Royale Pizza
Neugierig geworden? Werfen Sie doch einen Blick in den Artikel
von Christine Ott zur „Italienischen Esskultur“:
Italien – regionale oder nationale Esskultur?
Gibt es die italienische Esskultur? Auch wenn es richtig ist, die regionale Vielfalt von Italiens Küchen zu betonen, gehen Alberto Capatti und Massimo Montanari von einem bereits seit dem Mittelalter wahrnehmbaren „italienischen Modell“ aus. Dieses definiere sich allerdings nicht durch bestimmte Produkte, sondern durch spezifische Zubereitungsweisen und Kenntnisse (Capatti/Montanari 2005, IX). Die italienischen Städte spielten bei der Herausbildung dieses Modells eine zentrale Rolle. Schon seit dem Mittelalter habe sich Italien durch seine Vielzahl an politisch und kulturell wichtigen Städten von den europäischen Nachbarländern unterschieden. Als Orten, an denen regionale Produkte vermarktet und ausgetauscht wurden (wobei die Zirkulation immer schon Hybridisierung – von Rezepten und Speisenfolgen – bedeutete), sei den Städten eine grundlegende Rolle in der Herausbildung einer zugleich regionalen und nationalen Esskultur zugekommen (ibd. X).
Anhand der Analyse von Kochbüchern haben Capatti und Montanari versucht auszumachen, wodurch sich die italienische Küche schon seit dem Mittelalter von anderen europäischen Küchen unterscheidet. Sie stellen zuallererst eine starke Präsenz von Gemüse (auch in der Küche der hohen Klassen) fest (ibd. 44). Dass man in Italien mehr Gemüse und weniger Fleisch isst als in den übrigen europäischen Ländern, bestätigt auch der im 17. Jh. nach England geflohene Protestant Giacomo Castelvetro, der in einer Sehnsucht nach dem heimischen Gemüse und Obst eine Liste aller „in Italien verzehrten Sorten“ angefertigt hat (ibd. 46). Ferner komme Polenta, Suppen und Gnocchi eine zentrale Stellung zu. Und natürlich der Pasta: Bereits im Mittelalter gab es eine Vielfalt von Formen; heute verzeichnet die Pasta-Enzyklopädie von Oretta Zanini de Vita (2009) nicht weniger als 310 Sorten. Die pasta secca wurde vermutlich von den Arabern nach Sizilien gebracht und verbreitete sich von dort aus v. a. in Süditalien (ibd. 60). Daneben gab es seit dem Mittelalter torte, also gefüllte Teiggerichte, die vermutlich von Italien aus in die Nachbarländer gelangten (ibd. 68). Lässt sich ab dem 15. Jh. eine Reihe von Rezeptsammlungen mit interregional-nationalem Charakter ausmachen, so beginnt ab dem 17. Jh. eine „Regionalisierung“ der Kochbücher (ibd. 25). Ab dem 19. Jh. tragen insbesondere drei Faktoren zur Herausbildung jener Esskultur bei, die bis heute als die italienische wahrgenommen wird: die nationale Einigung, ein Kochbuch und die italienische Emigration in die USA.
Auszug aus dem Handbuch Italienisch | 27.10.2021 |
„Was, frage ich euch, haben die Römer je für uns getan?“ | |
Das „Handbuch Italienisch“ bietet weitaus mehr als Antworten auf die Frage: „Was haben die Römer je für uns getan?“, die einigen aus dem Film-Klassiker „Das Leben des Brian“ bekannt vorkommen könnte. Wer also zunächst an das Aquädukt gedacht hat oder an Wein, öffentliche Ordnung, Straßen oder Architektur, der wird in dem folgenden Auszug aus dem „Handbuch Italienisch“ einen schönen Einblick in einen von 96 Einzelartikeln über Sprache, Literatur und Kultur Italiens finden. mehr … |
Norditalienische Soldaten, die um 1860 im Gefolge Garibaldis in den Süden gelangen, importieren dortige Essgewohnheiten wie etwa Pasta mit Tomatensoße in ihre Heimat (La Cecla 1998, 29). Und das neapolitanische Billiggericht Pizza wird durch einen populistischen Schachzug des piemontesischen Königspaars Umberto und Margherita aufgewertet. Zumindest besagt die Legende, dass die italienische Königin während ihres Neapel-Aufenthalts im Juni 1889 drei Arten Pizza probierte, und ihr die dritte am besten schmeckte (Dickie 2009, 236 f.; La Cecla 1998, 49). Sie war mit Tomaten, Mozzarella und ein paar Basilikumblättern belegt und wurde daraufhin Pizza Margherita getauft. Doch weder Margheritas Zeitgenosse Carlo Collodi (der Autor des „Pinocchio“) noch die sozial engagierte Schriftstellerin Matilde Serao (und sie war Neapolitanerin!) mochten Pizza – ihr Siegeszug begann erst später (Dickie 2009, 228).
Ganz entscheidend für erste Ansätze zu einer Nationalküche war dann die Wirkung eines Kochbuchs: In seinem „La Scienza in cucina e lʼArte di mangiar bene“ (1891), das bis zur heutigen Zeit ein absoluter Klassiker geblieben ist (Meter 1989, 60), hat Pellegrino Artusi nicht nur Rezepte aus allen italienischen Regionen versammelt; er hat sich auch darum bemüht, eine kulinarische Fachsprache bereitzustellen, die überregional sein und zugleich die dominanten französischen Termini durch italienische Neologismen ersetzen sollte. Eine nicht nur textuelle, sondern faktische Einigung erfuhr die talienische Küche allerdings erst infolge der Massenemigration nach Amerika (um 1870–1930). In den Little Italys der amerikanischen Großstädte wurden regionale Unterschiede eingeebnet, es entstand eine italienische Küche, die sich freilich mit Gerichten wie Spaghetti with meatballs rasch zur italoamerikanischen Küche entwickelte.
Wie die italienische Küche dann zum „World Food“ wurde und wie sie sich in Film und Literatur zeigt, können Sie im „Handbuch Italienisch“ weiter lesen. Bis dahin hoffen wir, dass wir Ihren Appetit wecken konnten und wünschen Ihnen frohe Weihnachten und einen guten und gesunden Rutsch ins neue Jahr! Buon Natale!
Die Herausgeberinnen |
Professorin Dr. Antje Lobin hat an den Universitäten Gießen, Dijon und Rom studiert (Französisch, Italienisch, Betriebswirtschaftslehre) und wurde an der JLU in Gießen mit einer Arbeit zur Sprachwissenschaft des Italienischen promoviert. Dort habilitierte sie sich im Jahr 2015 im Fach Romanische Sprachwissenschaft. Seit 2015 ist sie Professorin für Italienische und Französische Sprachwissenschaft am Romanischen Seminar der JGU Mainz. PD Dr. Eva-Tabea Meineke hat an der Universität IULM in Mailand „Lingue e letterature straniere“ studiert und wurde innerhalb eines Co-tutelle-Programms mit Paris 8 an ebendieser Universität im Fach „Letterature comparate“ promoviert. Zudem studierte sie am UCL London. Seit 2011 lehrt und forscht sie am Romanischen Seminar der Universität Mannheim. Dort habilitierte sie sich 2017 in Romanistischer und Vergleichender Literaturwissenschaft. |
Handbuch Italienisch Sprache – Literatur – Kultur Für Studium, Lehre, Praxis Herausgegeben von: Antje Lobin, Eva-Tabea Meineke Das „Handbuch Italienisch. Sprache – Literatur – Kultur“ präsentiert grundlegende Themen aus den drei Gegenstandsbereichen der Italianistik von den |
Programmbereich: Romanistik