Sie haben folgende Möglichkeiten:
  1. zum Login.
  2. zur Navigation.
  3. zum Inhalt der Seite.

Prof. Dr. jur. Hans-Jürgen Müggenborg: Die meisten Emissionen stammen von mehr als 50.000 immissionsschutzrechtlich genehmigten Bestandsanlagen (Foto: Erich Schmidt Verlag)
Klimaschutztag des Erich Schmidt Verlags

Prof. Dr. Müggenborg: „Die Abkürzung von Genehmigungsverfahren ist dringend geboten“

ESV-Redaktion Recht
28.03.2023
Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem Klimaschutzgesetz ein Rechtsgebiet etabliert, das mit einem sehr ausdifferenzierten Umweltrecht kollidieren kann, denn die wechselseitigen Bezüge sind nicht immer eindeutig. Auch Unternehmen müssen sich dieser Herausforderung stellen. Ein Grund für die ESV-Akademie, im Rahmen ihres Klimaschutztages am 24.03.2023 einige Rechtsexperten zu Wort kommen zu lassen. Hier ein Tagungsbericht der ESV-Redaktion.
Im Fokus der Veranstaltung standen die neuesten Entwicklungen und die Frage, ob Umweltstandards zugunsten des Klimaschutzes zu reduzieren sind. Weiter ging es mit dem brisanten Spannungsfeld der Kohleverstromung oder dem wichtigen Thema der Versorgungssicherheit. Eine wichtige Rolle spielten auch die Klimaschutzbeschlüsse des BVerfG und zahlreiche weitere gerichtliche Verfahren, die den Klimaschutz zum Gegenstand hatten. 

RA Remo Klinger: „Das Bewusstsein der Gerichte in Sachen Klimaschutz hat sich in den letzten 10 Jahren deutlich gewandelt“ 

Den Auftakt machte Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Remo Klinger, mit einem Überblick über den Stand der gerichtlichen Auseinandersetzungen in Sachen Klimaschutz. Nach seiner Einführung in die Terminologie und einem Überblick in den historischen Kontext, führte er im Rahmen der Erläuterungen der Entscheidungen des VG Berlin vom 31. Oktober 2019 (10 K 412.18), des EuG vom 8. Mai (T-T-330/18) sowie des EuGH 25. März 2021(C-565/19 P) aus, dass deren Ergebnisse im Ergebnis zwar ernüchternd waren. Dennoch  hält er alle Entscheidungen für wichtig und richtungsweisend für das BVerfG.
 
Vor allem die Klagebefugnis, so Klinger weiter, wäre problematisch. Eingehend auf den Klimaschutz-Beschluss des BVerfG vom 24. März 2021 1 BvR 2656/18 u.a.) hob er dann zunächst hervor, dass der Gesetzgeber dazu verpflichtet ist, die Minderungsziele in Bezug auf den CO2-Ausstoß zu regeln. Allerdings kritisierte er, dass dies erst für die Zeiträume nach dem Jahr 2031 gilt, was möglicherweise Ausdruck eines gerichtlichen Kompromisses ist.
 
Im Anschluss hieran wendete Klinger sich dem Nichtannahme-Beschluss der Karlsruher Verfassungshüter vom 25.05.20232 (1 BvR 188/22). Weil Deutschland nach seiner Auffassung noch immer nicht genug für den Klimaschutz tut, habe man inzwischen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMRR) angerufen.
 
Zentral für die Erfüllung der Ziele des deutschen Klimaschutzgesetzes werden die mittlerweile sechs verwaltungsgerichtlichen Verfahren sein, so Klinger, die aktuell durch zwei Umweltschutzvereinigungen beim OVG Berlin-Brandenburg geführt werden. Diese betreffen die inhaltlich ausreichende Fortschreibung des Klimaschutzprogramms (§ 9 KSG) und der bei Zielverfehlungen aufzustellenden Sofortprogramme (§ 8 KSG). In diesen Programmen müssen diejenigen Maßnahmen enthalten sein, mit denen der Bund prognostisch davon ausgeht, die Klimaschutzziele einhalten zu können. Trotz eines grundsätzlich weiten Prognosespielraums bei der Auswahl der Maßnahmen muss die Bundesregierung in diesen Programmen diejenigen Maßnahmen benennen, die zur Einhaltung der Klimaschutzziele geeignet und erforderlich sind.
 
Zum Begriff „Klimaneutral“ vor dem Hintergrund einiger Verfahren im Wettbewerbsrecht wies Klinger darauf hin, dass viele der von großen Unternehmen zur Erzielung der angeblichen Klimaneutralität verwendeten Projekte weder in Hinblick auf die Zusätzlichkeit dieser Projekte, noch mit Blick auf ihre Permanenz geeignet sind, tatsächlich eine Klimaneutralität zu belegen. Sie sind daher irreführend im Sinne des UWG und zu unterlassen. 

Prof. Dr. jur. Hans-Jürgen Müggenborg: „Ein Emissionshandel, der dem Anlagenbetreiber weite Handlungsfreiheiten belassen würde, erscheint erfolgversprechend“ 

Die Vortragsreihe setzte dann Prof. Dr. Hans-Jürgen Müggenborg – Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Honorarprofessor der RWTH Aachen und der die Tagungsleitung übernahm – fort. Sein Thema: „Die Bedeutung des Klimaschutzes für Unternehmen“. Nach einer Skizzierung des internationalen Klimaschutzrechts einschließlich des EU-Rechts widmete er sich der Situation in Deutschland. Insgesamt hält er die hiesigen Zielsetzungen – auch vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine – für sehr ambitioniert. So lag der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostrom im ersten Halbjahr nur bei 49 %. Zur Zielerreichung wäre der Anteil in den nächsten 10 Jahren zu verdoppeln. Gleichzeitig müsse der Industriesektor den CO2-Ausstoß von 186 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent im Jahr 2020 auf 118 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent senken.
 
Müggenborg zufolge stammen die meisten Emissionen von mehr als 50.000 immissionsschutzrechtlich genehmigten Bestandsanlagen und einer nicht bekannten Zahl an nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen, die in aller Regel über eine Baugenehmigung verfügen. Eine große Schwierigkeit sieht er darin, dass die Sperrklausel von § 5 Absatz 2 BImSchG eine Begrenzung von Treibhausgasen verhindert, soweit die Anlage dem Emissionshandel unterliegt. Überleitend zum Baurecht kam er zu dem Ergebnis, dass der Klimaschutz weder im Baurecht noch im Immissionsschutzrecht ein Kriterium zur Beschränkung oder Einziehung von Genehmigungen ist. Der Expertenrat für Klimafragen (ERK) hat in seinem Zweijahresgutachten vom 04.11.2022 bereits erhebliche Erfüllungslücken, bezogen auf die Ziele des Jahres 2030, festgestellt. 
 
Abschließend hält Müggenborg den ordnungsrechtlichen Ansatz zur Erreichung von Klimaschutzzielen für wenig ergiebig. Erfolgversprechender ist ihm zufolge der Emissionshandel, auch wenn der dem Anlagenbetreiber weite Handlungsfreiheiten belassen würde. Gute Ansätze sieht er auch in der verstärkten Umstellung der Energie- und Wärmeerzeugung auf erneuerbare Energien. Gleiches gilt für die Verkürzung der Genehmigungsverfahren, die sowohl verfassungsrechtliche Schutzansprüche Dritter als auch europarechtliche Vorgaben berücksichtigen muss und demgemäß schwer zu erzielen sei.

Der kostenlose Newsletter Recht – Hier können Sie sich anmelden! 
Redaktionelle Meldungen zu neuen Entscheidungen und Rechtsentwicklungen, Interviews und Literaturtipps.

 

Prof. Dr. Walter Frenz: „Die Energieversorgungssicherheit kann ein Rechtfertigungsgrund zum Abweichen von Artenschutzanforderungen sein“

Im Zentrum des anschließenden Vortrags von Prof. Dr. Walter Frenz – Maître en Droit Public, Professor für Berg-, Umwelt- und Europarecht an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen – stand die Sicherung der Energieversorgung vor dem Hintergrund des Atom- und Kohleausstiegs. Dabei stellt sich zum Beispiel die Frage, ob § 2 EEG grundsätzlich einen Vorrang des Klimaschutzes normiert. Zu berücksichtigen wäre auch das Verhältnis der folgenden beiden Aspekte des Klimaschutzes – nämlich Klimaschutz im Sinne des Ausbaus erneuerbarer Energien auf der einen Seite und andererseits die Erhaltung der Lebensgrundlagen, etwa im Sinne des Artenschutzes.
 
Insoweit verweist Frenz zunächst auf § 2 EEG als übergreifende Norm sowie auf  den neuen §§ 45b Absatz 8 BNatSchG als spezielle Norm, die in der Tendenz keinen automatischen Vorrang anordnet. Unionsrechtlich sind ihm zufolge auch der Ökostromausbau als überwiegendes öffentliches Interesse unter Beibehaltung  von Einzelfallabwägungen sowie die sogenannten Go-to-Gebiete zu beachten. Hierunter sind Gebiete für erneuerbare Energien zu verstehen, die Land- Seegebiete oder Binnengewässer betreffen. Ausgewählt werden diese Gebiete, weil sie besonders geeignet sind für spezifische Technologien im Bereich von erneuerbaren Energien und weil sie ein geringeres Risiko für die Umwelt begründen. Unter Abwägung dieser und zahlreicher weiterer Belange kommt Frenz dann im Wesentlichen zu folgenden Thesen:
 
  • Die Energieversorgungssicherheit als Rechtfertigungsgrund zum Abweichen von grundlegenden Anforderungen der UVP- und FFH-Richtline kann auf andere Fallgestaltungen übertragen werden
  • § 2 EEG geht mit seinem Verständnis als übergreifende Norm, nach der der Vorrang des Ausbaus von Ökostrom nicht näher zu begründen ist, zu weit.
  • Die Verlängerung des Betriebs von Kohlekraftwerken ist rechtlich zulässig
  • Gleiches gilt für die Verlängerung des Betriebs von Atomkraftwerken – und zwar auch über den 15.04.2023 hinaus
  • Abfallverbrennungsanlagen können auch dann weiterbetrieben werden, wenn sie keine Mindesttemperatur von 850 Grad Celsius erreichen
  • Der Ausbau der Windkraft wird erleichtert
  • Der Bau von Windkraftanlagen auf Kosten des Artenschutzes führt dazu, dass sich zwei gleichrangige Belange gegenüberstehen, die den Klimaschutz betreffen
  • Der Artenschutz wird durch die Energieversorgungssicherheit zwar aufgelockert. Es bleibt aber stets bei einer unverzichtbaren Einzelfallabwägung 

Rechtsanwältin Dr. Marie Ackermann: Klimaschutz als „relativer Abwägungsgrund“

Den Abschluss machte Rechtsanwältin Dr. Marie Ackermann, LLM Paris und assoziierte Partnerin der Wirtschaftskanzlei Görg. Ihr Thema: „Der Klimabeschluss des BVerfG – Konsequenzen für Genehmigungsverfahren und den Rechtsschutz“. Dabei widmete sie sich vor allem dem KSG und den Bezügen zum BNatSchG sowie dem UVPG und betonte, dass der Klimaschutz nach dem benannten Beschluss des BVerfG als „relativer Abwägungsbelang“ zu sehen ist. 

Zum KSG führte sie dann aus, dass § 13 die einzige materielle Norm des Gesetzeswerkes ist und ging näher auf die einzelnen Tatbestandsmerkmale und insbesondere die Abwägung ein. Dem Klimaschutz kommt demnach kein unbedingter Vorrang gegenüber anderen Belangen zu. Vielmehr wäre im Konfliktfall der Ausgleich mit anderen Verfassungsgrundsätzen und Gütern mit Verfassungsrang zu suchen. Hierbei nimmt das relative Gewicht des Klimaschutzgebotes mit dem fortschreitenden Klimawandel zu. 

Am Beispiel der Ermittlung und Bewertung der Auswirkungen auf den Straßenbau betonte sie, dass diese noch völlig offen wären, da es derzeit noch keinen Richtlinien oder Fachkonventionen gibt. Erste Anhaltspunkte geben beispielsweise die „Arbeitshilfe zur Erstellung eines Fachbeitrages Klimaschutz für Straßenvorhaben“ des Landesamtes für Straßenbau Mecklenburg Vorpommern oder das „Methodenpapier zur Berücksichtigung des globalen Klimas bei der Straßenplanung in Bayern“ des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr. 

Ackermann hob zudem hervor, dass sich gerade im Vergleich der verschiedenen Infrastrukturmaßnahmen mit Blick auf die Abwägung unterschiedliche Fragen stellen. So ist etwa der Ausbau der Stromnetzte ein zentraler Baustein für die Energiewende und den Klimaschutz, dessen Gewicht sich schwerlich an einem Abschnitt einer einzelnen Stromleitung aufzeigen lässt. 

Der nächste Berliner Klimaschutztag findet im März 2024 statt. 
  • Falls Sie automatisch über den genauen Termin der Veranstaltung informiert werden möchten, schreiben Sie uns bitte eine E-Mail an info@esv-akademie.de 


Große Herausforderungen – starke Unterstützung!


Klimaschutzrecht

Herausgegeben von: Prof. Dr. jur. Walter Frenz - Bearbeitet von: Dr. jur. Stefan Altenschmidt, Prof. Dr. Stefan Böschen, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Elisabeth Clausen

Wie dynamisch sich das Klimaschutzrecht derzeit entwickelt, zeigt die Neuauflage dieses Gesamtkommentars. Praxisnah und pointiert werden erneut die jüngsten Entwicklungen erläutert:

  • BVerfG-Beschlüsse vom 24.03.2021 und 18.01.2022
  • Novellierungen des KSG Bund und des KSG NRW
  • neues EU-Klimagesetz und EU-Klimapaket
  • Beginn der ersten Handelsperiode des BEHG
  • Ziele des Koalitionsvertrages der neuen Bundesregierung
  • Ergebnisse des Klimagipfels von Glasgow
  • vorgezogene Abschaffung der EEG-Umlage
  • Rohstoffproblematik angesichts des Ukraine-Krieges

Neben der Kommentierung des europäischen und nationalen Regelungsregimes werden auch die steuerrechtlichen Vorschriften und die verfassungsrechtlichen Hintergründe instruktiv beleuchtet. Weiterhin werden die interdisziplinären Querschnittsthemen gut verständlich dargestellt, darunter die ökonomischen, naturwissenschaftlichen und technischen Grundlagen. Hören Sie hier den Interview-Podcast mit Prof. Dr. Walter Frenz.





(ESV/bp)

Programmbereich: Umweltrecht und Umweltschutz