
OLG Hamm zur Fürsorge-und Verkehrssicherungspflicht eines Krankenhauses gegenüber Patienten
Am dritten Behandlungstag kletterte die Patientin spät abends unbemerkt aus dem Zimmerfenster. Dabei stürzte sie auf ein Vordach, das sich etwa fünf Meter unter dem Fenster befand und zog sich dabei unter anderem Rippenfrakturen, eine Lendenwirbel-, eine Oberschenkel- und eine Beckenringfraktur zu. Diese Verletzungen wurden in einer anderen Klinik operativ versorgt. Später starb die Patientin in einem Pflegeheim.
Klage in erster Instanz erfolglos
Die klagende Krankenkasse der Patientin verlangt von dem beklagten Krankenhausträger für die unfallbedingte Heilbehandlung und ein Krankenhaustagegeld etwa 93.300 Euro. Die Klägerin meint, dass der Beklagte ihr diese Kosten wegen unzureichender Sicherungsmaßnahmen ersetzen muss. Die Vorinstanz hatte die Klage abgewiesen.Newsletter Recht |
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OLG Hamm: Krankenhaus hat Fürsorge-und Verkehrssicherungspflicht
Der 26. Zivilsenat des OLG Hamm teilte die Auffassung der Vorinstanz nicht. Danach hat die Klägerin gegen den beklagten Krankenhausträger einen Anspruch auf den geltend gemachten Schadensersatz aus übergegangenem Recht.Nach Auffassung des Senats hat das Krankenhaus gegen seine vertraglichen Fürsorgepflichten und gegen die ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht verstoßen.
Ein Krankenhaus, so der Senat weiter, habe seine Patienten in den möglichen und zumutbaren Grenzen, vor Schäden und Gefahren zu schützen, und zwar so weit, wie der körperliche und geistige Zustand der Patientin dies erforderlich mache. Dieser Verpflichtung sei die Beklagte nicht gerecht geworden.
Die tragenden Entscheidungsgründe des OLG
Bereits aus der Dokumentation des Krankenhauses schlossen die Richter aus Hamm, dass das Verhalten der Patientin auch am Unfalltage unberechenbar gewesen sein soll. So habe die Patientin auch an diesem Tage aus ihrem Krankenzimmer flüchten wollen.Das Fenster dieses Zimmers konnte die Patientin über einen davor stehenden Tisch und einen Stuhl erreichen. Zudem war das Fenster über einen nicht verschließbaren Fenstergriff zu öffnen.
Auch der medizinische Sachverständige hat dem Richterspruch zufolge bestätigt, dass Patienten mit einem derartigen Krankheitsbild praktisch unberechenbar sind.
Bei dieser Sachlage sahen die OLG-Richter das Krankenhaus wie folgt in der Pflicht:
- Das Personal der Beklagten hätte auch einen Fluchtversuch durch das Fenster des Krankenzimmers erwägen müssen.
- Damit hätte das Öffnen dieses Fensters durch die Patientin verhindert werden können.
- Alternativ hätte die Patientin in ein ebenerdig gelegenes Krankenzimmer verlegt werden müssen.
Quelle: PM des OLG Hamm vom 19.04.2017 - AZ: 26 U 30/16
Weiterführende Literatur |
Die Fachzeitschrift KRS Krankenhaus-Rechtsprechung, herausgegeben vom Erich Schmidt Verlag, Schriftleitung Dr. jur. Behrend Behrends, erscheint monatlich mit den wichtigsten Entscheidungen der obersten Gerichte mit richtungweisenden Entscheidungen der unteren Instanzen zum gesamten Krankenhausrecht. Hierzu zählen unter anderem das Krankenhausfinanzierungs- und -entgeltrecht, das Vertrags- und Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung sowie das Arbeitsrecht und das Steuerrecht. Die Zeitschrift ist auch als eJournal erhältlich. |
(ESV/bp)
Programmbereich: Sozialrecht und Sozialversicherung