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Auf vielen Videokanälen findet man Sprachlernvideos. (Foto: Prostock-studio – stock.adobe.com)
Auszug aus: „Sprachvermittlung in den Sozialen Medien“

Sprachenlernen im Internet – eine neue Lernform?

ESV-Redaktion Philologie
24.06.2022
Wer möchte das nicht: bei Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern eine Fremdsprache erlernen und das auch noch möglichst unkompliziert. Sprachlernvideos verschiedener Genres sind en vogue: Erklärvideos, Tutorials, How-to-do-Videos, Podcasts – sie alle vermitteln alltäglich Praktisches sowie fachliches Wissen auf informelle Art und Weise. Es stellt sich allerdings die Frage, auf welcher (professionellen) Basis dieser „Unterricht“ stattfindet.
Das Buch von Akra Chowchong Sprachvermittlung in den Sozialen Medien beschäftigt sich mit Sprachlernvideos zur Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache. Untersucht werden vor allem Lernvideos auf dem partizipativen Videoportal YouTube.

Lesen Sie hier einen Ausschnitt aus dem Buch.

„Put your grammar books away”

„Put your dictionary and grammar books away and start studying with me instead! My channel covers everything from beginners to expert lessons and even though I'm not a professional teacher you'll find that Get Germanized takes on a fresh approach and that looking at things from a different perspective can be key to making progress fast!“ (https://www.youtube.com/c/MeisterLehnsherr/about).

„Deutsch Für Euch („German for you“) is aimed at people wishing for an alternative to school books and dictionaries to learn German. […] I am not a teacher (yet), I'm just interested in languages and appreciate anything to make studying them less dry – because it really doesn't have to be. Viel Spaß beim Lernen!“ (https://www.youtube.com/c/DeutschFuerEuch/about)

Bei den Auszügen handelt es sich um eine Selbstbeschreibung von zwei YouTube-Kanälen, die eine Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache bezwecken. Beide Kanäle, Get Germanized und Deutsch für Euch, grenzen sich darin ausdrücklich von „dictionaries“, „grammar books“ und „school books“ ab und stellen sich als Alternativen dar. Dadurch wird also unterstellt, dass das Lernen mit herkömmlichen Lernangeboten wie Lehr- und Wörterbüchern „trocken“ ausfällt und somit nicht wünschenswert („Put your dictionary and grammar books away“). Ihre sprachdidaktische Herangehensweise sei hingegen „frisch“. Aus den Kanalbeschreibungen geht außerdem der Status bzw. die Professionalität der Produzierenden hervor: Sie bezeichnen sich eindeutig als Amateure im Bereich der Sprachvermittlung. Abstrakter formuliert beinhalten beide Auszüge unterschiedliche Akte des Stancetaking: Meinungen werden geäußert und soziale Positionen werden eingenommen bzw. zugewiesen. Für Barton und Lee (2013) sind solche Phänomene auf öffentlichen Online-Plattformen typisch. YouTube, Facebook, Instagram und Co. gelten demnach als „stance-rich environment“.

Lernen bei Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern

Die Videos der beiden Kanäle generierten bisher über 45 Millionen Aufrufe insgesamt (Stand: Juni 2020). Mit mehreren hunderttausend Abonnierenden gehören sie außerdem zu den bekanntesten DaF-Kanälen dieser Art auf YouTube. Insbesondere für diejenigen, die Deutsch außerhalb des deutschsprachigen Raums lernen oder in der Auslandsgermanistik aktiv sind, bieten sich derartige Lernangebote als praktische Ressourcen an: Sie sind kostenlos, zeit- und ortsunabhängig abrufbar, thematisch uneingeschränkt und erfüllen nicht zuletzt eine allgemeine Erwartung an den ‚idealen‘ Fremdsprachenunterricht: das Lernen bei sogenannten ‚Muttersprachlerinnen‘ oder ‚Muttersprachlern‘. Diese Eigenschaften mögen also die Beliebtheit dieser partizipativen kommunikativen Gattung erklären, die im Rahmen der vorliegenden Dissertation als Sprachlernvideo bezeichnet wird.

Ein explorativer Blick in das Videorepertoire derartiger DaF-Kanäle bringt einige erwähnenswerte Phänomene zu Tage. Dazu gehören einerseits lustige und einfallsreiche sprachdidaktische Erklärungen. Beispielsweise fügt eine Produzentin bei ihrer phonetischen Beschreibung von [ɛː] blökende Schafe in ihr Video ein. Zwei Produzentinnen gurgeln in ihren Videos Wasser vor, um zu demonstrieren, wie man am besten die Artikulation von [ʁ] übt.

Metasprachliche Stances: „Deutsche Sprache, schwere Sprache“?

Neben dem kreativen Umgang mit Lernthemen zeichnen sich Sprachlernvideos auch durch ein weiteres soziolinguistisches bzw. metasprachliches Phänomen aus, das bei den herkömmlichen Sprachlernangeboten wie Lehrbüchern eher ungewöhnlich ist: In Sprachlernvideos werden oft meta-sprachliche Stances zum Ausdruck gebracht bzw. persönliche Meinungen über das Deutsche und seine Sprachformen ausgedrückt. Ein solches Phänomen, das im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu den Metasprachdiskursen gezählt wird, zeigt sich in evaluativen Äußerungen bezüglich der deutschen Sprache und ihrer Einzelaspekte. So bewerten einige Produzierende die deutsche Sprache im Anschluss an eine Erläuterung der Pluralbildung im Deutschen als ‚unlogisch‘. Bei der Einleitung des Genussystems setzt eine Produzentin einen tiefen Ton ein und dunkelt die Farbgebung des Videos ab. Der Unterricht in deutscher Syntax wird von einem Seufzen begleitet. In fast allen Videos werden der deutschen Sprache oder ihren Sprachformen bestimmte Attribute zugeschrieben, sei es ‚einfach‘, ‚schwer‘, ‚kompliziert‘, ‚logisch‘, ‚schön‘ oder auch ‚hässlich‘.

Im Hinblick auf die Thematisierung von Sprachgebrauch weisen derartige Lernvideos eine Ähnlichkeit mit konventionellen Lernangeboten auf, indem Sprachformen normativ behandelt werden: Die Produzierenden stellen bestimmte Sprachformen beispielsweise als ‚regional‘, ‚jugendlich‘, ‚inkorrekt‘ u. Ä. dar, schlagen ihrem Publikum die ‚richtigen‘ Formen vor und raten von bestimmten Sprachformen ab. Beispielsweise wird von der Realisierung des Phonems /r/ durch [r] abgeraten (z. B. „Don’t roll it!“. Der Genitiv wird etwa pauschal mit geschriebener und der Dativ mit gesprochener Sprache in Verbindung gebracht. Ein gravierender Unterschied liegt jedoch darin, dass keine sprachwissenschaftlichen Quellen erwähnt werden und meist vor allem eigener Sprachgebrauch als Bezugspunkt dient (etwa We say x, we don’t say y).

Neue sprachliche Autoritäten?

Durch einen solchen präskriptiven Umgang mit Sprachformen stellen sich die Produzierenden als sprachliche Autoritäten dar, auch wenn sie selbst über keinen sprachwissenschaftlichen oder (sprach-)pädagogischen Hintergrund verfügen („even though I’m not a professional teacher“). 

Ein solches metasprachliches Phänomen ist laut Barton und Lee (2013) in den Sozialen Medien typisch: Bei Sprachlernangeboten auf Online-Plattformen gehe es nicht nur um die Sprachvermittlung per se, sondern auch um die Ausübung autoritativer Macht in Bezug auf Sprachen: „Many YouTube vloggers, for example, take on new roles as language teachers to offer language lessons for free to their viewers […] This is more than taking on a teacher discourse. This is also about people transforming their lay knowledge about language into a more authoritative discourse of competent speakers of a certain language“.

Die partizipative Eigenschaft von YouTube sorgt des Weiteren für Diskursteilhabe durch das Publikum. Dadurch, dass sie die Diskurse der Produzierenden befürworten, ablehnen oder aushandeln, fallen die Kommentare auch evaluativ metasprachlich aus und verfügen ebenfalls über Selbst- und Fremdpositionierungen: Sie evaluieren die deutsche Sprache, ihre Einzelaspekte und nicht zuletzt die Sprachkenntnisse der Produzierenden. So findet man in den Kommentaren neben der häufig belegbaren Beschwerde über die Schwierigkeit des Erlernens der deutschen Sprache (z. B. „German is unnecessarily complicated“ auch eine Herausforderung und Infragestellung der Sprachexpertise („man sollte schon darauf achten, dass man sagt CHemie und nicht SCHemie. Letzteres ist falsch!“).

Wenn wir Sie neugierig gemacht haben, dann lesen Sie gern in unserem Buch Sprachvermittlung in den Sozialen Medien weiter.
Sprachvermittlung in den Sozialen Medien. Eine soziolinguistische Untersuchung von DaF-Sprachlernvideos auf Videokanälen.
Von Akra Chowchong

Dieses Buch analysiert zum ersten Mal in umfassender Form ‚Sprachlernvideos‘ aus soziolinguistischer Sicht. Untersucht werden dabei Videos zur Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache im partizipativen Videoportal YouTube. Neben der technischen und didaktisch-methodischen Vielfalt zeichnen sich derartige Lernangebote durch die sprachreflexive Auseinandersetzung der Produzierenden und des Publikums mit der Zielsprache Deutsch aus.
Theoretisch basiert die Arbeit auf dem soziolinguistischen Konzept des Stancetaking. Durch die Analyse von Stance-Akten, die verbal und nonverbal in den Lernvideos und Kommentaren realisiert werden, lassen sich Diskurse über Deutsch in all ihren möglichen Realisierungsformen herausarbeiten. Zur Sprache kommen beispielsweise Evaluationen von Sprachformen („Das ist kein Standarddeutsch“), Selbst- und Fremdpositionierung unter Produzenten und Kommentierenden („Ich bin Muttersprachler“) oder auch zustimmende bzw. ablehnende Diskurse („Als Lehrer sollte man nicht ‚Schemie‘ sagen“). Die Arbeit legt unter anderem dar, welche sprachlichen Ideologien sich hinter solchen kommunikativen Akten verbergen.

Programmbereich: Deutsch als Fremdsprache