Sie haben folgende Möglichkeiten:
  1. zum Login.
  2. zur Navigation.
  3. zum Inhalt der Seite.

Kaysersberg am Rhein: Wie sah die politische Partizipation im Mittelalter hier wohl aus? (Foto: drsg98/Fotolia.com)
Politische Beteiligung im Mittelalter

Politische Partizipation heißt auch Verantwortung

ESV-Redaktion Philologie
16.01.2018
Inwieweit können wir die Politik mitbestimmen? Wie weit geht unser Mitspracherecht? Fragen wie diese geben seit Jahrhunderten Anlass zu Diskussionen. Ein neu erschienener Band untersucht die politische Partizipation im Mittelalter. Lesen Sie hier einen Auszug über die Rolle der Zünfte.


Zünfte in den Städten am Oberrhein

Zünfte waren bis 1791 als politische Einheiten im städtischen Raum sichtbar. Diese verfassten politischen wie militärischen Einheiten konnten personell deckungsgleich mit einem Gewerbe sein (=Einzelzunft), wie beispielsweise die Gärtner, oder mehrere Gewerbe unter einem Namen vereinen (=Mischzunft), wie beispielsweise die Schmiede, bei denen viele kleinere Metallhandwerke wie Kannengießer, Harnischmacher oder Hufschmiede unter einem Zunftnamen versammelt wurden. Schließlich existierten noch Sammelzünfte, bei denen mehrere Handwerke paritätisch einen Ratsherren entsandten, aber in gewerblicher, finanzieller und gerichtlicher Hinsicht eigenständig blieben und in der Regel eine eigene Trinkstube unterhielten sowie Zunftbanner, Zunftsiegel und eigene Kerzen besaßen. […]

Politische Partizipation als Privileg und Belastung

Die […] Auflösungen von Zünften, die mit dem Verlust des Sitzes im Stadtrat einhergingen, geschahen begründet. Insbesondere anhand der Ratsüberlieferung wird deutlich, was die Entscheidungsträger in den Städten bewegte, einzelne Zünfte aufzulösen und damit Handwerkergruppen von der gewohnten und eingeübten politischen Partizipation in ihren Zünften abzuschneiden oder – je nach Standpunkt – sie davon zu befreien. Aus Straßburg ist bekannt, dass Zünfte um die Entlastung von ihren politischen und militärischen Pflichten gebeten beziehungsweise sich über die Lasten, die diese Aufgaben mit sich brachten, beklagt hatten. Schuld daran sei insbesondere der Mangel an geeigneten Mitgliedern.
Als etlich antwerk sich bishar vast beclaget, das sie an redelichen lüten und ouch sust abegangen sient, also das inen swer sii, iors einen ratesherren zu geben und ouch hut zu tun, ouch etlich ratsherren sich beclagent, das inen der rat zu swer sii, deshalb nu die rete und XXI den XV entpfolhen habent, solichs zu bedenken und daruber zu ratslahen.
Dies macht deutlich: Politische Partizipation ist nicht nur Chance und Versprechen, politische Partizipation heißt auch Verantwortung und kann zu einer Belastung werden – das scheint in der Vormoderne nicht anders gewesen zu sein als in der (Post-)Moderne.

Gründe für die Auflösung einer Zunft

Für die Auflösungen von Zünften in Straßburg sind die Gründe aber auch und vor allen Dingen anhand und innerhalb der Strukturen der betroffenen Zünfte selbst zu suchen. So sind folgende Begründungen in den Quellen zu finden:
a) Streitigkeiten auf handwerklicher oder kaufmännischer Ebene;
b) keine ausreichende Mitgliederstärke, die politische Partizipation und militärische Zuverlässigkeit gewährleistet;
c) mangelnde gesellschaftliche Reputation einer Zunft;
d) mangelnde finanzielle Solidität einer Zunft. […]

Wenn all die vier oben genannten Begründungen für die Zunftauflösungen (a–d) dazu führen konnten, dass eine Zunft ihre Daseinsberechtigung verlor […], spiegeln sich in diesen Gründen umgekehrt die Voraussetzungen für die Existenz von Zünften überhaupt:
1) Stabilität der Gruppe nach innen wie nach außen;
2) ausreichende Mitgliederstärke zur Gewährleistung politischer wie militärischer Aufgaben für die Stadt;
3) gute Reputation;
4) finanzielle Solidität.

Ohne Zunft keine politische Partizipation! Ohne politische Partizipation keine Zunft!

Diese vier Voraussetzungen waren aber nicht nur nötig, um als Zunft, also als verfasste soziale Gruppe, in der Stadt zu existieren, sondern sie waren gleichzeitig die Voraussetzungen, die diese Gruppen benötigen, um politisch partizipieren zu können. Denn: Ohne Zunft keine politische Partizipation! Damit ist gemeint: Wenn die Voraussetzungen, um Zunft zu sein, nicht mehr gegeben sind, fällt auch die Möglichkeit der politischen Partizipation dieser Gruppe weg. Umgekehrt gilt wiederum: Ohne politische Partizipation keine Zunft! Ihre Daseinsberechtigung als Zunft hatten diese sozialen Gruppen nur aufgrund der Tatsache, dass sie politische wie militärische Dienste für die Stadt erbrachten. Konnten sie politisch oder militärisch nicht mehr partizipieren, fiel ihr Status als Zunft.

Kristin Zech

Politische Partizipation in spätmittelalterlichen Städten am Oberrhein / La participation politique dans les villes du Rhin supérieur à la fin du Moyen Âge

Herausgegeben von: Prof. Olivier Richard, PD Dr. phil. Gabriel Zeilinger

Die aktuellen Debatten über die verschiedenen Möglichkeiten und die Grenzen politischer Partizipation der Bürger in den europäischen Staaten liegen diesem Buch zu Grunde, das eine historische Betrachtung beisteuern möchte. Stellten die Städte des Spätmittelalters, die als eine Wiege der politischen Moderne der westlichen Welt gelten, eher einen Raum des Zwangs oder des ausgehandelten Miteinanders dar?

Politische Partizipation wird in all ihren Facetten untersucht: von der Entstehung städtischer Gemeinden über die Rolle der Zünfte oder der Schützengesellschaften bis hin zu Kontrollrechten der Stadtbürger etwa im Steuerwesen oder der Verweigerung der Eidesleistung gegenüber der Obrigkeit.

Die Beiträge des Sammelbandes sind in deutscher, französischer und englischer Sprache verfasst.

 


(ESV/Philologie)

Programmbereich: Romanistik