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Auf ausreichende Beratung sollten Ärzte besonderen Wert legen (Foto: goodluz / stock.adobe.com)
Arzthaftung

OLG Karlsruhe zu Schadenersatzansprüchen wegen fehlendem Hinweis auf etwaige Behinderung des ungeborenen Kindes

ESV-Redaktion Recht
02.03.2020
Wann können Eltern eines behinderten Kindes Ansprüche auf Schadensersatz haben, wenn sie von den behandelnden Ärzten nicht auf das Risiko einer schweren Behinderung ihres ungeborenen Kindes hingewiesen wurden? Mit dieser Frage hat sich jüngst das OLG Karlsruhe befasst.
In dem Streitfall befand sich die Mutter des Kindes im Jahr 2011 wegen der Betreuung ihrer Schwangerschaft in dem beklagten Krankenhaus. Bereits ein Jahr vorher brach sie schon einmal eine Schwangerschaft aufgrund eines „Turner-Syndroms“ ab. Dieser Befund lag dem Krankenhaus vor.

Aus einer im November 2011 durchgeführten MRT-Untersuchung ergab sich eine Balkenagenesie. Das heißt, es fehlt eine Verbindung zwischen der rechten und linken Hirnhälfte – das sogenannte Corpus callosum. Zwar kommen betroffene Kinder in solchen Fällen meist gesund zur Welt. Allerdings treten bei 12 Prozent schwere Behinderungen auf. Nachdem die Klägerin das Kind zur Welt brachte, zeigte sich, dass es an schweren körperlichen und geistigen Einschränkungen leidet. So sind die Augen des Kindes fehlgebildet. Es kann nicht laufen, krabbeln, sprechen und greifen. Auch der Schluckreflex des Kindes ist schwer gestört. Darüber hinaus erfordert eine starke, therapieresistente Epilepsie eine erhöhte Fürsorge und eine dauernde Rufbereitschaft.


Kläger: Keine genügende Aufklärung

Daraufhin verlangten die Eltern von dem Krankenhaus und den behandelnden Ärzten Ersatz des Mehraufwandes, der durch die Betreuung ihres schwer behinderten Kindes entsteht. Sie meinen, dass sie nicht auf das Risiko einer schweren Behinderung hingewiesen worden seien. Bei Kenntnis, so die Kläger weiter, hätte die Mutter die Schwangerschaft abgebrochen. Vor der Ausgangsinstanz scheiterten die Eltern allerdings.

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OLG Karlsruhe: Eltern wollten frühzeitig und erkennbar über alle möglichen Schädigungen aufgeklärt werden

Ihre Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil hatte jedoch Erfolg. Der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe hat der Klage überwiegend stattgegeben. Den Eltern des Kindes hat er Schadenersatzansprüche zugesprochen. Zudem kann die Mutter ein Schmerzensgeld von 20.000 Euro verlangen. Die wesentlichen Erwägungen des Senats:
  • Eltern nicht ausreichend informiert: Die Ärzte hätten die Kläger auf das Risiko einer schweren Behinderung hinweisen müssen. So wollten die Eltern schon früh über mögliche Schädigungen informiert werden. Dieses war für die behandelnden Ärzte auch erkennbar. Zwar wurden die Eltern im Arztgespräch auf mögliche Verzögerungen in der Entwicklung hingewiesen. Die Information über die Risiken einer schweren Behinderung und schwerer Schädigungen hätten die Ärzte den Eltern aber nicht vorenthalten dürfen.
  • Verletzung des Behandlungsvertrages: Diese umfassende Hinweispflicht ergibt sich dem Gericht zufolge aus dem Behandlungsvertrag.
  • Mutter hätte Schwangerschaft abgebrochen: Nach Anhörung der Mutter kam das OLG auch zu dem Ergebnis, dass diese bei Kenntnis des Risikos einer schweren Behinderung die Schwangerschaft abgebrochen hätte.
  • Schwangerschaftsabbruch gerechtfertigt: Zudem wäre ein Schwangerschaftsabbruch nach § 218a Absatz 2 StGB gerechtfertigt gewesen. Ein Sachverständiger hatte schon vor der Entbindung auch schwere psychische Beeinträchtigungen bei der Mutter festgestellt.  
  • Schmerzensgeld: Im Hinblick auf die psychischen Folgen sprach das OLG der Mutter ein Schmerzensgeld von 20.000 Euro zu.
  • Erhöhte Unterhaltspflichten und vermehrter Pflegeaufwand: Da die Eltern gegenüber ihrem Kind – im Vergleich zu einem normal entwickelten Kind – erhöhten Unterhaltsansprüchen ausgesetzt sind, hat das Gericht den Eltern auch insoweit einen Schadenersatz zuerkannt. Zudem ist den Eltern der höhere Pflegeaufwand zu ersetzen. 

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  • Welche prozessrechtlichen Probleme sind zu beachten? 
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Quelle: PM des OLG Karlsruhe vom 21.2.2020 zum Urteil vom 19.2.2020 – 7 U 139/16

(ESV/bp)

Programmbereich: Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht