrag Stiftungen leisten können, beantwortet der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Müller (CSU) im Interview.
Die Agenda 2030 ist ein Leitfaden für die Politik der Bundesregierung insgesamt und für die Entwicklungspolitik im Besonderen. Wie kann in der neuen Legislaturperiode hierzu mehr Kohärenz hergestellt werden?

Gerd Müller: Den wichtigsten Schritt dazu haben wir schon mit dem neuen Koalitionsvertrag gemacht: Die Agenda 2030 haben wir darin als Richtschnur deutscher Politik und Maßstab unseres Regierungshandelns festgeschrieben.

Entwicklungspolitik fängt nämlich in Deutschland an, und die nachhaltigen Entwicklungsziele betreffen nationales Handeln ebenso wie internationales. Aber auch jeder Einzelne ist gefordert, einen Beitrag zu leisten, mit fairem Einkauf zum Beispiel: Rund 1.500 Milliarden Euro geben wir Deutschen alljährlich für Verbrauchsartikel aus, aber nur 50 Milliarden Euro für grüne, nachhaltige Produkte, also gerade einmal 3 Prozent.

„Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinandergehen lassen ”

Die Agenda 2030 nimmt uns alle in die Verantwortung – und natürlich stellt sie auch den Kompass unserer Entwicklungszusammenarbeit dar. Dabei möchten wir insbesondere unsere Partnerländer auf dem Weg zu nachhaltiger Entwicklung unterstützen. Das heißt, wirtschaftliche Entwicklung so zu gestalten, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinandergeht und gleichzeitig die Ressourcen unseres Planeten geschont werden. Nachhaltige Entwicklung erfordert Politikkohärenz in unseren Partnerländern – aber auch bei uns. Dafür setze ich mich ein, sei es bei der aktuellen Diskussion zur Steuerbefreiung fair gehandelten Kaffees, der Einführung einer Finanztransaktionssteuer oder auch in der Außenhandelsförderung.

Welche Rolle sollten aus staatlicher Sicht die deutsche Zivilgesellschaft und insbesondere private Stiftungen bei der Umsetzung der Agenda 2030 sowohl hier in Deutschland als auch im Globalen Süden spielen? Welche Erwartungen verbinden Sie mit Stiftungskooperationen?

Gerd Müller: Die Antwort gibt auch in diesem Fall die Agenda 2030 selbst. Mehrfach benennt sie die Zivilgesellschaft und philanthropische Organisationen als wichtige Akteure im Geist einer globalen Solidarität. Mit staatlichen Entwicklungsgeldern allein, mit Steuermitteln allein können wir die nachhaltigen Entwicklungsziele niemals umsetzen. Dazu brauchen wir ganz andere Größenordnungen. Stiftungen haben spezifische Stärken, die sie einbringen können. Sie sind nur ihrem Stiftungszweck verpflichtet und haben eine sehr hohe gesellschaftliche Anerkennung. Sie bringen eigene Netzwerke, frische Ideen, viel Expertise und auch eine finanzielle Unabhängigkeit mit. All das wollen wir für die große Sache mobilisieren. Und wir freuen uns, auf welch große Offenheit wir dabei treffen.

Wir haben daher für die privaten Stiftungen eine ganz neue Ansprechstruktur geschaffen, mit einer Servicestelle bei Engagement Global und vier so genannten EZ-Scouts in der Stiftungslandschaft, also Experten, die an einer Kooperation in der Entwicklungszusammenarbeit interessierte Stiftungen beraten. Auch die in unserem Auftrag tätige Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und die KfW-Entwicklungsbank bieten entsprechende Unterstützung an.

Sehen Sie bei der Größe der Herausforderungen auch eine Rolle für die kleineren Stiftungen? Wenn ja, welche?

Gerd Müller: Die Größe einer Stiftung sagt per se noch nichts über ihre Wirkungsmöglichkeiten aus. Mit innovativen Vorhaben und klugen Konzepten können auch kleinere Organisationen sehr viel erreichen. Wenn sie dann in den Zielländern gute Partner haben und über einige Jahre Erfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit verfügen, können wir ihre begrenzten Mittel mit Zuschüssen aus Steuermitteln noch hebeln.

Wer seinen Stiftungszweck in Deutschland verwirklichen möchte, kann sich in der Bildung für nachhaltige Entwicklung und beim globalen Lernen engagieren. Es lohnt sehr, die Ziele der Agenda 2030 und andere globale Themen bei Kindern und Jugendlichen zu verankern, denn sie sollen ja selbst ihre Zukunft im Geist der weltweiten Solidarität und Nachhaltigkeit gestalten. Ich halte das für eine sehr gute Chance, sie zu Weltoffenheit und Toleranz zu ermutigen und ihren Horizont für globale Zusammenhänge zu öffnen.

9. StiftungsImpact
Am 19. Juni diskutieren auf dem 9. StiftungsIMPACT Dr. Annette Kleinbrod (EZ-Scout), PD Dr. Stephan Klingebiel (DIE), Dr. Laura Schneider (econsense) und Klaus Milke (Sprecher Foundation20) die Frage, welchen Beitrag Stiftungen leisten können bzw. müssen, um die 17 Sustainable Development Goals (SDG) zu erreichen. Hier finden Sie weitere Infos und können sich anmelden.


Was verstehen Sie persönlich darunter, wenn Sie erklären: „Deutschland ist ein Entwicklungsland“? Welche Konsequenzen hat dieser Satz aus Ihrer Sicht für die Akteure in Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Staat?


Gerd Müller: Wir haben heute ein massives Gerechtigkeitsproblem: 20 Prozent der Menschen, nämlich wir in den Industrieländern, verbrauchen 65 Prozent der Ressourcen. Unser Wachstums- und Wirtschaftsmodell auf die ganze Welt zu übertragen, ist unmöglich. Würden alle so viel verbrauchen wie ein Bürger in Deutschland, wären 2,6 Planeten nötig, um den Bedarf zu decken.

So können wir nicht weitermachen, wir müssen unseren Lebensstil und unseren Konsum überdenken. Insofern ist auch Deutschland ein Entwicklungsland. Diese Erkenntnis ist mittlerweile nicht nur bei Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, sondern auch bei vielen Wirtschaftsvertretern und privaten Stiftungen verbreitet. Und wir begrüßen, dass sich immer mehr Partnerschaften zwischen den verschiedenen Akteuren bilden, die ein solches Umsteuern anstreben.

Obwohl die Umsetzung der Agenda 2030 die gebündelte Anstrengung aller Akteure, also Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft, erfordert, ist eine Tendenz festzustellen, dass die Handlungsspielräume zivilgesellschaftlicher Organisationen weltweit schrumpfen, Stichwort „Shrinking Spaces“. Was unternimmt die Bundesregierung, das BMZ, um dieser Tendenz gegenzusteuern?

Gerd Müller: Die Bundesregierung beobachtet den schrumpfenden Handlungsspielraum für die Zivilgesellschaft mit Sorge. Weltweit versuchen Regierungen, die Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen einzuschränken. Diese Entwicklung, der „shrinking space“ ist mittlerweile zu einem globalen Trend geworden, der nicht nur in autoritären Regimen zu beobachten ist. Das BMZ spricht problematische Entwicklungen gegenüber Partnerländern systematisch an. Gleichzeitig ist es uns ein wichtiges Anliegen, den Dialog mit der Zivilgesellschaft zu fördern und zivilgesellschaftliches Engagement für Menschenrechte und Demokratieförderung vor Ort gezielt zu unterstützen. Die Mittel der Einflussnahme von Entwicklungspolitik sind leider oftmals sehr eingeschränkt, insofern ist es wichtig, dass die EU und andere Geberstaaten hier mit einer Stimme sprechen und gemeinsam politischen Druck aufbauen.

Zur Person: Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Dr. Gerd Müller (CSU) ist seit Dezember 2013 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Der Diplom-Wirtschaftspädagoge arbeitete im Bayerischen Wirtschaftsministerium und bei der Hanns-Seidel-Stiftung. Von 1989 bis 1994 war er Mitglied im Europaparlament, seitdem ist er direkt gewähltes Mitglied im Deutschen Bundestag. Sein Wahlkreis liegt im Allgäu.

Das Interview führte Martin Block von Engagement Global, er ist Autor für die Roten Seiten von Stiftung&Sponsoring (3.2018). Das Heft zum Thema „Sustainable Development Goals: Nachhaltigkeit in Stiftungen“ erscheint am 18. Juni 2018.

(ESV/ms)

Programmbereich: Management und Wirtschaft