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Schwintowski: „Das Prinzip der Zeitgleichheit zwischen ein- und ausgespeister Energie beherrscht den Energiehandel“ (Foto: privat)
Nachgefragt bei Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski

Schwintowski: „Die Regulierungsdichte auf den Energiemärkten ist im Großen und Ganzen angemessen“

ESV-Redaktion Recht
26.03.2018
Kaum ein Markt ist so dynamisch wie der Energiemarkt. Doch was ist das Besondere daran? Welchen Sinn hat die Regulierung? Diesen und anderen Fragen stellte sich Energierechtsexperte Prof. Dr. Schwintowski in Teil 1 des Interviews mit der ESV-Redaktion.

Herr Professor Dr. Schwintowski, was unterscheidet den Energiehandel eigentlich vom Handel mit anderen Gütern?


Hans-Peter Schwintowski: Bei Strom und Gas handelt es sich um leitungsgebundene Produkte – sie können nur dann frei gehandelt werden, wenn zugleich die Erzeuger und die Letztverbraucher diskriminierungsfreien Zugang zu den Strom- und Gasnetzen haben. Man kann mit anderen Worten nicht auf Halde produzieren und warten, bis die Nachfrage anzieht. Das Prinzip der Zeitgleichheit zwischen ein- und ausgespeister Energie beherrscht den Energiehandel und macht ihn deutlich schwieriger, als den Handel mit Produkten, die man lagern kann.

An dieser Erkenntnis ändern auch die modernen Pump- und Batteriegroßspeicher noch nichts. Die Speicher sind noch zu teuer. Sollte sich dies eines Tages ändern, dann allerdings würde der wesentlichste Unterschied zwischen dem Energiehandel auf der einen und dem Warenhandel auf der anderen Seite aufgehoben sein.

Ein Schlagwort, auf das man in diesem Bereich immer wieder trifft, lautet „commodity”. Können Sie diesen Begriff kurz skizzieren?

Hans-Peter Schwintowski: Der Begriff commodity ist ein anderes Wort für den Begriff Gut oder Ware. Gas oder Strom sind Güter und damit auch commodities. Aber sie sind – und das unterscheidet sie von fast allen anderen Waren, mit denen wir handeln – nur im Netz handelbar und damit Besonderheiten unterworfen, die es auf anderen Großhandelsmärkten nicht gibt.

Zur Person 
Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Europarecht an der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitherausgeber des Handbuchs Energiehandel, kürzlich in 4. Auflage im Erich Schmidt Verlag erschienen.

Unternehmen im Energiehandel unterliegen bestimmten regulatorischen Rahmenbedingungen. Diese betreffen sowohl den physischen als auch den finanziellen Handel. Wie sieht dieser Regulierungsrahmen aus?

Hans-Peter Schwintowski: Der Energiehandel findet teilweise über die Strombörse (EEX) statt und muss sich den Regularien dieser Börse unterwerfen. Das gilt sowohl für den physischen Handel mit Energiemengen am Spotmarkt als auch für den finanziellen Handel im Rahmen von Termingeschäften. Termingeschäfte können sehr langfristig und sehr spekulativ sein.

Soweit sie die Merkmale von Finanzgeschäften erfüllen, fallen sie deshalb in den Anwendungsbereich der von der BaFin zu kontrollierenden Geschäfte nach dem Kreditwesengesetz. Dies bedeutet, dass Energiehändler in der Regel eine Erlaubnis für ihre Tätigkeit benötigen und die sehr ausdifferenzierten Regularien für Finanzinstrumente beachten müssen. Das betrifft etwa die Regelungen zur Vermeidung von Marktmachtmissbrauch und Insiderhandel nach der europäischen Verordnung REMIT.

Die daneben stehende europäische Verordnung EMIR sorgt dafür, den außerbörslichen Derivatehandel transparenter und sicherer zu machen. OTC-Transaktionen werden deshalb regelmäßig über zentrale – also unter der Aufsicht stehende – Gegenparteien abgewickelt und gecleart, das heißt zentral verrechnet und besichert.

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Wie hoch ist die Regulierungsdichte in Deutschland und der EU vor dem Hintergrund des intensiven globalen Wettbewerbs. Halten Sie diese für angemessen?

Hans-Peter Schwintowski: Die Regulierungsdichte in Deutschland und Europa entspricht den internationalen Gebräuchen. Die Grundkonzeption der Regulierung entspricht den Vereinbarungen der G20-Staaten. Richtig ist, dass die Regulierungsdichte als Folge der Finanzkrise im Jahre 2008 zugenommen hat. Das hatte allerdings nichts mit der Energiewirtschaft zu tun.

Die Regulierungsdichte auf den Märkten für Energiehandelt halte ich für im Großen und Ganzen angemessen. Die Tatsache, dass kein deutscher und europäischer Energiehändler in der Vergangenheit Insolvenz anmelden musste, dürfte auch Ausdruck eines angemessenen Regulierungskonzepts mit Augenmaß sein.
 
Ein großer Bereich ist das Thema OTC-Handel. Was kennzeichnet diese Handelsform?

Hans-Peter Schwintowski: Der OTC-Handel nimmt deshalb einen großen Raum ein, weil dieses Element den Energiehandel beherrscht. Es geht um bilaterale, außerbörsliche Geschäfte, deshalb Over-The-Counter. Im Gegensatz zu börsengehandelten Produkten sind OTC-Produkte in aller Regel individuelle, maßgeschneiderte Produkte, die von Zwischenhändlern, wie Banken oder großen Energieunternehmen, angeboten werden.

Wie werden diese Geschäfte abgewickelt?

Hans-Peter Schwintowski: Die Geschäfte können, je nach Parteivereinbarung, physisch oder auch finanziell abgewickelt werden. Bei den physisch abgewickelten Geschäften besteht die Erfüllung in der Lieferung von Strom oder Gas. Bei finanziell abgewickelten Geschäften besteht die Erfüllung in der Zahlung eines Geldbetrags.

Ein Wort zu Ihrem Werk: Der Leser gewinnt leicht den Eindruck, dass dieses den Energiehandel einerseits aus rein ökonomischer Sicht, andererseits aber auch aus dem Blickwinkel des Juristen beschreibt. Was sind die unterschiedlichen Sicht- und Herangehensweisen?

Hans-Peter Schwintowski: Das Werk versucht, den Energiehandel aus verschiedenen Perspektiven zu erfassen und als Folge davon eine Gesamtschau zu ermöglichen. Die ökonomische Perspektive untersucht die kaufmännischen Prozesse und Abläufe – die rechtliche Perspektive ergänzt sie, vor allem um die Grenzen des ökonomisch Möglichen zu beschreiben.

Beide Perspektiven gehören in Wirklichkeit zusammen, sind aber durch eine getrennte Abarbeitung leichter verständlich und entsprechen zugleich der Lebenswirklichkeit in den Energiehandelsunternehmen.

Letztlich müssen allerdings beide Seiten erkennen und verstehen, dass die Ökonomie des Energiehandels nicht ohne Recht und das Energiehandelsrecht nicht ohne die zugrunde liegende Ökonomie auskommen.

Fortsetzung folgt
Erfahren Sie in Teil 2 des Interviews mehr über die vertraglichen Grundlagen des Energiehandels, den CO2-Handel oder den Einfluss neuer Technologien – wie FinTechs, LegalTech oder Smart-Contracts –  auf den Energiemarkt.   


Handbuch Energiehandel

Herausgeber: Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski, Frank Scholz, Dr. Andreas Schuler

Hohe Regulierungsdichte und stetig wechselnde rechtliche, politische und gesellschaftliche Unwägbarkeiten: Kaum ein Wirtschaftszweig ist so risikobehaftet wie der Handel mit Energierohstoffen. Das bewährte Handbuch beleuchtet das anspruchsvolle Arbeitsfeld aus allen einschlägigen rechtlichen und empirisch-ökonomischen Blickwinkeln. Im Fokus stehen:

  • Zentrale Geschäftsfelder, wie der OTC-Handel und der Handel an der Börse,
  • Aufsichtsrechtliche Bezüge, die innerhalb der Spezialkapitel funktional hergestellt werden.

Die 4. Auflage des Standardwerks greift neueste Entwicklungen zum nationalen und supranationalen Energiehandel auf, unter anderem:

  • Aktualisierung der Erläuterungen zu den Standard-Handelsverträgen (EFET)
  • Aktuelle Fragestellungen im Kontext des Risikomanagements mit vielen Umsetzungsbeispielen
  • Energiehandel an der EEX

(ESV/bp)

Programmbereich: Energierecht