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Hat erstmals  den Briefwechsel zwischen Storm und Westermann ediert: Dr. Anne Petersen (Foto: privat)
Nachgefragt bei Dr. Anne Petersen

Petersen: „Diese Dichter-Verleger-Beziehung kann man als Symbiose bezeichnen“

ESV-Redation Philologie
14.08.2019
Zu Beginn seiner literarischen Karriere war Theodor Storm für viele Verlage tätig. Erst ab 1864 entwickelte sich der Braunschweiger Verlag von George Westermann zum Hauptverlag. Nun ist ein Briefwechsel zwischen Autor und Verlagshaus erschienen: Lesen Sie ein Interview mit der Herausgeberin Dr. Anne Petersen.
Im Verlag von George Westermann publizierte Storm Novellen in „Westermann’s illustrierten deutschen Monatsheften“, ebenso gab der Verlag seine „Gesammelten Schriften“ heraus. Die Beziehungen zum Verlag dauerten fast 25 Jahre, bis zu Storms Tod am 4. Juli 1888.


Sehr geehrte Frau Dr. Petersen, obgleich Theodor Storm und George Westermann sich unseres Wissens nach nur zwei Mal persönlich begegnet sind, scheint sie eine intensive Arbeitsbeziehung verbunden zu haben, wie die über 400 Briefe an den Verlag, Storms Mitarbeit an den Monatsheften und die Publikation von Storms Gesammelten Schriften zeigen. Würden Sie sagen, dass Storm für Westermann eine herausragende Position in seinem (Berufs-)Leben eingenommen hat?

Anne Petersen: Sie sprechen sehr richtig von einer Arbeitsbeziehung. Obgleich Storm in den 1860er Jahren noch familiäre Angelegenheiten ansprach und den Verleger samt seiner Familie wiederholt zu sich einlud, gewährte George Westermann seinerseits keine Einblicke in sein Privatleben. Seine Briefe sind von dem Respekt gegenüber der literarischen Qualität von Storms Texten getragen. Er wusste sehr wohl um den Wert der Bündelung von Storms Werk in seinem Verlag. Das zeigt sein Brief vom April 1876, in dem Westermann schrieb, dass er es sich „zur Ehre anrechne, die Werke eines von mir persönlich hoch verehrten Autors in möglichster Vollständigkeit meinem Verlag einverleibt zu sehen!“ Storms Gesammelte Schriften sind übrigens die einzige Gesamtausgabe eines Dichters, die im Verlag Westermann veranstaltet wurde. Das spricht für sich.

Eine konstante Größe auf dem Zeitschriften- und Buchmarkt


Wie überwanden George und später Friedrich Westermann Schwierigkeiten im Umgang mit Storm, wie zum Beispiel horrende Honorarforderungen, divergierende Auffassungen über die Verkäuflichkeit von Werken oder die Konkurrenz zu anderen Verlegern Storms wie den Gebrüdern Paetel?

Anne Petersen: George Westermann entwickelte sich im Gegensatz zu zahlreichen kurzlebigen Konkurrenzunternehmungen zu einer konstanten Größe auf dem hart umkämpften Zeitschriften- und Buchmarkt des 19. Jahrhunderts. Eine planvolle Konzentrierung seiner Unternehmungen im Interesse eines nachhaltigen Erfolgs und ein auf Solidität ausgelegtes Finanzmanagement waren für ihn unumstößliche Grundsätze, die er erfolgreich seinem Sohn Friedrich vermittelte. Auf Storms steigende Honorarforderungen reagierten sowohl George als auch Friedrich Westermann mit Besonnenheit und absoluter Sachlichkeit. Soweit es das unternehmerische Risiko erlaubte, gingen sie auf Storms Forderungen ein. George Westermann verlegte drei Separatausgaben Theodor Storms, bevor er endgültig seinen Verzicht auf sie erklärte. Der Verleger bezifferte seinen Verlust auf 7000 Mark. Die Verlagscontobücher belegen, dass es in Wahrheit rund 7500 Mark waren. Dieser Verzicht schwächte 1878 Westermanns Position als Hauptverleger Storms, dessen Separatausgaben von nun an im Verlag der Gebrüder Paetel erschienen. Dennoch hielt Westermann an seinem Standpunkt fest.
Wie sein Vater schöpfte auch Friedrich Westermann die Grenzen dessen aus, was man an finanziellem Spielraum nutzen oder, den Textgehalt betreffend, den Lesern der „Monatshefte“ zumuten konnte. Er setzte sich eingehend mit der Novelle „Der Herr Etatsrat“ auseinander, regte Milderungen an und veröffentlichte sie in den „Monatsheften“. Dennoch war auch Friedrich Westermann imstande, deutliche Grenzen zu setzen. Ich denke, die stete Bereitschaft, sich mit Storms Anliegen auseinanderzusetzen, muss auch dem Dichter selbst bedeutsam erschienen sein. Westermann seinerseits vollführte den Balanceakt zwischen markttauglicher Kalkulation einerseits und der Bindung eines hochrangigen Dichters andererseits an sein Haus. Denn ihren Meinungsverschiedenheiten zum Trotz fanden beide Seiten immer wieder zu einem Dialog. Ich habe diese Dichter-Verleger-Beziehung mit dem Begriff der Symbiose beschrieben.

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Veränderte sich das Arbeitsverhältnis zwischen Storm und George Westermann, seit dessen Sohn Friedrich Westermann ab 1873 Teilhaber des Verlags war? Wie sah das Verhältnis von Friedrich Westermann und Storm nach dem Tod George Westermanns 1879 aus?

Anne Petersen: Meines Erachtens spiegelt die Korrespondenz keine Veränderungen im Arbeitsverhältnis wider, weder mit dem Eintritt Friedrich Westermanns in die Firma noch nach dem Tod George Westermanns. Es bleibt bei dem besonnenen und dem sachbezogenen Tenor, der die Verlagsbriefe kennzeichnet. Vielmehr möchte ich auf den Wechsel der Herausgeberschaft der „Monatshefte“ hinweisen. Aus Friedrich Westermanns Brief an Storm vom 11. Februar 1882 geht hervor, dass die Zeitschriftenredaktion eine neue Novelle nur mit dem Vorbehalt akzeptiere, den Text vorab zur Kenntnisnahme und zur Kalkulation des Umfangs zu erhalten. Es handelte sich um die Novelle „Hans und Heinz Kirch“. Der höchst verärgerte Storm schrieb dieses neue Vorgehen einer Eitelkeit Friedrich Spielhagens zu, der ab Band 45 (1878/1879) die „Monatshefte“ herausgab.

Für Storm selbst zählte nur die Buchveröffentlichung als einzig wahre Veröffentlichungsform. Seine Beiträge in den Monatsheften sah er als eine Art Vorstufe auf dem Weg zum endgültigen Stadium der Buchfassung. Äußert sich diese Sichtweise auch in seinen Briefen?

Anne Petersen: Ja, das tut sie. Ein paar Beispiele:
Aus Storms Postkarte vom 22. März 1878 geht hervor, dass der Dichter die Rücksendung des Manuskripts der Novelle „Carsten Curator“ wünschte, da er „die zu stark hervortretende alte Schreibart für die Buchausgabe mildern“ wollte. Am 7. Juli 1881 protestierte Storm gegen die Einführung einer modernisierten Orthografie „in einem nur meine eignen Sachen enthaltenden Buche, wo ich allein die Verantwortung trage“. Den Eingriff in die Orthografie konnte der Dichter für den Zeitschriftenabdruck tolerieren, nicht aber für seine Gesamtausgabe. Mit der Gesamtausgabe fand das Werk, nachdem es zuvor der Zeitschrift preisgegeben worden war, zu seinem Dichter zurück. Storm verstand seine „Gesammelten Schriften“ als Vermächtnis. Die Entstehungsgeschichte der Novelle „Der Herr Etatsrat“ zeigt einmal mehr, welche Bedeutung Storm der Buchfassung eines Textes beimaß. Die für den Abdruck in den Monatsheften von Friedrich Westermann geforderten Milderungen im Text nahm der Dichter für die Buchausgabe wieder zurück, weil er sie als Verschlechterung betrachtete.

„Eine unglaublich dumme, wenn auch gutgemeinte Kritik“


Mit dem Verlag wurden nicht nur Details der Veröffentlichung besprochen, sondern auch Rezensionen der veröffentlichten Werke in anderen Literaturzeitschriften. Wie konnte eine solche Besprechung von Rezensionen aussehen?

Anne Petersen: Aus der Korrespondenz geht hervor, dass Westermann Storm Rezensionen zur Einsicht sandte. Storm reagierte dann auf diese Besprechungen. Oder er sprach von selbst eine Rezension an, die seine Aufmerksamkeit gefesselt hatte, entweder weil sie ihn besonders verärgerte oder weil sie seine Zustimmung fand. So drückte Storm beispielsweise am 19. Oktober 1874 seinen Unmut über „eine unglaublich dumme, wenn auch gutgemeinte Kritik“ aus, die Peter Rosegger in der Grazer Tagespost veröffentlicht hatte. Theodor Storm sah seine Novellen „Beim Vetter Christian“ und „Viola tricolor“, denen er Mustercharakter für die Gattung beimaß, nicht angemessen behandelt und ärgerte sich im Falle von „Viola tricolor“ über Roseggers Vergleich seines Schreibstils mit der „Seelenmalerei“ Adalbert Stifters.

Was war Ihre persönliche Motivation, diesen Briefwechsel zu edieren und wie viele Jahre haben Sie daran gearbeitet?

Anne Petersen: Storm selbst beschrieb seine Beziehungen sowohl zum Verlag Westermann als auch gleichzeitig zum Verlag der Gebrüder Paetel als ein „Doppelverlegertum“. Es ging mir darum, anhand einer möglichst vollständigen Edition die bereits veröffentlichten Verlegerkorrespondenzen zu ergänzen, insbesondere eben den von Roland Berbig herausgegebenen Briefwechsel Storms mit den Gebrüdern Paetel. Das Studium der zahlreichen Briefe förderte aber immer mehr interessante Details zutage, insbesondere zur Entstehung einzelner Texte und zu einem durchaus kritischen Bild von Storm innerhalb des Verlages. Der Reiz, dieses – ich möchte sagen – Puzzle zusammenzusetzen und vielleicht sogar bislang unbekannte Teile zu entdecken, überwog das nüchterne Interesse daran, die wissenschaftliche Arbeit mit der Edition zu erleichtern. Vier Jahre lang hat dieses Abenteuer gedauert, und ich möchte es nicht missen.

Die Herausgeberin
Anne Petersen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Deutsche Philologie an der Georg-August-Universität Göttingen. Sie arbeitete unter der Leitung von Prof. Dr. Gerd Eversberg an der historisch-kritischen Edition von Theodor Storms Novelle Der Schimmelreiter mit (HuB, Band 9) (gefördert aus Mitteln des Leibniz-Preises der DFG). Außerdem war sie als editorische Assistenz im Projekt Genetisch-kritische und kommentierte Hybrid-Edition von Theodor Fontanes Notizbüchern und an den „Theaterkritiken“ im Rahmen der Großen Brandenburger Ausgabe der Werke Fontanes tätig. 2015 promovierte sie an der Georg-August-Universität Göttingen mit einer Arbeit zur Modernität von Theodor Storms Lyrikkonzept (HuB, Band 10) und veröffentlichte mehrere Beiträge zu Storms Lyrik.

Theodor Storm – George Westermann
Briefwechsel
Herausgegeben von Dr. Anne Petersen

Der wahre Facettenreichtum des Briefwechsels zwischen Theodor Storm und dem Verlagshaus des Braunschweiger Verlegers George Westermann ließ sich bislang nur erahnen. Mit diesem Band werden nun sämtliche überlieferten Dokumente dieses knapp ein Vierteljahrhundert währenden Briefgespräches erstmals geschlossen in einer textkritischen und ausführlich kommentierten Edition vorgelegt.

Indem er die Gesamtausgabe von Storms Schriften übernahm, bündelte Westermann das bislang in unterschiedlichen Verlagen verstreut erschienene Werk des Husumer Dichters in seiner Hand. Daher konzentrieren sich in dieser Dichter-Verleger-Korrespondenz zentrale literaturwissenschaftliche und medienhistorische Aspekte, die auch die Mechanismen des literarischen Marktes im Kaiserreich reflektieren. Obwohl es wiederholt Auseinandersetzungen um die Diskrepanz zwischen dem künstlerischen Stellenwert eines literarischen Textes und der Realität auf dem hart umkämpften Zeitschriften- bzw. Buchmarkt gab, fanden die Briefpartner immer wieder zu einem Dialog. Somit hinterließen sie reichhaltiges Material, das zu einer ausgewogenen Bewertung der Dichter-Verleger-Beziehung beiträgt.

Programmbereich: Germanistik und Komparatistik