N. Werry: „Dauerhaft gesetzwidriges Verhalten beim Umgang mit Daten wird sich nicht auszahlen”
Frau Prof. Dr. Specht-Riemenschneider, in der digitalen Ökonomie ist vielfach von Daten als dem „neuen Gold“ die Rede. Trägt der aktuelle europäische Rechtsrahmen den neuen wirtschaftlichen Entwicklungen ausreichend Rechnung oder halten Sie neue Ausschließlichkeitsrechte oder gar ein Dateneigentum für erforderlich?
Specht-Riemenschneider: Es kommt darauf an. Bevor wir uns über die Normierung von konkreten Rechten Gedanken machen, müssen wir uns zunächst einmal klar darüber werden, welche Sachverhalte wir regulieren wollen, ob hier eine Regulierungsnotwendigkeit besteht und ob wir diese mit der Etablierung von Datenrechten – in welcher Form auch immer – adressieren müssen. Mir scheint eine verallgemeinernde Lösung hier weniger zielführend als sektorspezifische Lösungen. Nachdenken müssen wir dann derzeit v.a. über Zugangsansprüche und eine Effektivierung der Rechtsdurchsetzung im Datenschutzrecht.
Datenschutz bei vertraglichem Leistungsaustausch
Was treibt Sie an sich für die Schaffung eines sog. Datenschuldrechts einzusetzen?Specht-Riemenschneider: Mir ist es wichtig, dass datenschutzrechtliche Grundsätze auch dann gelten, wenn ich Daten als Gegenleistung in einem zivilrechtlich ausgestalteten Vertrag hingebe. Sofern dies unter Beachtung des Koppelungsverbotes überhaupt möglich ist, was ich vertrete, muss die Widerruflichkeit der Einwilligung jedenfalls im Grundsatz auch hier gelten, wenn das informationelle Selbstbestimmungsrecht nicht elementar an Bedeutung einbüßen soll.
Schwierigkeit bei Blockchain: Vollzug unbestimmter Rechtsbegriffe
Das Internet der Dinge und die Prozessautomatisierung sind auf dem Vormarsch. Dabei ermöglicht die Blockchain-Technologie prinzipiell, dass verschiedene Parteien über Netzwerke ohne Intermediäre interagieren, zum Beispiel über Smart Contracts. Welche rechtlichen Schwierigkeiten sehen Sie bei der Anwendung von Blockchain-Technologien?N. Werry: Die Blockchain wird insbesondere durch das Datenschutzrecht vor besonders große Herausforderungen gestellt. Diesbezüglich stellen sich die unterschiedlichsten Rechtsfragen. Wohl größter Konfliktpunkt ist jedoch die Tatsache, dass sich die Blockchain gerade dadurch auszeichnet, dass sie unveränderlich ist und Einträge nicht gelöscht werden können. Wird ein Smart Contract über die Blockchain abgewickelt, stellt der Vollzug unbestimmter Rechtsbegriffe eine besondere Schwierigkeit dar.
Datenrecht in der DigitalilsierungHerausgegeben von: Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider, Nikola Werry, Susanne Werry – erscheint am 01.12.2019Was ist Datenrecht? Internet der Dinge, Big Data, Künstliche Intelligenz, Blockchain, Clouds, internationale Datentransfers: Der rechtliche Umgang mit Daten im digitalen Zeitalter zählt zu den facettenreichsten Herausforderungen unserer Generation. Dieses Buch definiert erstmals das neu entstehende „Datenrecht“ in seinen wichtigsten Ausprägungen.
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„Intelligente Verträge“ setzen standardisierte Sachverhalte voraus
Können Sie kurz die wichtigsten Voraussetzungen für die Anwendung „intelligenter Verträge“ skizzieren?N. Werry: Wesentliche Voraussetzung für die Anwendung „intelligenter Verträge“ ist sicherlich ein standardisierter Sachverhalt. Wenn man es genau nimmt, ist der Begriff des sog. Smart Contract (Intelligenter Vertrag) nicht ganz treffend, da mit dem Begriff nur der Vollzug von Verträgen beschrieben wird, die selbst auch gar nicht „smart“ sind. „Smart“ impliziert eine Form von künstlicher Intelligenz, Smart Contracts funktionieren aber nur sofern und soweit zuvor Informationen und potentiell in Betracht kommenden Situationen berücksichtigt wurden. Der Leistungsaustausch erfolgt danach unter genau definierten Bedingungen automatisch durch die entsprechende Software.
Welche Gefahren resultieren aus der „Marktmacht von Daten“? Folgt aus der „Datenmacht“ einzelner Unternehmen automatisch deren Marktmacht?
Daten als neues Gold?
S. Werry: Wie Sie richtig festgestellt haben, gelten Daten in der heutigen Zeit als „neues Gold“. Entsprechend ist die natürliche Folge, dass Unternehmen, die über eine bestimmte Menge an Daten verfügen, wie beispielsweise Google oder Facebook, eine gesteigerte Macht am Markt haben. Diese Sorge hat auch das Bundeskartellamt in seinem – gegenwärtig außer Vollzug gesetzten – Beschluss gegen Facebook in diesem Jahr zum Ausdruck gebracht. Wenn Unternehmen sich an die geltenden Regeln und Gesetze halten, sind ihnen jedoch auch jetzt schon im Umgang mit Daten Grenzen gesetzt. Allein die Tatsache, über eine große Menge an Daten zu verfügen, bedeutet nicht zugleich auch, damit tun zu dürfen, was auch immer das Unternehmen will. Gerade durch das Datenschutzrecht und auch das Urheberrecht sind hier Schranken gesetzt. Viele Unternehmen halten sich allerdings nicht daran.N. Werry: Das ist richtig. Ich würde – insbesondere vor dem Hintergrund der neuesten gesetzgeberischen Entwicklungen – aber davon ausgehen, dass sich ein dauerhaft gesetzwidriges Verhalten beim Umgang mit Daten nicht auszahlen wird. Ich bin überzeugt, dass nur solche Unternehmen dauerhaft Erfolg am Markt haben werden, die es verstehen, die Herausforderungen, die ein rechtskonformer Umgang mit Daten an sie stellt, mit den Geschäftschancen in Einklang zu bringen, die sich aus der „Datenmacht“ ergeben.
Big-Data: Chancen vor allem im Gesundheitsbereich
Wo liegen die Gefahren von Big-Data-Geschäftsmodellen und welche ökonomischen Chancen bieten derartige Geschäftsmodelle?S. Werry: Big-Data-Geschäftsmodelle beinhalten viele Chancen. Denkt man beispielsweise an den Gesundheitsbereich, können Big-Data Analysen gerade auch in Kombination mit künstlicher Intelligenz nicht nur einen ökonomischen Mehrwert, sondern einen gesellschaftlichen Mehrwert bieten. Je größer der Datenpool, desto besser können Diagnosen und Behandlungen werden. Hier jedoch, wie auch in vielen anderen Bereichen, besteht die Gefahr, dass der Mensch auf bestimmte Daten reduziert wird. In der Versicherungsbranche werden inzwischen Tarife angeboten, die darauf basieren, dass sich der einzelne Autofahrer für die Versicherung gläsern macht. Ein kleines Kästchen fährt immer mit. Hier kann auf der einen Seite natürlich der ökonomische Vorteil für den einzelnen eintreten, dass der eigene Tarif genau auf ihn abgestimmt ist. Auf der anderen Seite besteht natürlich die Gefahr, dass der Kunde viel mehr Informationen von sich preisgibt, als ihm lieb ist. Wenn die gewonnenen Daten im Rahmen von Big-Data-Analysen beispielsweise mit anderen Daten kombiniert werden, können Rückschlüsse nicht nur auf das Fahrverhalten gezogen, sondern auch generelle Profile über die Person erstellt werden.
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Wer haftet wann?
In welchen Bereichen stellen sich neue Haftungsfragen?S. Werry: Dies ist eine spannende Frage, die alleine ein ganzes Buch füllen könnte. Grundsätzlich gibt es einige Bereiche, an die man klassischerweise denkt, wie beispielsweise, die Haftung für autonomes fahren. Wer haftet, wenn etwas passiert? Der Fahrer, der Hersteller, der Verkäufer, das Fahrzeug selbst? Aber nicht nur im Automobilbereich ist das Thema Haftung relevant. Auch in der Medizinbranche kann sich die Frage stellen. Wenn Maschinen bei der Diagnosestellung beteiligt sind oder diese sogar vollständig übernehmen, ist dann der behandelnde Arzt noch verantwortlich? Eine ähnliche Konstellation kann sich bei unseren beliebten Homeassistenzsystemen ergeben. Mit Siri und Alexa kann man schnell und einfach Bestellungen tätigen. Wenn nun aber nicht der Mensch, sondern der Papagei ein neues Buch bestellt, stellt sich ebenfalls die Frage nach der vertraglichen Haftung. Gerade im Hinblick auf die Herstellerhaftung ist das deutsche und europäische Recht allerdings noch nicht soweit, sämtliche Fragen zu lösen. Hier bedarf es weiterer Anpassungen.
Ein Wort zu Ihrem Werk „Datenrecht in der Digitalisierung“. Was hat Sie dazu veranlasst, dieses herauszugeben und was zeichnet es aus?
Specht-Riemenschneider: Das Handbuch ist eine Chance, den Bereich des Datenrechts erstmals abzustecken und damit ein grundlegendes Kompendium zu erstellen.
N. Werry: Die Intra- und Interdisziplinarität sowie die Internationalität, mit denen man dieses Rechtsgebiet denken muss, machen einen besonderen Reiz aus und zeichnen das Werk aus.
S. Werry: Es gibt viele Bereiche, in denen das Recht den Gegebenheiten in der Praxis hinterherhinkt, bzw. es noch Anpassungs- und Weiterentwicklungsbedarf gibt. Es ist daher notwendig, Lücken aufzuzeigen und Lösungsvorschläge zu machen.
An wen richtet es sich?
S. Werry: Es richtet sich an alle, denen in ihrer täglichen Arbeit Fragen im Hinblick auf den rechtskonformen Umgang mit Daten begegnen und damit ebenso an den Praktiker, wie an Politik und Wissenschaft.
Zu den Personen |
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(ESV/bp)
Programmbereich: Wirtschaftsrecht