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Richter: „Neue Verfügungsrechte an die Systematik des geistigen Eigentums anzulehnen, finde ich interessant!“ (Foto: Privat)
Nachgefragt bei: Frederick Richter (Stiftung Datenschutz)

Richter: „Ein Datenschuldrecht, das das Datenschutzrecht ergänzt, kann ich mir sehr gut vorstellen!“

ESV-Redaktion Recht
14.11.2018
Welchen Wert haben Daten und sind sie überhaupt eigentumsfähig? Bedarf es eines „Datenschuldrechts” oder reicht das Konstrukt „informationelle Selbstbestimmung“ aus? Diese und zahlreiche weitere Fragen hat Frederick Richter, Vorstand der Stiftung Datenschutz, im Interview mit der ESV-Redaktion diskutiert.

Herr Richer, bei der Diskussion um Dateneigentum ist oft der Ausspruch zu hören: „Meine Daten gehören mir!“. Auch das Wort „Datenpolitik“ hat es in die Charts der Modeworte der Digitalbranche geschafft. Was ist der Hintergrund?

Frederick Richter:
Die Beliebtheit dieser Ausrufe und Schlagwörter resultiert für mich einerseits aus ihrer Eingängigkeit: Wäre es nicht simpel und schön, wenn meine Daten einfach mir „gehören“ würden? Andererseits zeigen beliebte Kreationen wie die „Datensouveränität“, dass es noch viel zu definieren gibt – denn gerade unter diesem Begriff versteht jeder etwas anderes.

Personenbezogene Daten als werthaltiges Gut

Big Data ist in aller Munde. Wie werden Daten überhaupt monetarisiert?

Frederick Richter: Nun, sie werden nicht direkt zu Geld. Aber die personenbezogenen Daten sind in ganz vielen Fällen heute ein werthaltiges Gut, das als Tauschmittel geldähnlich eingesetzt wird. Über die datenschutzrechtliche Einwilligung werden die Daten zum Austausch gegen Dienstleistungen eingesetzt. Zwar sind sie eigentlich gar kein handelbares Gut. Doch die Praxis hat sich mit der Konstellation „Service gegen Daten, statt gegen Bargeld“ sehr gut eingerichtet. Tagtäglich betreiben Konsumenten im Internet daher eine Art Datenmonetarisierung.

Zur Person
Frederick Richter, Rechtsanwalt, LL.M., ist Vorstand der von der Bundesregierung gegründeten Stiftung Datenschutz 

„Informierte Einwilligung ist oft nur Schimäre“

Wie beurteilen Sie das Phänomen des „privacy paradox“, also den Umstand, dass Verbraucher theoretisch viel Wert auf Datenschutz legen, sich in der Praxis aber in starkem Maße den „Aufmerksamkeitshändlern“ ausliefern?

Frederick Richter: 
Diese sehr weit verbreitete Problematik zeigt, dass es an grundsätzlichem Problembewusstsein nicht mangelt, dass aber die Alternativen zu einem über die Jahre gelernten Kostenlos-Verhalten im Internet entweder kaum bekannt sind - oder sogar nicht gewollt. Die Wiener Zeitung „Der Standard“ z.B. ist ausgeschert aus der typischen Konstellation „Online-Presse zwar ohne Gebühren aber mit massivem tracking“ und seien wir gespannt, ob solche Privacy-Tarife nachgefragt sind und Schule machen.

Google ändert in Kürze seinen Suchauftritt und meint, dass die Menschen wollen, dass Google ihnen sagt, was sie als nächstes tun sollen. Hinter dem Geschäftsmodell steckt neben dem Algorithmus u.a. die Unmenge an gesammelten Daten. Will das Rechtssubjekt das wirklich? 


Frederick Richter: Ob es das will, muss es selbst entscheiden. Informationelle Selbstbestimmung kann ohne weiteres auch selbstbestimmte Offenbarung und freiwillige Selbstgefährdung sein. Nur: Solche Entscheidungsprozesse sollten bewusst stattfinden. Die vom herkömmlichen Datenschutzrecht hochgehaltene „informierte Einwilligung“ ist in der voll-digitalisierten Welt oft nurmehr eine Schimäre. Wenn die Datensubjekte das Geschäftsmodell nicht kennen, den Algorithmus nicht verstehen und die Risiken für ihre Privatsphäre nicht einschätzen können, dann kann man ihnen das meist gar nicht vorwerfen. Doch sind wir dann von einer informierten mündigen Verbraucherschaft ein gutes Stück entfernt.

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Hauptschwierigkeit: Zuordnung von Daten zur Einzelperson


Wie wären Daten und Informationen überhaupt eindeutig einer Partei zuzurechnen? Mobilitätsdaten könnten zum Beispiel ein eigentumsähnliches Recht der Kfz-Industrie begründen, aber auch dem Halter oder Eigentümer des Fahrzeugs „gehören“.

Frederick Richter: Mit dieser Frage sprechen Sie eines der Kernprobleme an, wenn wir von neuen Verfügungsrechten an Daten sprechen. Zwar kennt das Zivilrecht das Miteigentum und die sogenannte Gesamthand, bei der mehrere Subjekte nur gemeinsam über eine Sache verfügen können. Doch gerade im personenbezogenen Bereich von Daten können sich komplexe Konstellationen ergeben. Denken Sie allein an das eigentlich simple Geburtsdatum: Wenn die Eltern und das Kind – zu all diesen Menschen weist es ja Personenbezug auf – nur gemeinsam darüber verfügen können, würde die Praxis nicht einfacher. 

Verfügung über Daten nach Muster des Urheberrechts?


Welche Art von neuen Regeln kann für den Handel mit Daten sinnvoll sein? Derzeit werden in den Rechtswissenschaften Ansätze diskutiert, die Analogien zum Material- und Immaterialgüterrecht bemühen. Auch sind Rufe nach einem „Datenschuldrecht“ oder einer „Datenhandelsordnung“ zu hören. Können Sie diese kurz skizzieren?

Frederick Richter: Die Idee, sich bei etwaigen neuen Verfügungsrechten an die Rechtssystematik des geistigen Eigentums anzulehnen, finde ich interessant. Denn dort verbleiben die Urheberpersönlichkeitsrechte stets beim Urheber; er bleibt der „geistige Eigentümer“, während er an der Verwertung seiner geistigen Schöpfungen Nutzungsrechte einräumen kann. 

Ähnliches wäre auch für personenbezogene Daten denkbar: Das Datensubjekt bliebt oberste Instanz, kann aber Nutzungen von Daten gestatten, meist gegen Gebühr oder im Austausch gegen Leistungen. Letzteres passiert natürlich heute alles schon, nämlich über den Weg der datenschutzrechtlichen Einwilligung und entsprechende Verträge. Aber hinter der Einwilligung ist dann nichts mehr reguliert. Für diesen unregulierten Bereich ein Datenvertragsrecht zu etablieren, wäre daher eine sehr sinnvoller Ansatz. 

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Gesetzt den Fall der Gesetzgeber wird aktiv: Welche zentralen Überlegungen müsste er anstellen?


Frederick Richter:  Zentraler Punkt wäre die Vereinbarkeit etwaiger nationaler Gesetzgebung mit dem übergeordneten Recht. An der EU-Datenschutzgrundverordnung kommt in den kommenden Jahren niemand vorbei. Überlegungen, die zu diesen gesetzten Regeln nicht passen, müssten jedenfalls mittelfristig akademisch bleiben. 

Gefahr eines Zwei-Klassen-Privatsphärenschutzes


Wo liegen die Gefahren entsprechender rechtlicher Regelungen oder gar Regulierungen?


Frederick Richter: Eine große Gefahr für die so oft gewünschte Datensouveränität der Menschen sähe ich in einer womöglich um sich greifenden Selbstausbeutung der Betroffenen. Schon heute gestatten die Leute der jeweils anderen Seite sehr viel in Sachen Datenumgang. Ein Verbraucher als Datengeber räumt Facebook als Datennehmer mit seiner Einwilligung umfangreiche Rechte ein. Er kann diese Einwilligung jedoch jederzeit widerrufen. Stünden die Daten in seinem Eigentum, könnte er sie verkaufen und begäbe sich so dauerhaft jeden Einflusses. Solche Datenverkäufe könnten auch aus Gründen wirtschaftlicher Schwäche erfolgen. Auch, wenn Daten wirtschaftlich schwächerer Marktteilnehmer der Käuferseite weniger wert wären, als die Daten reicher Leute, so könnte sich doch ein Trend einstellen, an dessen Ende sich nurmehr besser Gestellte ein hohes Maß an Privatsphärenschutz leisten könnten. 
 
Kommen wir zu dem neuen Werk: Welche Ziele verfolgt die Stiftung Datenschutz damit?

Frederick Richter: Der Name der Reihe DatenDebatten soll es herausstellen: Wir wollen den Stand der Diskussion darstellen und zur deren Fortführung anregen. Dies will der Sammelband leisten, indem er den Gegenstand der Debatte mit Aufsätzen von Persönlichkeiten aus ganz verschiedenen Fachrichtungen beleuchtet. 

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Welche weiteren Themen findet der Leser vor?


Frederick Richter: Der dritte Band der DatenDebatten widmet sich ganz bewusst dem inhaltlich wie bereits begrifflich umstrittenen Thema eines Dateneigentums. Aber nicht nur dies spielt eine Rolle. Eine andere grundlegende Frage ist die nach dem Wert von Daten und wie mit ihnen gehandelt wird.

Hinzu kommen wichtige Gedanken und Vorschläge zu einer Ergänzung des Zivilrechts: Sollten wir nicht ganz konkret über die Kodifikation eines Datenschuldrechts nachdenken, um dem bereits in aller Breite stattfindenden Datenhandel neben vertraglichen Regeln auch gesetzliche Leitplanken zu geben? Antworten dazu enthält der Beitrag von Frau Prof. Dr. Louisa Specht.

„Neue Verfügungsrechte könnten Schutzlücken schließen“


Ihr Ausblick: Wird es in 10 Jahren ein eigenständiges Dateneigentum geben?


Frederick Richter: Ein Eigentumsrecht an personenbezogenen Daten wird es nach meiner Erwartung nicht geben. Neue Verfügungsrechte an rein maschinell erzeugten Daten könnten ein Erfordernis sein, um Schutzlücken zu schließen. Die Einführung eines Datenschuldrechts, was das Datenschutzrecht ergänzt, kann ich mir sehr gut vorstellen.  

Dateneigentum und Datenhandel

Herausgegeben von der Stiftung Datenschutz

„Meine Daten gehören mir!“ – „Daten sind die neue Währung“. An starken Forderungen und Vergleichen mangelt es nicht, wenn es um Verfügungsrechte an Daten und den Handel von und mit ihnen geht. Doch werden mit der Diskussion um Dateneigentum & Co. oft klassische Grundannahmen des Datenschutzes hinterfragt.

Der neueste Band der DatenDebatten, herausgegeben von der Stiftung Datenschutz, beleuchtet diese facettenreiche Thematik aus den wichtigsten dabei involvierten Fach- und Blickrichtungen, wie zum Beispiel:

  • Reicht das Konstrukt „informationelle Selbstbestimmung“ aus? Oder braucht es neue Regelungen, um die heutigen Erwartungen vieler Bürger/-innen an die Verfügungsgewalt über sie betreffende Daten zu erfüllen?
  • Welchen Wert haben Daten? Werden personenbezogene Daten immer mehr zu einem Tausch- und Zahlungsmittel?
  • Wie kann mehr Transparenz geschaffen werden? Welche Folgen hat die im digitalen Alltag vieler Menschen längst stattfindende Kommerzialisierung von Privatsphäre?

(ESV/bp)

Programmbereich: Wirtschaftsrecht