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OLG Stuttgart: Nur konkret Ansteckungsverdächtige oder sonstige Träger von Krankheitserregern haben Ansprüche auf Entschädigung (Foto: Alexander Limbach / stock.adobe.com)
Entschädigungsansprüche aufgrund von Betriebsstillegung

OLG Stuttgart: Keine Entschädigungsansprüche eines Frisiersalons gegen Baden-Württemberg aufgrund von Schließung wegen Corona

ESV-Redaktion Recht
10.02.2022
Können Gewerbetreibende Entschädigungsansprüche gegen ihr Bundesland haben, wenn deren Betrieb aufgrund von Corona schließen musste? Mit dieser Frage hat sich das OLG Stuttgart im Rahmen eines Berufungsverfahrens beschäftigt. Sachlich ging es um die Schließung eines Frisörbetriebs.
In dem Streitfall musste der Frisiersalon der Klägerin im Landkreis Heilbronn aufgrund der CoronaVO des Landes vom 23.03.2020 bis 04.05.2020 schließen. Die Klägerin erhielt zwar 9.000 Euro aus dem Soforthilfeprogramm des Landes Baden-Württemberg. Diesen Betrag musste sie jedoch zurückzahlen. Nun verlangte sie von dem beklagten Land die Zahlung einer Entschädigung von 8.000 Euro. Da das Land eine Entschädigungszahlung ablehnte, zog sie vor das LG Heilbronn – allerdings ohne Erfolg.

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OLG Stuttgart: Klägerin als reine „Kontaktmultiplikatorin“ nicht vom Anwendungsbereich des IfSG erfasst

Auch vor dem Berufungsgericht – dem 4. Zivilsenat des OLG Stuttgart – erging es der Klägerin nicht besser. Wie die Vorinstanz sah auch der Senat keine Anspruchsgrundlage für die Forderung. Demnach war die Betriebsschließung verhältnismäßig. Insoweit berief sich der Senat auf das BVerfG, das in einem vergleichbaren Fall zum gleichen Ergebnis gekommen sein soll. Die weiteren Erwägungen des Senats:  
 
  • Kein unmittelbarer Anspruch aus § 56 IfSG: Die Klägerin kann ihren Anspruch nicht auf § 56 Absatz 1, Satz 1 IfSG stützen. Schon nach dem Wortlaut dieser Norm hätten nur Ansteckungsverdächtige, Ausscheider oder sonstige Träger von Krankheitserregern Ansprüche auf Entschädigung. Damit würde die Klägerin als sogenannte „Kontaktmultiplikatorin“ vom Anwendungsbereich der Norm nicht erfasst, so der 4. Zivilsenat des OLG Stuttgart.
  • Keine analoge Anwendung von § 56 IfSG: Eine analoge Anwendung von § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG schied dem Senat zufolge ebenso aus. Demnach sind die Entschädigungsvorschriften nach §§ 56 ff IfSG abschließend und eine planwidrige Regelungslücke sah der Senat nicht.
  • Kein Anspruch aus § 55 a.F. des Polizeigesetzes Baden-Württemberg (PolG BW): Auch aus polizeirechtlichen Erwägungen konnte die Klägerin keine Entschädigungsansprüche herleiten. Bei der Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten hätten die sonderrechtlichen Regelungen des IfSG Vorrang gegenüber Ansprüchen von sogenannten Nichtstörern im Sinne der allgemeinen polizeirechtlichen Normen, meinte der Senat hierzu.
  • Keine Ansprüche aus Enteignung: Dies gilt auch für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch aus einem enteignenden Eingriff. Zwar wird auch die Schließung eines Betriebs als Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbetreib nach Art. 14 GG geschützt. Jedoch treten nach Senatsauffassung auch die Regelungen des enteignenden Eingriffs hinter die abschließenden Sonderregelungen des IfSG zurück.
Die Stuttgarter OLG-Richter haben zur Frage der Motive des Bundesgesetzgebers zu einzelnen Ermächtigungsnormen des IfSG eine Beweisaufnahme – zum Beispiel eine Vernehmung von damaligen Kabinettsmitgliedern – abgelehnt. Die Begründung: Derartige rechtliche Einordnungen und juristische Tatsachen wären einem Beweis nicht zugänglich. Allerdings hat das OLG die Revision zum BGH zugelassen.
 
Quelle: PM des OLG Stuttgart vom 09.02.2022 zum Urteil vom selben Tag – 4 U 28/21
 
Im Wortlaut: § 56 Absatz 1 Satz 1 IfSG - Entschädigung
(1) Wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, erhält eine Entschädigung in Geld.



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(ESV/bp)

Programmbereich: Staats- und Verfassungsrecht