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Eine frühe Mediensozialisation ist eine neue Kompetenz des Deutschunterrichts (Foto: Monkey Business/Fotolia.com)
Deutschdidaktik Grundschule

Neue Herausforderungen für den Deutschunterricht der Grundschule

ESV-Redaktion Philologie
04.09.2018
Derzeit werden in allen Bundesländern händeringend Grundschullehrer und -lehrerinnen gesucht. Dabei sind die Lehrpersonen heute mit ganz anderen Herausforderungen konfrontiert als noch vor einigen Jahrzehnten. Die gesellschaftlichen Veränderungen spiegeln sich in der Schule und müssen von Lehrkräften reflektiert werden.
Im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung liegt der Schwerpunkt der Lehrerausbildung für die Grundschule nicht mehr nur in den Bereichen Lese- und Schreibförderung – ein mehrsprachiges Klassenzimmer, ein früher Zugang der Kinder zu Smartphones, Tablets, PCs und höhere Bildungsstandards stellen neue Herausforderungen an alle Generationen von Lehrenden.

Grundlagenwerke wie unser nun bereits in 2. Auflage erschienener Band „Deutschdidaktik Grundschule“ stehen angehenden Lehrpersonen dabei hilfreich zur Seite. Den Schwerpunkt des Werks bilden aktuelle Erkenntnisse in den Bereichen Mediensozialisierung, Mehrsprachigkeit und zunehmende Kompetenzorientierung des Lehrplans. Das sind Herausforderungen, denen sich jeder Lehrende stellen muss. Mit dem richtigen Theoriewissen und einem Überblick der aktuellen Forschung zur Deutschdidaktik unterstützen wir sie dabei.
 
Lesen Sie dazu einen Auszug aus dem Kapitel „Kontexte des Deutschunterrichts“ über Mehrsprachigkeit und Multikulturalität, Medienvielfalt und Medisozialisation aus der 2. Auflage „Deutschdidaktik Grundschule“ von Anja Pompe, Kaspar H. Spinner und Jakob Ossner.

Was meint der Begriff „Mehrsprachigkeit“?

„[…] Im Vordergrund steht […] zunächst die Frage, was Didaktiker wie Schulpraktiker meinen, wenn sie von Mehrsprachigkeit sprechen. Worauf genau beziehen sie sich, wenn sie darüber diskutieren, wie es gelingen kann, die sprachlichen Kompetenzen aller Kinder zu fördern? Dabei soll deutlich werden, dass man in Theorie und Praxis zwar von einer unterrichtlichen Kompetenzerweiterung […] ausgeht, die Vorstellung von einer normativen Standardsprache aber ein Konstrukt darstellt, weil die deutsche Sprache zum einen nicht einheitlich gestaltet ist, sondern über synchrone und diachrone Varietäten und Stilebenen verfügt, zum anderen immer auch von anderen Sprachen umgeben ist. Deshalb hat man eine innere Mehrsprachigkeit, zu der dialektale und soziokulturelle Ausprägungen ebenso zählen wie unterschiedliche Stilebenen, die in verschiedenen Kommunikationssituationen angebracht sind, von einer äußeren oder sprachübergreifenden Mehrsprachigkeit unterschieden. Auf beide Formen, auf die äußere wie die innere Mehrsprachigkeit, treffen Kinder, wenn sie eingeschult werden. Denn zum einen lernen inzwischen in fast jeder Grundschulklasse Kinder, die Deutsch nicht als Erstsprache sprechen, deren Herkunftssprache also eine andere ist und die Deutsch in der Regel als Zweitsprache sprechen. […]

Zum anderen weist die Alltagssprache vieler deutschsprachiger Kinder regionale Besonderheiten auf, weil es beinahe überall […] dialektale Varietäten gibt. Dass diese von den schriftsprachlichen Standards erheblich abweichen können, ist eine Erfahrung, die nicht wenige Schulanfänger machen. Insofern begegnen alle Kinder mit dem Schriftspracherwerb der deutschen Sprache neu und anders. Auch einsprachig aufwachsende Erstklässler entdecken, dass ihre bisherigen sprachlichen Mittel, die sich an der mündlichen Alltagskommunikation orientieren, nicht ausreichen, um den unterrichtlichen Anforderungen zu entsprechen. Sie erfahren, dass sie die Schul- bzw. Bildungssprache erst noch lernen müssen. Folglich ist die Frage, wie sich in der Grundschule die Begegnung mit der inneren und äußeren Mehrsprachigkeit für alle Kinder optimal gestalten lässt, eine überaus entscheidende. Entsprechend geht es nachfolgend darum, wie es gelingen kann, die individuellen sprachlichen Vorerfahrungen aller Kinder aufzugreifen und weiter zu entwickeln. […]“

Nachgefragt bei: Dr. Anja Pompe, Prof. Dr. Kaspar H. Spinner und Prof. Dr. Jakob Ossner 06.06.2016
„Der Unterricht muss an die Kompetenzen der Kinder anknüpfen“
Wie reagiert der Deutschunterricht in der Grundschule darauf, dass Kinder heutzutage stark durch Medien sozialisiert sind? Die Autoren des Buches „Deutschdidaktik Grundschule“ berichten. mehr …

Multikulturalität und Mehrsprachigkeit

„Im Sprachunterricht der ersten Jahre geht es um den erfolgreichen Schriftspracherwerb. Er ermöglicht zum einen ein neues, reflexives Verständnis zur Sprache, weil mit dem Erwerb der Kulturtechniken Lesen und Schreiben schriftsprachliche Äußerungen zum Gegenstand der Analyse gemacht werden können. Zum anderen ist er grundlegend für die aktive Teilhabe an der sprachlichen Kultur der Gesellschaft, denn dazu gehört die Fähigkeit, unterschiedliche Texte in deutscher Sprache rezipieren und produzieren zu können. Insofern erfüllt der Deutschunterricht der Grundschule eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe, die sich an den Normen unserer Sprachkultur und den individuellen Lernvoraussetzungen der Schulanfänger orientiert. Traditionellerweise verbindet sich damit die Vorstellung von einer einheitlichen, kodifizierten und normativen Hoch- bzw. Standardsprache. Dabei darf jedoch nicht aus dem Blick geraten, dass eine variationslose Standardsprache nur ein Abstraktum darstellt und nirgendwo als solche gesprochen oder geschrieben wird. […] Gleichwohl lassen sich bestimmte Merkmale ausmachen, die einer überregionalen Kommunikationsform bzw. einer Varietät „mit der größten Reichweite“ […] zugerechnet werden können. Für den Deutschunterricht der Grundschule bedeutet dies, dass der Schriftspracherwerb zwar auf standardsprachlichen Normen basiert, Sprachkenntnisse und Erfahrungen, die sich aus der Vielfalt unserer innersprachlichen Kultur ergeben, aber nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. […]

Wie die innere Mehrsprachigkeit spielt die äußere Mehrsprachigkeit eine große Rolle. Darunter wird die Fähigkeit verstanden, eine oder mehrere weitere Sprachen zu erlernen. Dazu tragen mit dem Unterricht in Englisch, Französisch, Spanisch, Latein und Altgriechisch nicht nur die neuen und alten Fremdsprachen im schulischen Fächerkanon bei, sondern auch die Sprachen, die Kinder mit nichtdeutscher Erstsprache sprechen und Deutsch in der Regel als Zweitsprache erwerben. Dabei macht es einen Unterschied, ob der Erstspracherwerb sich auf zwei Sprachen bezieht, ein Kind also parallel und von Geburt an die deutsche Sprache neben einer anderen erwirbt, weil es in einer zweisprachigen Familie aufwächst, oder ob es nach dem Erstspracherwerb zeitlich versetzt die deutsche Sprache als eine neue, zweite Sprache lernt. Während es sich im ersten Fall um einen bilingualen Erstspracherwerb handelt, spricht die Forschung im zweiten Fall vom Zweitspracherwerb. Erfolgt dieser ab dem dritten Lebensjahr in und durch die Alltagskommunikation des Kindes, wird er als früher, ungesteuerter Zweitspracherwerb bezeichnet. Lernt ein Kind die deutsche Sprache dagegen erst im schulischen Kontext, weil es ansonsten keine oder nur sehr wenig Gelegenheit hat, mit dem Deutschen in Kontakt zu treten, können die Grenzen zwischen zweit- und fremdsprachlicher Erwerbssituation verschwimmen. Dies ist zum Beispiel bei Kindern in Vorbereitungsklassen der Fall, die sich die deutsche Sprache ungesteuert in ihrem Alltagsgebrauch und gleichzeitig gesteuert in einer fremdsprachlichen Erwerbssituation aneignen. […]“

Medienvielfalt und Mediensozialisation

„Ein sprachförderlicher Deutschunterricht, der den Lernvoraussetzungen aller Kinder gerecht werden will, fragt nicht nur nach den soziokulturellen Hintergründen, sondern berücksichtigt neben entwicklungspsychologischen Faktoren und Leistungsunterschieden auch bestimmte Erfahrungen, Interessen und Neigungen. Dies gilt nicht zuletzt für die Vorkenntnisse und Vorlieben, die Lernende aus ihrer medialen Lebens- und Alltagswirklichkeit mit in die Schule bringen. Damit das gelingt, sind Lehrer darauf angewiesen, dass die Didaktik mediale Rezeptionserfahrungen erforscht und darstellt, welche Anknüpfungspunkte sich für den Deutschunterricht ergeben.

Die Antwort auf die Frage, was ein Medium ist, fällt nicht leicht. Denn zum einen wird der Begriff auf unterschiedliche Weise in den einzelnen Wissenschaften, die ihn verwenden, bestimmt. […] Zum anderen hat sich bisher keine der verfügbaren Begriffsbestimmungen in der Didaktik etabliert. Eine erste Annäherung kann aber über die Etymologie des Wortes erfolgen. […] Denn die zugrundeliegende Substantivierung des lateinischen Adjektivs „medius“ verweist auf die Verbindung zwischen zwei Positionen und darauf, dass sich in der Mitte dieser Position etwas befindet. Beide Aspekte, das, worüber eine Verbindung hergestellt, und das, was inhaltlich übermittelt wird, vereinen sich daher im Medienbegriff. […]

Im Anschluss an die terminologische Bestimmung des Medienbegriffs ist es möglich, sich der Frage nach der Rolle der Medien im Sozialisationsprozess zuzuwenden. Sie wird im Wesentlichen von der Mediensozialisationsforschung untersucht. Weil der Begriff der Mediensozialisation zum einen die Sozialisation durch Medien, zum anderen die Sozialisation zum Umgang mit Medien erfasst, enthält die Frage zwei Aspekte. Das ist einerseits die Frage, wie Medien, vor allem neue Medienangebote, die Sozialisation verändern und ob es sich dabei jeweils um entwicklungsfördernde oder -hemmende Veränderungen handelt. Diese Frage gilt den Medieneffekten in unterschiedlichen Kontexten, betrifft also die Einflüsse, die Medien auf soziale Beziehungen, Werte und Verhaltensdispositionen ausüben. Andererseits ist es die Frage, wie Kinder Medien nutzen. Sie zielt im Wesentlichen auf Vorlieben. Ihre Beantwortung ist für Lehrende besonders wichtig, weil sie ihnen hilft, den Vorkenntnissen und Interessen gerecht zu werden, die Lernende aus ihrer medialen Lebens- und Alltagswirklichkeit mit in die Schule bringen. Drei Aspekte zeichnen sich hier derzeit ab: zum Ersten die Präferenz tertiärer und quartärer Medien, zum Zweiten die Bedeutung geschlechtsspezifischer Unterschiede und zum Dritten die Relevanz erwachsener Bezugspersonen.“

(ESV/pa)
 
Deutschdidaktik Grundschule

Jun.-Prof. Anja Pompe, Professor Dr. Kaspar H. Spinner, Professor Dr. Jakob Ossner

Der vorliegende Band führt in die Didaktik des Deutschunterrichtes in der Grundschule ein. Er vermittelt die wesentlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Grundlagen und zu den einzelnen Arbeitsbereichen des Unterrichts. Dabei wird immer der Bezug zum konkreten Unterrichtshandeln hergestellt, häufig sogar von ihm ausgegangen, so dass die Leserinnen und Leser die Praxisrelevanz der Fragen und Ausführungen erkennen, die in der Deutschdidaktik und den geisteswissenschaftlichen Bezugsdisziplinen derzeit diskutiert werden.

Anja Pompe ist Juniorprofessorin für Literatur- und Mediendidaktik der Primarstufe an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster; Verfasserin von mehreren Publikationen zum medienästhetischen Lernen im heterogenen, potentialorientierten Lese- und Literaturunterricht aller Klassenstufen.

Kaspar H. Spinner ist emeritierter Professor an der Universität Augsburg, Dr. Dr. h.c. Langjähriger Mitherausgeber der Zeitschrift PRAXIS DEUTSCH. Verfasser vieler Publikationen, vor allem zum Lese- und Literaturunterricht in allen Klassenstufen.

Jakob Ossner ist Dr. phil., em. Professor für Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik. Von 2004 – 2016 Mitglied des Rats für deutsche Rechtschreibung; Herausgeber von Unterrichtswerken und Verfasser zahlreicher Publikationen zu Schreiben und Grammatik.

Programmbereich: Germanistik und Komparatistik