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VGH Saarland: Kontaktnachverfolgung durch Private ist intensiver Eingriff in Grundrecht auf Datenschutz (Foto: EKH-Pictures / stock.adobe.com)
Datenschutz und Corona

VGH Saarland: Corona-Vorschriften zur Kontaktnachverfolgung verstoßen gegen Art. 2 der Saarländischen Verfassung

ESV-Redaktion Recht
04.09.2020
Art. 2 § 3 CP-VO des Saarlandes sieht in bestimmten wirtschaftlichen und kulturellen Bereichen – wie etwa der Gastronomie, für Veranstalter von Gottesdiensten, bei Sportveranstaltungen oder beim Betrieb von Kinos und Theatern – die papiergebundene Erfassung der Kundenkontaktdaten vor. Unter anderem hiergegen zog ein Rechtsanwalt vor den Verfassungsgerichtshof (VGH) des Saarlandes, der die benannte Vorschrift gekippt hat.
Zu erfassen sind laut der obigen Verordnung der Vor- und Familienname, der Wohnort, die Erreichbarkeit und die Ankunftszeit der Kunden oder Gäste. Bei Familien oder sonstigen Haushalten reicht es aus, wenn der jeweilige Vertreter die Daten erfasst und weitergibt. Der Beschwerdeführer sah hierin einen Verstoß gegen Art. 2 Satz 2 der Verfassung des Saarlandes. Diese Norm benennt das Grundrecht auf Datenschutz in diesem Bundesland. Der VGH hatte in dem Verfahren das Ministerium des Saarlandes für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie als Beteiligte hinzugezogen.
 

Beschwerdeführer: Keine Rechtsgrundlage für Eingriff in Grundrecht auf Datenschutz

Der Beschwerdeführer sieht in der Verpflichtung zur Gewährleistung einer Kontaktnachverfolgung durch die Erhebung von personenbezogenen Daten einen rechtswidrigen Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz. Sein Hauptargument: Dem Verordnungsgeber fehlt eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. 
 

Beteiligte: Rechtsgrundlage der angegriffenen Norm findet sich in den §§ 32, 28 IfSG in Verbindung mit Art. 6 DSGVO

Das beteiligte Ministerium hält die Verfassungsbeschwerde nicht nur für formal unzulässig. Vielmehr, so die Beteiligte, sei diese auch unbegründet. Die angegriffene Norm würde seine Rechtsgrundlagen nämlich in den §§ 32 IfSG und § 28 IfSG finden. Diese gesetzlichen Regelungen sieht das Ministerium als Vorschriften im Sinne von  6 Abs. 1 lit. c, d, e DSGVO an. Damit, so die Beteiligte weiter, liege eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Erhebung und Verarbeitung von Kontaktdaten vor, so dass es keiner weiteren parlamentarischen Ermächtigung bedürfe.

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VGH Saarland: Über Eingriff von dieser Intensität darf Exekutive nicht alleine entscheiden

Der VGH Saarland ist der Auffassung, dass Art. 2 § 3 der Saarländischen Corona-Verordnung (CP-VO des Saarlandes) mit der Verfassung des Saarlandes – das heißt, mit  Art. 2 SVerf – unvereinbar ist. Danach kann die angegriffene Norm den Bürger entscheidend von der Ausübung seiner grundrechtlichen Freiheiten abhalten. Zudem eignet sie sich dazu Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile zu erstellen. Die weiteren tragenden Gründe des Gerichts:

  • Gesetzliche Grundlage erforderlich: Über einen Eingriff mit einer derartigen Intensität darf die Exekutive nicht alleine entscheiden. Daher müsse das Parlament diese Materie nach einer öffentlichen und transparenten Debatte regeln, wobei es auch auf die Verwendung der Daten ankomme, so der VGH.

  • Art. 6 DSGVO begrenzt nur die Rechtmäßigkeit anderer Normen zur Datenerhebung: Nach Auffassung des VGH enthält Art. 6 DSGVO – mit Ausnahme der Einwilligung – keine Befugnis zur Erhebung von personenbezogenen Daten. Vielmehr begrenzt diese Regelung ausschließlich die Rechtmäßigkeit der Datenerhebung, die auf einer auf anderen Rechtsgrundlage basiert.
  • Keine Einwilligung: Ebenso wenig sah der VGH eine Einwilligung des Betroffenen in die Erhebung persönlicher Informationen. Danach liegt eine solche nicht vor, wenn die betroffene Person nur darüber entscheiden kann, ob sie eine Einwilligung in die Datenverarbeitung erteilt oder darauf verzichtet, am sozialen Leben teilzunehmen.

Die weiteren Folgen der Entscheidung

Allerdings bleibt die Norm bis zu einer Neuregelung durch den Landtag des Saarlandes oder durch den Bundesgesetzgeber vorerst in Kraft – allerdings höchstens bis zum 30.11.2020. Personenbezogene Daten, die nach der angegriffenen Vorschrift erhoben werden, dürfen bis dahin aber nur aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung an die Gesundheitsbehörden übermittelt werden.

Der VGH Saarbrücken hat nur darüber entschieden, ob die angegriffene Norm gegen die Verfassung des Saarlandes verstößt. Dieses Verfahren also betrifft nicht die Frage, ob ein Verstoß gegen das GG vorliegt.

Der Beschwerdeführer hatte allerdings auch eine Verfassungsbeschwerde zum BVerfG eingelegt. Daraufhin setzte der VGH das Verfahren aus. Da der Beschwerdeführer anschließend seine in Karlsruhe eingelegte Beschwerde zurückgenommen hatte, nahm der VGH das bei ihm liegende Verfahren wieder auf.

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde vor dem VGH waren auch die Maskenpflicht und Beschränkungen von Kontakten im öffentlichen und privaten Raum. Diese blieben jedoch erfolglos.

Quelle: Beschluss des VGH Saarland vom 28.8.2020 – Lv 15/20

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Im Wortlaut Art. 2 SVerf – Handlungsfreiheit und Datenschutz
Der Mensch ist frei und darf nicht zu einer Handlung, Unterlassung oder Duldung gezwungen werden, zu der ihn das Gesetz nicht verpflichtet. 2 Jeder hat Anspruch auf Schutz seiner personenbezogenen Daten. 3 Eingriffe sind nur in überwiegendem Interesse der Allgemeinheit aufgrund eines Gesetzes zulässig.
Art. 2 § 3 CP-VO des Saarlandes – Kontaktnachverfolgung
(1)  Die Möglichkeit einer Kontaktnachverfolgung ist verpflichtend zu gewährleisten

  1. beim Betrieb eines Gaststättengewerbes nach dem Saarländischen Gaststättengesetz oder beim Betrieb sonstiger Gastronomiebetriebe jeder Art mit Ausnahme der bloßen Abgabe mitnahmefähiger Speisen und Getränke,
  2. beim Betrieb von Kinos, Theatern, Opern, Konzerthäusern und weiteren kulturellen Veranstaltungen und dem dazugehörigen Probenbetrieb,
  3. beim Betrieb von Indoorspielplätzen,
  4. bei Gottesdiensten und Bestattungen,
  5. beim Trainings-, Kurs- und Wettkampfbetrieb im Sport,
  6. bei sonstigen Veranstaltungen nach § 6,
  7. bei Hotels, Beherbergungsbetrieben und Campingplätzen,
  8. bei Prostitutionsstätten, soweit sie nach dieser Verordnung nicht untersagt sind.
(2) 1 Die Betreiber, Veranstalter oder sonstigen Verantwortlichen haben geeignete Maßnahmen zur vollständigen Nachverfolgbarkeit sicherzustellen. 2 Hierzu gehört die Erfassung je eines Vertreters der anwesenden Haushalte mit Vor- und Familienname, Wohnort und Erreichbarkeit und der Ankunftszeit.

(3) Die erhobenen Daten dürfen nicht zu einem anderen Zweck als der Aushändigung auf Anforderung an die Gesundheitsämter verwendet werden und sind nach Ablauf eines Monats nach Erhebung gemäß der geltenden Datenschutzgrundverordnung zu löschen.


(ESV/bp)

Programmbereich: Wirtschaftsrecht