Politische Partizipation heißt auch Verantwortung
Zünfte in den Städten am Oberrhein
Zünfte waren bis 1791 als politische Einheiten im städtischen Raum sichtbar. Diese verfassten politischen wie militärischen Einheiten konnten personell deckungsgleich mit einem Gewerbe sein (=Einzelzunft), wie beispielsweise die Gärtner, oder mehrere Gewerbe unter einem Namen vereinen (=Mischzunft), wie beispielsweise die Schmiede, bei denen viele kleinere Metallhandwerke wie Kannengießer, Harnischmacher oder Hufschmiede unter einem Zunftnamen versammelt wurden. Schließlich existierten noch Sammelzünfte, bei denen mehrere Handwerke paritätisch einen Ratsherren entsandten, aber in gewerblicher, finanzieller und gerichtlicher Hinsicht eigenständig blieben und in der Regel eine eigene Trinkstube unterhielten sowie Zunftbanner, Zunftsiegel und eigene Kerzen besaßen. […]
Politische Partizipation als Privileg und Belastung
Die […] Auflösungen von Zünften, die mit dem Verlust des Sitzes im Stadtrat einhergingen, geschahen begründet. Insbesondere anhand der Ratsüberlieferung wird deutlich, was die Entscheidungsträger in den Städten bewegte, einzelne Zünfte aufzulösen und damit Handwerkergruppen von der gewohnten und eingeübten politischen Partizipation in ihren Zünften abzuschneiden oder – je nach Standpunkt – sie davon zu befreien. Aus Straßburg ist bekannt, dass Zünfte um die Entlastung von ihren politischen und militärischen Pflichten gebeten beziehungsweise sich über die Lasten, die diese Aufgaben mit sich brachten, beklagt hatten. Schuld daran sei insbesondere der Mangel an geeigneten Mitgliedern.
Für die Auflösungen von Zünften in Straßburg sind die Gründe aber auch und vor allen Dingen anhand und innerhalb der Strukturen der betroffenen Zünfte selbst zu suchen. So sind folgende Begründungen in den Quellen zu finden:
Diese vier Voraussetzungen waren aber nicht nur nötig, um als Zunft, also als verfasste soziale Gruppe, in der Stadt zu existieren, sondern sie waren gleichzeitig die Voraussetzungen, die diese Gruppen benötigen, um politisch partizipieren zu können. Denn: Ohne Zunft keine politische Partizipation! Damit ist gemeint: Wenn die Voraussetzungen, um Zunft zu sein, nicht mehr gegeben sind, fällt auch die Möglichkeit der politischen Partizipation dieser Gruppe weg. Umgekehrt gilt wiederum: Ohne politische Partizipation keine Zunft! Ihre Daseinsberechtigung als Zunft hatten diese sozialen Gruppen nur aufgrund der Tatsache, dass sie politische wie militärische Dienste für die Stadt erbrachten. Konnten sie politisch oder militärisch nicht mehr partizipieren, fiel ihr Status als Zunft.
Politische Partizipation in spätmittelalterlichen Städten am Oberrhein / La participation politique dans les villes du Rhin supérieur à la fin du Moyen Âge Herausgegeben von: Prof. Olivier Richard, PD Dr. phil. Gabriel Zeilinger Die aktuellen Debatten über die verschiedenen Möglichkeiten und die Grenzen politischer Partizipation der Bürger in den europäischen Staaten liegen diesem Buch zu Grunde, das eine historische Betrachtung beisteuern möchte. Stellten die Städte des Spätmittelalters, die als eine Wiege der politischen Moderne der westlichen Welt gelten, eher einen Raum des Zwangs oder des ausgehandelten Miteinanders dar?
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(ESV/Philologie)
Programmbereich: Romanistik