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In Alphabetisierungskursen ist viel Unterstützung nötig (Foto: pressmaster – stock.adobe.com)
Nachgefragt bei: Dr. Britta Marschke

„Nutzen Sie die Muttersprache der Lernenden als Ressource“

ESV-Redaktion Philologie
23.09.2022
Erst die Beherrschung der lateinischen Schriftsprache gemeinsam mit grundlegenden Deutschkenntnissen ermöglichen Migrantinnen und Migranten die Teilhabe an der deutschen Gesellschaft. Doch nicht nur die Lernenden stehen in Alphabetisierungskursen vor der doppelten Herausforderung Sprache und Schrift: Auch die Lehrenden müssen den Anforderungen gerecht werden und benötigen spezielle Ansätze und Methoden im Unterricht.
Die Umsetzung erweist sich jedoch oftmals als schwierig. Im Handbuch der kontrastiven Alphabetisierung wird genau diese Thematik aufgegriffen, um theoretische Grundlagen der kontrastiven Alphabetisierung sowie neue Anregungen für die Gestaltung der Lehre zu schaffen. Die Theorie wird mit praktischen Beispielen, konkreten Ideen und Materialien ergänzt. Über das von ihr herausgegebene Handbuch spricht Dr. Britta Marschke mit uns.

Liebe Frau Marschke, wie steht es um die Alphabetisierung in Deutschland heute?


Britta Marschke: Die Level-One Studie 2018 (LEO-Studie 2018) hat aufgezeigt, dass knapp 47 Prozent der gering literalisierten Erwachsenen in Deutschland als erste Sprache eine andere Sprache als Deutsch gelernt haben. Sie machen 2,9 Millionen der 6,2 Millionen gering Literalisierten in Deutschland aus. Zudem gibt es fortlaufend Angebote des BAMF zu Integrationskursen mit Alphabetisierung für diejenigen, die neben den mangelhaften Schriftsprachkenntnissen auch wenig oder keine Deutschkenntnisse mitbringen. 2021 gab es über 14.000 Lernende bundesweit in Integrationskursen mit Alphabetisierung. Der Bedarf ist also groß!

Was brauchen Alpha-Lehrkräfte besonders?

Britta Marschke: Alpha-Lehrkräfte brauchen besonders viel Geduld und umfangreiche, besondere methodische Kenntnisse. Sie werden aber für den Einsatz belohnt – die Lernenden entwickeln in der Regel eine enge Bindung zu „ihrer Lehrerin“.

Was genau ist das Projekt KASA, das im Handbuch u. a. vorgestellt wird?

Britta Marschke: Das Projekt „Kontrastive Alphabetisierung im Situationsansatz – KASA“ bietet niedrigschwellige Alphabetisierungskurse für türkisch-, arabisch- und persischsprachige Migrant:innen an. Das Projekt hat seit 2012 in acht Bundesländern über 1.500 Lernende geschult. Die besondere Methode des Projekts ist der kontrastive und lebensweltliche Ansatz.

Ein Handbuch zur kontrastiven Alphabetisierung – das wirkt wie ein Mammutprojekt. Wie kam es dazu?

Britta Marschke: Der Ansatz scheint uns eine gute und zusätzliche Methode zu sein, die deutsche Sprache und Schrift zu erlernen. Immer wieder trafen wir auf Lernende, die glücklich waren, da sie eigenen Angaben zufolge endlich etwas verstanden hätten. Wir wollen unsere Erfahrungen mit der Methode praxisnah weitergeben, damit möglichst viele Lehrkräfte den Ansatz (besser) kennenlernen können.

Wie genau ist das Handbuch entstanden?

Britta Marschke: Viele haben mitgearbeitet! Im Handbuch tragen Praktiker:innen und Expert:innen neben Definitionen, Fachinformationen und Unterrichtsmethoden auch Erfahrungsberichte zusammen. Sie lernen am Beispiel des Modellprojekts „Kontrastive Alphabetisierung im Situationsansatz“ (KASA) ein mögliches kontrastives Vorgehen und umfangreiche Beispielmaterialien kennen und erfahren von praxisrelevanten neuen Forschungsfragen sowie Transfererfolgen.

Wer kann und sollte damit arbeiten?

Britta Marschke: Jede und jeder kann im Deutsch als Zweitspracheunterricht damit arbeiten, ob Integrationskurs oder ehrenamtliches Lernangebot. Das Handbuch zeigt zusätzliche Methoden auf, um den Unterricht noch erfolgreicher zu gestalten. Zusätzlich zu den praktischen Unterrichtsmaterialien und Einblicken in aktuelle Studien und Projekte werden den Leser:innen viele Tipps und Handreichungen angeboten, die verschiedene Aspekte der Planung und Gestaltung des kontrastiven Alphabetisierungsunterrichts thematisieren. QR-Codes im Buch ermöglichen weitergehende Einblicke – Audios, Videos und kostenfreie Unterrichtsmaterialien. Wir hoffen, dass wir mit dem Handbuch Mut machen können, um die Kontrastive Alphabetisierung zu erproben.

Was ist Ihr persönlicher Geheimtipp zum erfolgreichen Unterricht in Alphabetisierungskursen?

Britta Marschke: Nutzen Sie die Muttersprache der Lernenden als Ressource! Die kontrastive Alphabetisierung bezieht die Erst- bzw. Herkunftssprachen der Lernenden von Beginn an in den Unterricht ein. Natürlich beherrscht eine Lehrkraft nicht alle Sprachen ihrer Lernenden. Aber die Lernenden sind Expert:innen ihrer Herkunftssprachen. Die Kompetenzen der Teilnehmenden zu ihren Sprachen entlasten die Lehrkraft durch bereichernde Sprachvergleiche, hohe Motivation und besseres Verständnis. Die Lehrkräfte sind zudem Lernende, können ihr eigenes Wissen stetig erweitern und eine konstruktive und produktive Fehlerkultur vorleben. Probieren Sie es aus!

Dr. Britta Marschke

Britta Marschke (Dr. phil.), geb. 1963, leitet als Mitgründerin und Geschäftsführerin die Migrantenorganisation „Gesellschaft für Interkulturelles Zusammenleben (GIZ) gGmbH“ in Berlin. Sie war Lehrbeauftragte u. a. an der Freien Universität Berlin am Fachbereich Erziehungswissenschaft und wissenschaftliche Referentin für Migrations- und Flüchtlingspolitik im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie konzipiert und realisiert verschiedene Projekte im Bildungs- und Integrationsbereich. Seit 2012 leitet sie Projekte der kontrastiven Alphabetisierung.

Handbuch der kontrastiven Alphabetisierung
Herausgegeben von: Dr. Britta Marschke

Alphabetisierungskurse erfordern besondere Herangehensweisen, Methoden und Ansätze bei der effizienten Vermittlung der deutschen Sprache und Schrift. Das Handbuch bietet theoretische Grundlagen der kontrastiven Alphabetisierung sowie Anregungen für den Transfer in die Praxis. Der Einsatz der Muttersprachen ist im Curriculum der Integrationskurse (BAMF) empfohlen. Die praktische Umsetzung hingegen ist oftmals schwierig.
Der vorliegende Sammelband vereint erstmals Theorien der kontrastiven Alphabetisierung mit der Darstellung eines erprobten Methodenrepertoires und praktischen Beispielen für den Unterricht. Ideen und Materialien sowie Videos für den Unterrichtsalltag sind eingebunden und stehen zum kostenfreien Download bereit. Die Sprachen Türkisch, Arabisch und Persisch stehen im Mittelpunkt der Publikation. Erfahrungen der Lehrkräfte und der Lernenden ergänzen die Ausführungen.

Programmbereich: Deutsch als Fremdsprache