Sie haben folgende Möglichkeiten:
  1. zum Login.
  2. zur Navigation.
  3. zum Inhalt der Seite.

Geschichten über magische Figuren gehören zum Repertoire mittelalterlicher Texte (Foto: Prostock-studio – stock.adobe.com)
Auszug aus: „Magie und Literatur“

Von höfischen Damen, edlen Rittern und magischen Feen

ESV-Redaktion Philologie
29.03.2022
Feen gelten als übernatürliche Wesen, die dem Menschen in zahlreichen Märchen, Geschichten und Sagen helfend zur Seite stehen. In den altfranzösischen Heldenliedern des 12. und 13. Jahrhunderts tauchen sie erstmals als „fai“, „fae“ oder „fay“ auf. Diese schönen und mächtigen Figuren treten häufig als Beschützer oder Berater der ritterlichen Helden auf und machen ihnen wertvolle Geschenke wie magische Gegenstände. Auch im Artusroman des Mittelalters spielen sie eine Rolle. Die berühmte Fee Morgan le Fay beispielsweise ist hier die Schwester von König Artus.
Um Erzählungen von Feengestalten und viele weitere Texte mit magischen Figuren aus Mittelalter und Früher Neuzeit geht es in dem neu erschienenen Sammelband Magie und Literatur. Erzählkulturelle Funktionalisierung magischer Praktiken in Mittelalter und Früher Neuzeit.


Lesen Sie hier einen Ausschnitt aus dem Beitrag von Stephanie Seidl: Die Fee fehlt. Eine magische Figur und ihre literarischen Funktionalisierungen im „Conte du Papegau“, in Renauts de Bâgé „Bel Inconnu“ und in Wirnts von Grafenberg „Wigalois“:

Dass man mit einer (Ehe-)Frau nicht selten auch einen Vogel bekommt, erzählen eine Vielzahl mittelalterlicher Texte – allerdings ohne diesen Konnex metaphorisch verstanden wissen zu wollen. Sie setzen ihn stattdessen konkret in einem prominenten und produktiven Erzählmuster um, dem sog. Sperberpreis oder Sperberkampf. Dieser funktioniert bekanntermaßen dergestalt, dass ein Ritter in einem Turniergeschehen den ausgelobten Vogel als Auszeichnung exklusiver Attraktivität für seine Dame erstreitet. Mit dem Sperber gewinnt oder bestätigt er zugleich das Anrecht auf ‚Hand und Land‘ dieser Dame.
Prototypisch entfaltet ist das Muster etwa im ersten Teil des „Erec(k)“ (sowohl bei Chrétien als auch bei Hartmann), wenn der Protagonist dergestalt den Vogel für Enide/Enite und sie für sich gewinnen kann. Das narrative Muster selbst scheint jedoch wesentlich älter zu sein und ein mythisches Substrat zu enthalten: Jene Dame, der der Sperber aufgrund ihres exklusiven Status zugehört, war ursprünglich eine Feengestalt. Ex negativo bestätigt Chrétiens erster Roman genau diesen Zusammenhang, wenn er überdeutlich betont, dass Enide kein anderweltliches Potential (mehr) habe, sie gerade keine Fee (mehr) sei: n’i ot fet charaie ne charme („Erec et Enide“ V. 710; ‚Sie trieb keinen Zauber und sprach keine Formel‘).

Interessant ist nun, dass es eine Reihe von (stoffgeschichtlich verwandten) Texten gibt, die den Zusammenhang von Sperberpreis und Feenerzählung zu kennen scheinen, ihn jedoch in eine syntagmatische Verkettung aufspalten: Sie erzählen den Sperberpreis als vorgelagerte Aventiure, die eine sich daran anschließende Feenhandlung einleitet. Drei dieser Texte gelten die folgenden Überlegungen, die fragen wollen, wie die Feengestalt jeweils in die Narration eingeführt wird, in welchem Zusammenhang sie mit dem Erwerb des Vogels im Sperberpreis steht und welche Funktion der magischen Figur für die literarische Gemachtheit des Textes insgesamt zukommt.
Dass die hier behandelten Beispiele in einem gemeinsamen Erzählzusammenhang stehen, ist unverkennbar, ihre exakten Abhängigkeitsverhältnisse sind jedoch nicht methodisch gesichert zu bestimmen. Um diesem Befund Rechnung zu tragen und eine teleologisch wirkende Reihung der Texte von Vornherein zu verhindern, beginne ich mit dem (aller Wahrscheinlichkeit nach) jüngsten Vertreter – dessen Held einen Papageien erwirbt, auf die zugehörige(n) Dame(n) jedoch dankend verzichtet. Der sog. „Conte du Papegau“ ist ein spätmittelalterlicher französischer Prosaroman, der überwiegend an das Ende des 14. oder an den Beginn des 15. Jahrhunderts datiert wird. Eine Handschrift des späten 15. Jahrhunderts überliefert ihn anonym und unikal.

Nachgefragt bei Prof. Dr. Andreas Hammer, Prof. Dr. Wilhelm Heizmann und Prof. Dr. Norbert Kössinger 31.03.2022
„Magie ist, ähnlich wie im Märchen, ein selbstverständlicher Teil der Erzählwelt“
Zaubertränke, Tarnmäntel, magische Ringe, Runen, Talismane sowie Totenzauber, Orakelspruch, und Teufelspakt: dabei denken die meisten wohl zuerst an „Harry Potter“ oder den „Herrn der Ringe“. Im Mittelalter aber waren magische Handlungen allgegenwärtig: es kursierten Anleitungen und Handbücher für Zaubersprüche und die Kirche hatte ihre liebe Not damit, christliche Wunder von schwarzer Magie abzugrenzen. Den Stellenwert magischer Handlungen innerhalb literarischer Texte des europäischen Mittelalters und der Frühen Neuzeit nimmt nun erstmals ein neuer Sammelband in den Blick. Der Band „Magie und Literatur. Erzählkulturelle Funktionalisierung magischer Praktiken in Mittelalter und Früher Neuzeit“ stellt dabei unterschiedliche kulturelle Kontexte sowie literarische Gattungen vergleichend einander gegenüber. Wir haben mit den Herausgebern Prof. Dr. Andreas Hammer, Prof. Dr. Wilhelm Heizmann und Prof. Dr. Norbert Kössinger gesprochen. mehr …

Die Handlung entwickelt sich entlang der premieres aventures qui avindrent au bon roy Artus quant il porta coronne premierement (CdP §1, 74, 2f.; ‚ersten Abenteuer, die auf den guten König Artus, als er ganz frisch die Krone trug, zukamen‘) zu einer Jugendgeschichte des königlichen Protagonisten, der seinen Hof in Camellot zugunsten erster Heldentaten verlässt: Er befreit über ein Jahr hinweg – der Roman beginnt während eines Pfingstfestes und endet mit der Ausrichtung des nächsten – mehrere in Bedrängnis geratene adelige Damen, sichert deren Rechts- und Herrschaftsansprüche und erwirbt dabei Trophäen, die er schließlich als Beweiszeichen seiner ritterlich-heroischen Kompetenz an seinem Hof vorzeigen kann.
Zu (wenn auch überschaubarer) Bekanntheit in der Forschung hat es der „Conte du Papegau“ allerdings nicht aufgrund der in ihm erzählten Geschichte gebracht, sondern aufgrund seiner intertextuellen Konzeption, die evtl. sogar (volks-)sprachenübergreifend angesetzt werden muss: Sein unbekannter Autor gibt sich nicht nur einem „spielerischen Umgang mit Versatzstücken aus der gesamten [französischen] Artusliteratur“ (B. Burrichter) hin, sondern verwendet (v. a. in der zweiten Befreiungshandlung) außerdem Motive und Muster, die große Ähnlichkeiten mit zwei hochmittelalterlichen deutschen Texten, mit Wirnts von Grafenberg „Wigalois“ und mit dem „Eckenlied“, aufweisen. Damit ist der „Conte du Papegau“ ein Paradebeispiel jener literaturgeschichtlich „späte[n] Texte, bei denen literarische Verfügbarkeit und virtuoses intertextuelles Spiel über Gattungsgrenzen hinweg im Zentrum der poetischen Praxis steht.“ (St. Fuchs-Jolie)
Eine derartige „réécriture“ arthurischen Erzählens (und dabei insbesondere desjenigen Chrétiens de Troyes) zeichnet bereits die Schilderung des ersten Abenteuers des jungen Protagonisten aus, das – in seiner Verbindung mit der sich anschließenden Feenepisode – im Zentrum meiner Überlegungen zum „Conte du Papegau“ steht. Es handelt sich dabei um einen Sperberpreis – der auf den Papagei gekommen ist.

Sind Sie neugierig, wie es weitergeht? Dann lesen Sie gern weiter in unserem Band Magie und Literatur. Erzählkulturelle Funktionalisierungen magischer Praktiken in Mittelalter und Früher Neuzeit.

Die Herausgeber
Norbert Kössinger, Professor für Ältere deutsche Literatur und Kultur an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, forscht zu medien- und überlieferungsgeschichtlichen Fragestellungen sowie zum Verhältnis von Religion und Literatur.
Wilhelm Heizmann studierte Deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters, Alte Geschichte, Mittlere Geschichte, Völkerkunde, Nordische Philologie und Germanische Altertumskunde an den Universitäten München, Wien, Oxford und Kopenhagen. Er lehrt als Professor am Institut für Nordische Philologie der Universität München, ist Honorarprofessor der Universität Göttingen und Korrespondierendes Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften. Zu seinen Forschungs- und Arbeitsgebieten gehören Altnordische Mythologie und Religion, Altnordische Literatur, Runologie, medizinisch-botanische Fachliteratur, spätantike und mittelalterliche Bildüberlieferung, Brüder-Grimm.
Andreas Hammer studierte Germanistik und Geographie in Augsburg und München und ist Hochschuldozent für Deutsche Literatur und Sprache des Mittelalters an der Universität Konstanz. Seine Forschungsgebiete liegen in der mittelalterlichen Hagiographie, dem Verhältnis von Mythos und Erzählung und der Medien- und Überlieferungsgeschichte des Mittelalters.

Magie und Literatur. Erzählkulturelle Funktionalisierung magischer Praktiken in Mittelalter und Früher Neuzeit
Herausgegeben von: Prof. Dr. Andreas Hammer, Prof. Dr. Wilhelm Heizmann, Prof. Dr. Norbert Kössinger

Magie und magisches Denken besitzen für mittelalterliche Gesellschaften einen herausragenden Stellenwert, wie die historische Forschung eindrücklich herausgearbeitet hat. Der vorliegende Band nähert sich dem Faszinationsbereich aus einer dezidiert literaturwissenschaftlichen Perspektive und nimmt das Phänomen in Fallstudien vom Mittelalter bis zur Renaissance in den Blick. Methodisch grundlegender Ausgangspunkt ist der Gedanke, dass literarische Texte einen spezifischen Zugang zu Zauber und Magie bieten, da sie magische Praktiken jenseits ihres realen Geltungsanspruches verhandeln können. Dieser Ansatz ermöglicht eine vergleichende Perspektive auf unterschiedliche kulturelle und narrative Kontexte mit ihren je eigenen Genres, medialen Vermittlungsformen und differierenden Erzählkonzeptionen. Die Beiträge aus Germanistik, Skandinavistik, Romanistik, Anglistik, Keltologie und Finnougristik reflektieren das Verhältnis von Magie und Literatur in den je spezifischen Erzählkonstellationen, kulturellen Hintergründen und narrativen Figurationen.

Programmbereich: Germanistik und Komparatistik