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Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung

25.04.2017
Praxis der Strafverteidigung, Band 41. Von Markus Berndt / Hans Theile. C.F. Müller Verlag, Heidelberg 2016, 342 Seiten, 54,99 Euro, ISBN 3-8114-5463-7.
Praxis der Strafverteidigung, Band 41. Von Markus Berndt / Hans Theile. C.F. Müller Verlag, Heidelberg 2016, 342 Seiten, 54,99 Euro, ISBN 3-8114-5463-7.

Das Unternehmensstrafrecht ist eines der aktuellsten und umstrittensten Themen der rechtswissenschaftlichen und aktuellen politischen Debatte. Auffallend ist, dass Betriebswirte sich derzeit nur selten zu diesem ureigentlich betriebswirtschaftlichen Thema äußern. Es geht schließlich um das Wesen des Unternehmens. Der Band von Berndt und Theile widmet sich diesem aktuellen Thema in all seinen theoretischen und praktischen Aspekten. In dem einführenden Kapitel, für das Theile verantwortlich zeichnet, wird die Diskussion über individuelle oder kollektive Verantwortlichkeit kurz und knapp aber mit theoretischem und historischem Tiefgang dargestellt. Allerdings vermisst man hier – was auch einem Vorwurf an die nicht stattfindende ökonomische Debatte gleichkommt – den Beitrag der Wirtschaftswissenschaften zur Kriminologie. Die ökonomische Theorie der Kriminalität kann – gerade in wirtschaftsjuristischen Fragestellungen – bei der Analyse und Prävention hilfreich sein. Ansonsten werden interessante Debatten aus der aktuellen wissenschaftlichen und praktischen Diskussion aufgenommen. So weist der Autor zu Recht darauf hin, dass die klassische hierarchische Organisationsform immer mehr auf dem Rückzug in modernen Unternehmen ist. Dies kollidiert mit dem Anspruch des Strafrechts, individuelle Anknüpfungstaten auch bei der Verfolgung von Straftaten im Unternehmenskontext zu haben.

Zu Recht wird im Folgenden von den Autoren darauf hingewiesen, dass das Erfordernis einer individualisierten Verantwortlichkeit, die Strafzumessung auf niederen Hierarchieebenen nicht betrifft. Sehr wohl aber bei der Verantwortlichkeit auf oberer Ebene, immer dann, wenn Organmitglieder zur Rechenschaft gezogen werden sollen, hinderlich ist. Detailliert geht das Werk im zweiten Teil auf die rechtliche Bewältigung von Delikten im Unternehmenskontext ein. Der dritte Teil befasst sich dann mit den unternehmensbezogenen Sanktionen des Strafrechts. Thematisiert wird unter anderem die Wirkung von Compliance-Regeln auf die Haftung. Während Organmitglieder und andere Führungsebenen ihre Haftung durch Compliance-Regeln ihre Haftung reduzieren, ergeben sich für andere Ebenen haftungsauslösende Wirkungen, wie der BGH z. B. in der Siemens/ENEL-Entscheidung festgestellt hat. Die internen Regeln des Siemens-Konzerns, die jegliche Form der Bestechung untersagten, führten zu der Folgerung, dass der Zentralvorstand auch die Einrichtung von schwarzen Kassen abgelehnt hat. Als Anknüpfungspunkt für Verteidiger sehen die Autoren die mangelnde demokratische Legitimierung von unternehmensinternen Compliance-Regeln, die ihre direkte Übertragung in Gerichtsprozessen angreifbar machen (unbeschadet bleiben muss jedoch das Recht des Arbeitgebers, Pflichten seiner Mitarbeiter durch Regeln zu konkretisieren). Hier sieht Theile auch eine Gefahr, dass Unternehmen dann immer schärfere Regeln erlassen, wenn der Gesetzgeber Compliance-Regeln unreflektiert in die Gesetzgebung übernimmt. Um weitere Haftungsrisiken zu vermeiden, besteht die Gefahr, dass Unternehmen dann weitergehende neue Compliance-Regeln verfügen. Letztlich kann ein Teufelskreis entstehen, bei dem am Ende für Mitarbeiter nicht mehr erfüllbare Maßgaben stehen.

Theile äußert in einem Kapitel zu Perspektiven des Unternehmensstrafrechts Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Einführung eines solchen Strafrechts. Seine Zweifel sind dabei kriminalpolitisch begründet, da er die reine Symbolhaftigkeit eines solchen Schritts, verbunden mit einer weiteren Ökonomisierung, das heißt fiskalisch ausgerichteten Strafverfolgung, des Strafrechts sieht.

Im abschließenden Teil befasst sich Berndt mit der Unternehmensverteidigung. In diesem Teil wird auch die Rolle des Compliance-Officers thematisiert. Während Berndt das obiter dictum des BGH zur Garantenpflicht in der Entscheidung zur Berliner Stadtreinigung ablehnt, wird die Zurechnung eines Beauftragten gemäß § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 OWiG je nach konkreter Ausgestaltung der Compliance- Organisation bejaht. Hieraus kann sich eine ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung für Compliance-Officer ergeben.

Insgesamt stellen die beiden Autoren die wesentlichen strafrechtlichen Probleme aus Sicht der Unternehmensverteidigung kompakt dar. Auch wenn der Blickwinkel aus der Strafverteidigung gewählt ist, ist die Lektüre auch für Compliance-Verantwortliche durchaus nutzbringend.

Prof. Dr. Stefan Behringer, NORDAKADEMIE, Hochschule der Wirtschaft, Elmshorn

Quelle: ZRFC Risk, Fraud & Compliance Heft 2/2017

Programmbereich: Management und Wirtschaft