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OLG Celle: Der Anwalt des Beklagten durfte annehmen, dass die Videokonferenz über den Einwahllink des Gerichts funktioniert (Foto: JackF / stock.adobe.com)
Videoverhandlung im Zivilprozess

OLG Celle zum Scheitern einer Bild- und Tonübertragung im Zivilverfahren

ESV-Redaktion Recht
04.10.2022
Im Zivilprozess sind über § 128a ZPO Videoverhandlungen möglich. Doch was gilt, wenn eine Partei durch technische Probleme nicht an einem Videotermin teilnehmen kann? Hierüber hat das OLG Celle in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss entschieden.
In dem Streitfall ging es – zunächst vor dem LG Verden – um die Erfüllung eines Kaufvertrages. Gegenstand des Vertrages war ein gebrauchtes Wohnmobil. Im Rahmen des Ausgangsverfahrens setzte das LG für den 08.02.2022 einen Verhandlungstermin an, verbunden mit einer Beweisaufnahme. Dabei erlaubte es den Parteien und Prozessbevollmächtigten die Teilnahme per Videokonferenz.
 
In dem Termin funktionierte jedoch nur die Verbindung mit dem Kläger. Der Bevollmächtigte des Beklagten konnte technisch bedingt nicht teilnehmen. Daraufhin beantragte der Klägervertreter ein Versäumnisurteil (VU). Dem folgte das Ausgangsgericht nicht, sondern vertagte den Termin über den Antrag auf Erlass des VU gemäß § 337 Satz 1 ZPO von Amts wegen.
 
Nach dem späteren Vortrag des Beklagtenvertreters hatte dieser sich am Verhandlungstermin zusammen mit seinem Mandanten in seiner Kanzlei befunden. Dort war auch eine Videokonferenzanlage eingerichtet. Eine Verbindung zum Gericht konnte er dennoch nicht herstellen, obwohl er es mehrfach versucht hatte. Im Übrigen hatte er an Eides statt versichert, dass er alle Vorbereitungen für den Videotermin getroffen habe. Die technischen Gründe, aus denen keine Bild- und Tonübertragung zustande kam, konnten später nicht mehr aufgeklärt werden.
 
Nach alledem wies das LG Verden den klägerischen Antrag auf Erlass eines VU zurück. Die Ausgangsinstanz sah keine schuldhafte Säumnis des Beklagten im Videotermin. Demnach hatte sein Vertreter alle notwendigen Maßnahmen zur Abhaltung der Videokonferenz getroffen. Gegen den Zurückweisungsbeschluss wendete sich der Kläger dann mit einer sofortigen Beschwerden an das OLG Celle. 
 
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OLG Celle: Keine Überspannung der anwaltlichen Sorgfaltspflichten

Auch vor der Beschwerdeinstanz hatte das Anliegen des Klägers keinen Erfolg. Demnach war der Beklagte zwar säumig, weil weder er noch sein Prozessvertreter anwesend waren und auch keine Bild- und Tonübertragung stattgefunden hatte. Allerdings war die Säumnis nicht schuldhaft, was das OLG im Wesentlichen wie folgt begründete:
 
  • Störung dem Beklagten nicht zuzurechnen: Dass die technischen Gründe, die am fraglichen Tag eine Videoübertragung verhinderten, nicht mehr aufzuklären waren, ist der Beklagtenseite nicht zuzurechnen. 
  • Zur anwaltlichen Sorgfaltspflicht: Insoweit prüfte das OLG die Sorgfaltspflichten eines Anwalts, zu denen es gehören kann, gerichtlich angebotene Testmöglichkeiten wahrzunehmen oder technische Hinweise des Gerichts zu berücksichtigen. Die Ausgangsinstanz hatte aber weder eine Testmöglichkeit angeboten noch Hinweise erteilt.
  • Keine besonderen technischen Kenntnisse zu Teilnahme an der Videokonferenz erforderlich: Dem OLG zufolge ist es auch unerheblich, dass der Beklagtenvertreter das vom Gericht zur Verfügung gestellte Einwahlprogramm zum ersten Mal nutzte, denn es können keine besonderen technischen Kenntnisse zur Teilnahme an der Videokonferenz gefordert werden.
  • Vertrauen in den Einwahllink: Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten durfte sich daher darauf verlassen, dass eine Bild- und Tonübertragung mit dem ihm vom Gericht zur Verfügung gestellten Einwahllink zustande kommen würde.
  • Keine Anhaltspunkte für technische Probleme oder Missbrauch: Ebenso wenig hatte der Bevollmächtigte der Beklagten konkrete Anhaltspunkte für technische Probleme. Auch Hinweise auf ein missbräuchliches Vorschieben einer technischen Panne sah das OLG nicht.
  • Keine Einwahlpflicht über Mobiltelefone: Nach Auffassung des Klägers war es dem Beklagten und seinem Prozessbevollmächtigten zwar zuzumuten, sich über ein oder mehrere Mobiltelefone in die Konferenz einzuwählen. Aber auch dieses Argument verfing nicht, weil dem OLG zufolge eine solche Teilnahme nicht den Vorgaben von § 128a Abs. 1 ZPO an eine Bild- und Tonübertragung genügt. Der Grund: Videokonferenzen müssen der Situation einer Verhandlung vor Ort hinreichend nahekommen, um das rechtliche Gehör aller Beteiligten sowie die Grundsätze der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit zu wahren. Daher müssen sich alle Beteiligten zur gleichen Zeit visuell und akustisch wahrnehmen können, und zwar verbal wie nonverbal. Diese Möglichkeiten bieten Bildschirme von Mobiltelefonen nicht. Dies gilt erst recht für den angesetzten Termin, bei dem im Rahmen einer Beweisaufnahme auch Zeugen vernommen werden sollten. Hierbei kommt es dem Gericht zufolge besonders auf die Wahrnehmung von Details an. 
Abschließend, so das Gericht aus Celle weiter, darf der Einsatz der Videokonferenztechnik nicht so erschwert werden, dass deren Nutzung mehr Risiken birgt als das persönliche Erscheinen im Gericht.
 
Quelle: Beschluss des OLG Celle vom Beschluss vom 15.09.2022 – 24 W 3/22


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Im Wortlaut: § 128 a ZPO Absätze 1 und 2 – Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung 
1) 1Das Gericht kann den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. 2Die Verhandlung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen.
 
(2) 1Das Gericht kann auf Antrag gestatten, dass sich ein Zeuge, ein Sachverständiger oder eine Partei während einer Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. 2Die Vernehmung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen. 3Ist Parteien, Bevollmächtigten und Beiständen nach Absatz 1 Satz 1 gestattet worden, sich an einem anderen Ort aufzuhalten, so wird die Vernehmung auch an diesen Ort übertragen.

§ 337 ZPO – Vertagung von Amts wegen (Auszug)
 
1Das Gericht vertagt die Verhandlung über den Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils …, wenn es dafür hält, dass  ... die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert ist. 2Die nicht erschienene Partei ist zu dem neuen Termin zu laden.
 
 

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(ESV/bp)
 

Programmbereich: Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht