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Gut, dass es mannigfaltige Schreibkontexte gibt, sagt Dr. Sandra Reitbrecht (Foto: privat)
Nachgefragt bei: Dr. Sandra Reitbrecht

„Schreibenlernen als lebenslanger Prozess“

ESV-Redaktion LP
27.05.2021
Wir schreiben immer in Kontexten, sagt Dr. Sandra Reitbrecht im Interview mit der ESV-Redaktion. Lesen Sie hier, welche Kontexte es geben kann und was dieses Wissen für Lehr-Lernsituationen bedeutet.
Liebe Frau Reitbrecht, schreiben wir immer in Kontexten? Was genau bedeutet das?

Sandra Reitbrecht:
Schreiben ist immer ein situiertes und kontextualisiertes Handeln. Genauer in den Blick zu nehmen gilt es aber, in welcher Weise Kontextfaktoren für einen konkreten Schreibprozess und ein konkretes Schreibprodukt relevant werden bzw. von Schreibenden relevant gesetzt werden. Macht man beispielsweise während einer Tagung Notizen zu einem Vortrag, so unterliegt dieser Prozess u. a. unmittelbar zeitlichen Bedingungen, die durch das Sprechtempo des Vortragenden entstehen und die sich im Schreibprodukt beispielsweise in stichwortartigen Formulierungen niederschlagen können. Verfasst man auf Basis der Notizen auch einen Tagungsbericht, so erhalten weitere Faktoren Relevanz, u. a. die fachliche Ausrichtung, die Sprache(n), das Leser*innenpublikum und redaktionelle Vorgaben des Publikationsmediums.
Eine besondere Herausforderung für Schreibende stellt dabei die Tatsache dar, dass manche dieser Faktoren im Schreibprozess nicht unmittelbar erfahrbar sind, sondern antizipiert werden müssen. Deshalb ist es m. E. aus einer schreibdidaktischen Perspektive besonders wichtig, Kontextfaktoren in Lehr-Lernsituationen zum Thema zu machen und den selbstregulierten Umgang mit variierenden Schreibkontexten anzubahnen.

Wie unterscheidet sich z. B. das Schreiben in der Schule vom Schreiben in der Universität?

Sandra Reitbrecht: Neben Unterschieden in Umfang und Komplexität von Schreibaufgaben in Schule und Studium müssen Studierende in ihren Texten auch domänenspezifischen Ansprüchen und Konventionen beim wissenschaftlichen Schreiben gerecht werden, die durch dessen diskursiven Charakter einer Regulation durch die Diskursgemeinschaft unterliegen. Ich denke da z. B. an die explizite Intertextualität oder die intersubjektive Nachvollziehbarkeit als Qualitätskriterien wissenschaftlicher Texte sowie an Peer-Review-Verfahren als Mittel der Qualitätssicherung.
Wichtig ist aber auch ein differenziertes Verständnis von Schreiben innerhalb der beiden Institutionen: So erleben wir aktuell interessante Entwicklungen in Forschung und Praxis für das Schreiben in unterschiedlichen Schulfächern und Wissenschaftsdisziplinen, die zeigen, dass Schreiben an den genannten Institutionen weiter auszudifferenzieren ist. Für das Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ist zudem eine internationale Perspektive unumgänglich, die auch länderspezifische curriculare Vorgaben oder unterschiedliche Wissenschaftskulturen mitberücksichtigt, wie dies auch mehrere Beiträge im Sammelband Schreiben in Kontexten verdeutlichen.

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Wie läuft es in Integrations- und berufsbildenden Kursen ab?

Sandra Reitbrecht:
Hier lassen sich zum einen ähnliche Entwicklungen erkennen. So finden sich, betrachtet man beispielsweise den Lehrwerksmarkt, vermehrt Angebote, die auf die spezifischen kommunikativen Anforderungen in unterschiedlichen beruflichen Feldern eingehen und dabei auch berufsspezifische Schreibsituationen und -aufgaben berücksichtigen.
Zum anderen ist der Unterricht in Integrationskursen aber auch stark dadurch geprägt, dass am Ende des Kurses ein standardisierter Sprachtest zu bestehen ist, was der genannten Vielfalt sowie auch individuellen Schreiblernzielen zuwiderlaufen kann.

Was halten Sie vom materialgestützten Schreiben?

Sandra Reitbrecht:
Viel. Materialgestützte Schreibaufgaben bieten meines Erachtens eine vielversprechende Lernsituation für Anforderungen, wie Schreibende sie beim wissenschaftlichen Schreiben, aber auch bei vielen beruflichen Schreibaufgaben vorfinden. Durch eine Kombination mit schreibdidaktischen Verfahren wie dem Modelllernen oder der prozedurenorientierten Didaktik können zudem unterschiedliche Anforderungen des materialgestützten Schreibens auf Prozess- und Produktebene weiter didaktisch fokussiert werden.
Etwas unglücklich bin ich allerdings mit dem Begriff, da dieser die in der Summe ebenso zentralen Leseprozesse beim materialgestützten Schreiben nicht gleichwertig offenlegt.

Im Sammelband Schreiben in Kontexten werden verschiedene Kontextmodelle vorgestellt. Was hat es damit auf sich?

Sandra Reitbrecht: Sabine Dengscherz bezeichnet das im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojektes entwickelte PROSIMS-Schreibprozessmodell explizit in ihrem Beitrag als Kontextmodell. Sie betont damit die Relevanz kontextueller Faktoren für das Schreiben und deren Berücksichtigung im besagten Modell. Dass die Bezeichnung auch auf weitere Modelle zum Schreiben zutrifft, verdeutlicht Carmen Heines Überblick über Modelle aus unterschiedlichen Disziplinen: Sie tragen dem Kontext in ihren Modellierungen von Schreibprozessen oder Schreibkompetenzen ebenfalls Rechnung.

Was ist Ihr persönliches Fazit nach Herausgabe dieses Sammelbandes?

Sandra Reitbrecht: Die vierzehn im Sammelband vertretenen Beiträge verdeutlichen meines Erachtens sehr gut, dass es mannigfaltige Schreibkontexte gibt und dass diese in unterschiedlichen Handlungsfeldern des Faches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Berücksichtigung finden: bei der Modellbildung und in der Forschung zum Schreiben ebenso wie bei der didaktischen Gestaltung von Lerngelegenheiten für das Schreiben.
Im Sinne eines Ausblicks scheint es mir dabei wichtig, dass wir Schreibenlernen in Zukunft noch stärker als lebenslangen Prozess verstehen, da sich für Schreibende auch über Schule und Studium hinaus immer wieder neue Schreibaufgaben ergeben können. Für mich war das Verfassen dieses Interviews zum Beispiel eine solche neue Schreiberfahrung.

Die Herausgeberin
Sandra Reitbrecht ist ausgebildete Lehrerin für Deutsch, Französisch und Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und promovierte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Fach Sprechwissenschaft und Phonetik. Sie arbeitet am Didaktikzentrum für Text- und Informationskompetenz der Pädagogischen Hochschule Wien. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der Schreibdidaktik, der Aussprachedidaktik sowie der Durchgängigen Sprachbildung.

Schreiben in Kontexten

Herausgegeben von Sandra Reitbrecht

Schreiben als situiertes Handeln ist immer eingebunden in Kontexte, es erfolgt in Wechselwirkung mit diesen Kontexten. Schreibkontexte stellen daher auch für das Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache einen relevanten Gegenstand dar, den es sowohl bei der Modellbildung zum Schreiben, in der empirischen Forschung zum Schreiben als auch bei der didaktischen Gestaltung von Schreiblerngelegenheiten zu berücksichtigen gilt.
In diesem Sinne versammelt der vorliegende Band vierzehn Beiträge zu aktuellen Projekten aus den genannten Handlungsfeldern. Die in den einzelnen Arbeiten in den Blick genommenen Schreibkontexte verdeutlichen die kontextuelle Vielfalt des Schreibens in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und reichen vom Schreiben in Prüfungs- und Lernsituationen der DaF-Germanistik über das Schreiben in der Zweitsprache Deutsch in beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen bis zum Schreiben in unterschiedlichen schulischen Lehr-Lern-Situationen.

Programmbereich: Deutsch als Fremdsprache