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OLG Frankfurt a. M.: Ob Reisen wegen ernsthaften Beeinträchtigungen kostenlos storniert werden können, ist prognostisch zu bewerten (Foto: stock.adobe.com)
Reisestornierung aufgrund von Corona

OLG Frankfurt a. M. zur Entschädigung eines Reiseveranstalters bei coronabedingter Stornierung

ESV-Redaktion Recht
04.07.2022
Reiseveranstalter sehen in ihren AGB regelmäßig vor, dass der Veranstalter eine Entschädigung verlangen kann, wenn der Kunde die Reise storniert. Der Anspruch ist aber ausgeschlossen, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, die die Reisedurchführung erheblich erschweren können. Praktisch relevant wird diese Frage oft bei Rücktritten, die auf Corona gestützt werden. Nun hat das OLG Frankfurt a. M. hierzu eine interessante Entscheidung getroffen.
In dem Streitfall hatte der Kläger für seine Frau und sich bei der Beklagten eine Pauschalreise nach Kanada gebucht. Diese sollte im Juli/August 2020 stattfinden, der Reisepreis betrug etwa 6.000 Euro. Nach den Reisebedingungen sollte dem Veranstalter eine Entschädigung zustehen, wenn der Kunde von der Reise zurücktritt. Bei einem Rücktritt bis zum 31. Tag vor Reisebeginn hätte die Entschädigung 25 Prozent des Reisepreises betragen. Der Anspruch sollte entfallen, wenn am Zielort außergewöhnliche und unvermeidbare Umstände auftreten, die die Durchführung der Reise erheblich beeinträchtigen können.
 
Mitte März 2020 informierte der Kläger den Reiseveranstalter darüber, dass er unter Corona litt. Angesichts dessen und der Umstände in Kanada stornierte er die Flugreise und verlangte den vollen Reisepreis zurück. Nach Erhebung der Klage vor dem LG Frankfurt (2-24 O 408/20) erstattete der Reiseveranstalter dann 90 Prozent des Reisepreises. Die Ausgangsinstanz verurteilte den beklagten Veranstalter aber auch zur Zahlung streitigen restlichen 10 Prozent. Hiergegen zog der beklagte Veranstalter mit einer Berufung vor das OLG Frankfurt a. M. 


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OLG Frankfurt a. M.: Wahrscheinlichkeit für Reisebeeinträchtigung von etwa 25 Prozent reicht aus

Das Rechtsmittel blieb erfolglos. Auch nach Meinung der Berufungsinstanz kann der Kläger die Rückerstattung der restlichen 10 Prozent verlangen. Dem OLG zufolge ist ein Entschädigungsanspruch wegen der Stornierung ausgeschlossen, weil unvermeidbare außergewöhnliche Umstände vorlagen, die die Durchführung der Reise erheblich beeinträchtigen konnten. Die weiteren Überlegungen des OLG:
 
  • Reisebeeinträchtigung prognostisch zu beurteilen: Die Frage, ob der Reise eine erhebliche Beeinträchtigung droht, ist dem Gericht zufolge im Rahmen einer Prognose zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung zu beurteilen. Später eingetretene veränderte Umstände sind unerheblich.
  • Prognosewahrscheinlichkeit von etwa 25 Prozent reicht aus: Hierbei ist es nicht erforderlich, dass die Durchführung der Reise mit erheblicher oder überwiegender Wahrscheinlichkeit beeinträchtigt wird. Vielmehr reicht im Regelfall eine Wahrscheinlichkeit von 20 bis 25 Prozent  aus. Hier liegt dem OLG zufolge auch die Grenze zwischen einer nur subjektiv empfundenen Gefahr und der sachlich begründeten Befürchtung einer erheblichen Beeinträchtigung.
  • Prognosewahrscheinlichkeit gegeben: Eine solche Wahrscheinlichkeit sahen die Frankfurter OLG Richter hier als gegeben an. Demnach waren sich die Parteien bereits einig darüber, dass am Zielort zum Zeitpunkt des Rücktritts schon Reisebeschränkungen aufgrund von Corona bestanden. Deshalb lag auch ein unberechenbares Geschehen vor, für dessen weitere Entwicklung im März 2020 keine belastbaren Prognosen möglich waren. Kann bei zwei Alternativen aber keine Aussage über die jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeiten getroffen werden, ist eine jeweilige Wahrscheinlichkeit von 50:50 anzunehmen, so die Frankfurter OLG-Richter weiter.
  • Kein weiteres Abwarten des Reisenden erforderlich: Auch wenn der Zeitraum zwischen Rücktritt und Reisebeginn vier Monate betragen hat, hätte der Kläger nicht noch abwarten müssen, wie sich das Geschehen weiterentwickelt. Der Grund: Dem Gericht zufolge hat eine solche Wartefrist weder eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage noch war dem Kläger aus Billigkeitsgründen ein weiteres Warten zuzumuten.
Das OLG hat die Revision gegen sein Urteil zugelassen.

Quelle: PM des OLG Frankfurt a. M. vom 30.06.2022 zum Urteil vom selben Tag – 16 U 132/21


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