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Die Perspektive der Germanistik im Ausland ermöglicht oft Fragen und Ansätze, welche die deutsche Binnenperspektive übersieht (Foto: udragur - Fotolia).
Im Gespräch mit Prof. Dr. Franz-Josef Deiters

„Transpositionen“: Eine neue Reihe mit australischer Perspektive auf die Germanistik

ESV-Redaktion Philologie
09.02.2021
Im Erich Schmidt Verlag erscheint seit diesem Jahr eine neue Reihe mit dem schönen Namen „Transpositionen - Australische Studien zur deutschen Literatur, Philosophie und Kultur“. Herausgegeben wird sie von den australischen Germanisten und Germanistinnen Franz-Josef Deiters, Alison Lewis, Yixu Lü und Peter Morgan.
Was hat es mit dieser Reihe auf sich, lieber Herr Deiters?

Deiters: Wie alle akademischen Disziplinen haben die Globalisierungsschübe der letzten Jahrzehnte auch die Germanistik erfasst. Dieser Prozess führt weniger zu einer Entortung als zu einer Diversifizierung des wissenschaftlichen Diskurses. So unterscheiden sich die Fragen, die etwa aus australischer Perspektive an die deutsche Literatur und Kultur gestellt werden, häufig in überraschender Weise von jenen, die aus der deutschen Binnenperspektive dringlich erscheinen; selbst wenn seitens der deutschen Germanistik versucht wurde, durch Einnahme eines ethnologischen Blicks eine Außenperspektive auf die eigene Kultur zu simulieren.

Im Falle Australiens ist die Wahrnehmung der deutschen Literatur und Kultur schon durch die große geographische Distanz bedingt. Gerahmt wird sie zudem durch den Umstand, dass Australien und Deutschland in den politischen Großkonflikten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf entgegengesetzten Seiten gestanden haben. Erst in der immer unübersichtlicher werdenden Weltlage der letzten Dekaden beginnen beide Länder, sich verstärkt füreinander zu interessieren. Für die Reihe „Transpositionen“ haben wir mit dem ESV bewusst einen deutschen Verlag gewählt, um die australische Wahrnehmung der deutschen Literatur und Kultur dem deutschsprachigen Fachpublikum zu erschließen.

Die Reihe ist bilingual angelegt und erscheint jeweils gleichzeitig zur Printpublikation auch kostenfrei im Open Access-Verfahren auf unserer Seite ESV-Open. Wen sehen Sie als Zielgruppe für die Bände und was sind die zentralen Themenbereiche?

Deiters: Deutsch ist die internationale Sprache der Germanistik, while English happens to be the local language in Australia. Das sind die Gründe für die zweisprachige Anlage der Reihe. Als Zielgruppe haben wir die internationale Fachöffentlichkeit im Sinn, wobei das Konzept von „German Studies“ in der anglophonen Welt im Vergleich zum Selbstverständnis der Germanistik im deutschsprachigen Raum sehr viel weiter angelegt ist; zu den Gegenständen der „German Studies“ gehören potentiell alle auf die deutschsprachigen Länder bezogenen Studieninhalte des geistes- und kulturwissenschaftlichen sowie sozialwissenschaftlichen Fächerspektrums.

Der erste Band der neuen Reihe ist gerade frisch erschienen und beschäftigt sich mit der deutschen NS-Vergangenheit und der kulturellen Erinnerung an sie. Anhand der Werke von Bernhard Schlink, Ulla Hahn, Tanja Dückers und Marcel Beyer versucht die Autorin, Kylie Giblett, der Frage nach Schuld und Unschuld, Opfer und Täter nachzugehen. Was ist das Besondere an diesem Buch?

Deiters: Kylie Gibletts Buch darf als ein Paradebeispiel des australischen Blicks von außen auf die deutsche Literatur und Kultur nach 1990 gesehen werden. In ihrer ausgezeichneten Studie geht die Autorin der Frage nach, wie sich das Erinnern der NS-Vergangenheit in den Jahrzehnten seit der Vereinigung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten entlang der Täter-Opfer-Dichotomie formiert hat. Die literarischen Texte der von Ihnen genannten Autorinnen und Autoren dienen Giblett dabei als meta-historiographische Dokumente, deren Analyse grundlegende Tendenzen im Erinnerungsgeschehen freilegt und überhaupt den Status, den das Erinnern an den Nationalsozialismus im kulturellen Selbstverständigungsprozess der Deutschen nach der Vereinigung von Ost und West besitzt, sichtbar macht. Aus meiner Sicht leistet dieses Buch exemplarisch, was mit der Gründung der „Transpositionen“ beabsichtigt war. Die Studie stellt deshalb den denkbar besten Start der Reihe im ESV dar.

Auszug aus: Transpositionen / Transpositions 03.02.2021
„Every witness is a false witness”: NS-Vergangenheit in literarischen Darstellungen
„So viel Hitler war nie”, mit diesem Zitat leitet Dr. Kylie Giblett in Ihren Band „The version that wanted to be written“ ein. Darin befasst sie sich mit der innerdeutschen Verarbeitung und Bewältigung der Nazi-Vergangenheit, die sich neben zahlreichen Debatten in den zwei Jahrzehnten nach der Wiedervereinigung auch in literarischen Texten äußern. mehr …

Können Sie uns ein wenig darüber erzählen, nach welchen Kriterien die Herausgeber darüber entscheiden, welche Manuskripte in die Reihe aufgenommen werden? Und welche Bände sind als nächstes für eine Veröffentlichung in der Reihe geplant?

Deiters: In die Reihe aufgenommen werden Monographien und Sammelbände von australischen Akademikern und Akademikerinnen, die im Fach „German Studies“ tätig sind. Aufnahmevoraussetzung ist die Zustimmung aller vier Herausgeber nach Sichtung des endgültigen Manuskripts eines vorgeschlagenen Titels (Einstimmigkeitsprinzip). Der nächste Band, der in den „Transpositionen“ erscheinen soll, ist die Studie von Andreas Dorrer: “Neider Überall zwingen uns zu gerechter Verteidigung” – Legitimisation and De-Legitimisation of World War I in German Dramatic Literature. Das Buch hat das Verdienst, ein immenses Korpus von weitgehend verschollenen, für den historischen Augenblick verfassten Dramentexten aufgespürt und diese in ihrer propagandistischen Funktion für die Legitimierung bzw. Delegitimierung des „Großen Krieges“ ausgewiesen zu haben.

Außerdem ist das Erscheinen eines Bandes zum Thema Fakt und Fiktion geplant. Hierbei wird es sich um eine Auswahl von Beiträgen der Konferenz des australischen Germanistenverbandes handeln. Diese Tagung sollte ursprünglich im November 2020 in Melbourne stattfinden und musste, wie so viele Konferenzen, wegen der Corona-Pandemie verschoben werden. Wann genau sie nachgeholt werden kann, bleibt abzuwarten. Aber sie wird stattfinden, und dann wird auch der daraus hervorgehende Band in den „Transpositionen“ erscheinen.

Australien hat die Corona-Pandemie vergleichsweise gut bewältigt, wenn auch unter harten Einschränkungen. Wie steht es in diesem Zusammenhang um die australischen Universitäten bzw. im besonderen um die australische Germanistik?

Deiters: Da die australischen Universitäten einen Großteil ihrer finanziellen Mittel selbst erwirtschaften müssen, hat die Pandemie sie unter enormen Druck gesetzt. Infolge der Schließung der australischen Grenzen im März 2020 sind nämlich die nach Hunderttausenden zählenden internationalen Studierenden ausgeblieben, die mit ihren hohen Studiengebühren einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung des australischen Universitätssystems leisten. Hierauf mussten die Universitätsleitungen unmittelbar reagieren, um liquide zu bleiben: Ganze Fachbereiche wurden kurzfristig ausgedünnt oder gar ganz geschlossen; nach Angaben des Interessenverbandes Universities Australia sind im vergangenen Jahr mehr als 17.000 Stellen (im akademischen und administrativen Bereich) ersatzlos gestrichen worden; für 2021 werden weitere Stellenkürzungen vorhergesagt.

Wie meistens, sind von solchen Maßnahmen zunächst und vor allem diejenigen Fächer betroffen, die einnahmeschwächer sind und einen geringeren „Impact“ vorweisen können. Unter „Impact“ versteht man den kurzfristigen Beitrag universitär erzeugten Wissens zum außeruniversitären Bereich. Da der gesellschaftliche Beitrag der Geistes- und Kulturwissenschaften sehr viel mittelbarer und schwerer zu quantifizieren ist als beispielsweise derjenige der empirisch verfahrenden Sozialwissenschaften, stehen unsere Fächer permanent unter einem Rechtfertigungsdruck, der sich in der Krise nochmals verschärft hat. Aus einer utilitaristischen Grundhaltung heraus sah sich die australische Bundesregierung – mitten in der durch die Pandemie ausgelösten universitären Finanzkrise! – dazu veranlasst, eine Erhöhung der Studiengebühren für inländische Studierende solcher Fächer zu beschließen, die nicht unmittelbar berufsqualifizierend sind. Sie können sich vorstellen, dass dieser Beschluss Fächer wie die Geschichtswissenschaft und die Philosophie sehr hart getroffen hat, für welche die Studiengebühren auf einen Schlag um 113 % erhöht wurden. Interessanterweise wurden für die Sprachen die Studiengebühren gleichzeitig um 46 % gesenkt.

Ob sich diese Maßnahme positiv auf die Einschreibungszahlen der Philologien auswirken wird, bleibt abzuwarten. In jedem Fall vermittelt die Entscheidung einen Eindruck davon, wie die Sprachendisziplinen seitens der politischen Entscheidungsträger eingeschätzt werden – sie werden offenbar nicht als ‚unnütze‘ Geisteswissenschaften betrachtet, sondern als Anbieter von Sprachausbildungsgängen, die einen unmittelbaren Beitrag zum gesellschaftlichen Wertschöpfungsprozess leisten. Ironischerweise könnten die philologischen Fächer also von den beschlossenen Maßnahmen profitieren; die Frage ist nur, wie der Erwartungsdruck das Profil der Sprachendisziplinen an den australischen Universitäten verändern wird.

Wir danken Ihnen herzlich für dieses interessante Gespräch, lieber Herr Deiters.


Die im ESV erhältlichen Bände der Reihe „Transpositionen / Transpositions“ finden Sie unter diesem Link.

The version that wanted to be written
von Dr. Kylie Giblett


The unification of Germany in 1990 set in train a number of dramatic changes in Germany’s political, social and cultural landscape which gave rise to a series of hotly debated memory contests centred on the newly unified nation’s approach to its common Nazi past. As an important medium of cultural memory, literature played a significant part in the controversy and novels dealing with the Nazi past enjoyed widespread popularity and influence in the 20 years following 1990. But what "version" of the Nazi past did the authors of these novels choose to tell?

Using the perpetrator/victim dichotomy around which much of the debate crystallised, this book seeks to answer this question via a close textual analysis of works by Bernhard Schlink, Ulla Hahn, Tanja Dückers, and Marcel Beyer. In providing a deeper understanding of the approach of fiction authors to the Nazi past in the post-1990 period, this book aims to enrich our understanding of its legacy in contemporary German society today.

 

(ESV/Ln)

Programmbereich: Germanistik und Komparatistik