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Bettina Siegler (Foto: a-e-b)
Nachgefragt bei: Bettina Siegler, a-e-b GmbH

Siegler: „Damit der Umgang mit Belastungen nicht auf Dauer frustriert, ist ein neues Arbeits- und Selbstverständnis nötig“

ESV-Redaktion Arbeitsschutz
16.03.2020
Bettina Siegler, Diplom-Betriebswirtin und psychologische Psychotherapeutin, erläutert im Gespräch mit der ESV-Redaktion, wie Change in Unternehmen gelingen kann und welchen Herausforderungen Führungskräften aktuell begegnen.

Was genau machen Sie?

Siegler: Ich unterstütze ManagerInnen, EntscheiderInnen, Verantwortliche dabei, anstehende Themen zu reflektieren und Entscheidungen und Einschätzungen nicht allein auf analytischer und faktenbezogener Basis zu treffen. Eigene Verhaltensweisen zu verstehen und andererseits den Kontext und andere Personen im „System“ adäquat zu berücksichtigen, machen oft den Unterschied. Die Aussage eines Managers in einem meiner letzten Workshops pointiert das recht deutlich: „Es nutzt mir nichts, wenn ich zig belegbare Fakten und statistische Hochrechnungen vorlegen kann, all das verkauft sich nicht von selbst – es braucht die Menschen dazu. Also muss ich da ansetzen.“

Was sind aus Ihrer Sicht die aktuellen Herausforderungen in Unternehmen – für Organisation, Management und Mitarbeiter und wie kann denen begegnet werden?


Siegler: Die Digitalisierung und der Zwang zur Innovation und zu immer schnelleren Produktionszyklen machen vor keiner Branche Halt. Das betrifft alle Ebenen von Organisationen. Daraus resultiert der Umgang mit Belastung: Immer wieder berichten Mitarbeiter jeglicher Hierarchieebene, wie schwer es für sie ist „nie mit etwas fertig zu sein“. Sie schildern „Ich gehe den Tag mit klar definierten Aktivitäten an und am Ende des Tages sind zwei von 10 Haken gesetzt. Da frage ich mich schon, was habe ich eigentlich heute gemacht?“. Damit das auf Dauer nicht frustriert und demotiviert, ist ein neues Arbeits- und Selbstverständnis nötig.

Weiteres Thema ist das Führen im Generations-Mix, der Umgang mit teilweise drei Generationen im Team. Wie schaffen es Organisationen und Vorgesetzte, junge Mitarbeiter, denen alles zu langsam geht, und langjährige Mitarbeiter, die sich für ihre Erfahrung nicht wertgeschätzt fühlen, in ein Team zu integrieren und ihre Motivation für Neues aufrecht zu erhalten?

Wie kann ein Changeprozess gelingen?

Siegler: Obwohl die Literatur zum Thema stetig steigt, wir Zitate wie „Nichts ist beständiger als der Wandel“ auswendig können, überwiegen noch immer die Klagen zu schlecht durchgeführten Changeprozessen. Ich bin da mittlerweile ernüchtert: Den optimalen Change, den gibt es nicht. Es kann funktionieren, wenn direkte Führung möglich ist. Häufig sind jedoch Unternehmensübernahmen und die anschließende Integration zu bewältigen. Wenn das dann noch auf globaler Ebene stattfindet und der Manager in einem Land von den Entscheidungen des Mutterkonzerns abhängt und das gleichzeitig in vielen Ländern stattfindet, steht die Mitnahme der Belegschaft oft erst sehr spät auf der Agenda. Vermeintlich wichtiger ist da zunächst, die Prozesse anzugleichen. Kommen dann noch unterschiedliche Unternehmenskulturen zusammen, prallen Welten aufeinander. Es klappt, wenn nicht gleich alles angegangen und zusammengeführt werden soll. Wenn das Management viel Handlungskompetenz und Verantwortung mitbringt und Transparenz und Ehrlichkeit auch und gerade über Risiken herrscht. Hilfreich ist auch, wenn schnell und konsequent Manager ausgetauscht werden, die die Changeziele konterkarieren.

Aus meiner Sicht haben die Unternehmen Wettbewerbsvorteile, die daran interessiert sind, ihre Mitarbeiter nachhaltig durch Veränderungsprozesse zu begleiten. Es muss ja nicht immer die ausformulierte Vision wie in Großunternehmen sein. Sensibel auf Ängste reagieren, deutlich und klar kommunizieren, präsent und ansprechbar sein, ideenfördernd und fehlerfreundlich agieren und wertschätzend sein – das hat viel mit dem Menschenbild einer Organisation und seiner Individuen zu tun. Das lässt sich nicht verordnen aber vorleben. Führungskräfte sind hier besonders gefordert. Meiner Meinung nach ist das definierte Werte- und Menschenbild ein wichtiger Teil der Unternehmensstrategie.

Sie coachen auch Führungskräfte: Welches sind da die häufigsten Fragestellungen?

Siegler: Der Klassiker seit Jahren und immer noch aktuell: Wie gebe ich kritische Rückmeldung, die auch nachhaltig umgesetzt wird, ohne dass sich der Mitarbeiter in Rechtfertigungen erschöpft oder unsere Beziehung gefriert? Wie bekomme ich eine konstruktive, lösungsorientierte Teamentwicklung hin? Wie schaffe ich es selbst, mich zu entwickeln, meine persönlichen Wachstumsziele nicht aus dem Blick zu verlieren? Mich angemessen zu positionieren?

Besondere Belastungen erleben Menschen, die im mittleren Management tätig sind: Wie überlebe ich die Sandwich-Position? Ziele von oben, Bedürfnisse von unten und sie dazwischen. In Zeiten von Arbeitsverdichtung, Zeit- und Ressourcenmangel mit gleichzeitig steigenden Ansprüchen an Geschwindigkeit und Verfügbarkeit hat das schnell das ein großes Belastungspotenzial. Das sind aber natürlich auch Beanspruchungen, die die Mitarbeiter genauso erleben. Hier ist ein guter Teamzusammenhalt essentiell. Auch dieser ist nicht selbstverständlich und kann erarbeitet werden müssen. Das lohnt aber in jedem Fall, denn soziale Unterstützung puffert andere Stressoren ab. Nicht jeder Führungskraft ist die Gestaltung eines kooperativen und transparenten Teams gegeben bzw. ist das auch etwas, das man gemeinsam entwickeln kann. Wichtig hier auch der Ansatz, erfolgreiche Führung nach oben zu betreiben, um sich und das Team zu schützen.

Führung ist eben die Kunst alle Mitarbeiter zu orchestrieren, sie nach ihren Stärken und Kompetenzen, Motiven und aktueller Lebenssituation zu einem Gesamtgefüge zusammenzufügen.

Wo Menschen zusammenarbeiten, gibt es immer Konflikte und Reibungspunkte. Wir alle bringen auch immer unsere Persönlichkeit mit ein. Seine eigenen Treiber zu kennen, Dynamiken wahrzunehmen, Situationen zu reflektieren, sich selbst zu entwickeln, das ist kein Prozess, der irgendwann abgeschlossen ist. Da ist es mehr als hilfreich, sich dabei unterstützen zu lassen – in welcher Form auch immer.

Vielen Dank! 


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