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Eine Schwurhand mit gestreckten Schwurfingern. (Foto: https://de.wikisource.org/wiki/Ein_schöne_Außegung_deß_Eyd-Schwurs)
Auszug aus: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte

Von Rädelsführer bis Rechtssoziologie

ESV-Redaktion Philologie
23.05.2022
Die 29. Lieferung des „Handwörterbuchs zur deutschen Rechtsgeschichte“ ist soeben erschienen. Die Lieferung hält Beiträge zu mehreren Dutzend rechtsgeschichtlich relevanten Stichwörtern zwischen „Rädelsführer“ und „Rechtssoziologie“ bereit. Einiges glaubt auch der Laie zu kennen – oder hat zumindest eine Vorstellung davon, was gemeint sein könnte, wenn man von „objektivem Recht“ spricht. Anderes hingegen erweckt sogenannte ‘Aha’-Effekte beim Lesen:
Wussten Sie, dass rechtlich gesehen die rechte Hand wertvoller ist, da sie Schwurhand ist? Und dass ab dem Spätmittelalter bei Meineid die zwei Schwurfinger der rechten Hand abgehackt wurden? Und was es, im übertragenen Sinne, bedeutet, wenn man morgens „wie gerädert“ aufsteht, wenn man schlecht geschlafen hat?

Ein paar Einblicke in die Beiträge zu „Rechts und links“ (von Prof. Dr. Heiner Lück) und „Rädern“ (von Prof. Dr. Andreas Deutsch) haben wir Ihnen im folgenden Ausschnitt zusammengestellt.

„Rädern
Das Rädern oder Radbrechen war eine vornehmlich in MA und FrühNZ verbreitete, besonders grausame Hinrichtungsmethode insbes. für Männer: Der Henker schleuderte wiederholt ein (mit einer scharfen Kante speziell präpariertes) Wagenrad auf den am Boden festgebundenen Verurteilten, um so nach und nach dessen Knochen und Eingeweide zu zermalmen. Art und Zahl der auszuführenden Radstöße (z.B. 4 oder 6) waren häufig im Gesetz oder Urteil festgesetzt. Die Hinrichtung konnte abgemildert werden, indem dem Verurteilten frühzeitig der Gnadenstoß versetzt wurde, etwa durch einen Genickbruch (sog. Rädern von oben). Umgekehrt konnte der Tod zur Strafschärfung hinausgezögert werden, indem der Scharfrichter zunächst nur Beine und Arme zerschlug und lebenswichtige Organe aussparte (sog. Rädern von unten). Bisweilen wurde sogar das Aussehen des Rades reglementiert; nach afries. Recht sollte es 9 oder 10 Speichen haben, einige holsteinische Urteile des 16. Jh. verlangten 12 Speichen. In späterer Zeit wurde der Delinquent auf scharfkantige hölzerne Rippen gelegt (sog. Krammen und Krippen), um dieWirkung der Radstöße zu erhöhen. Eine seltene Variante war das Zerstoßen der Glieder mit einer Metallstange oder einem Schlegel. Die Geräderten wurden anschließend an ein großes Wagenrad geflochten, das man an einem langen Pfahl aufsteckte, der gut sichtbar nahe der Richtstätte aufgestellt wurde. Bisweilen sollen Delinquenten zu diesem Zeitpunkt noch gelebt haben und erst ans Rad geflochten qualvoll verstorben sein. Regelmäßig verblieb der tote Körper am Rad, bis ihn die Vögel zernagt hatten. Da der Verurteilte infolge der Hinrichtung seine Ehre eingebüßt hatte, stand ihm eine Bestattung nicht zu. Öffentliche Strafvollstreckung und Ausstellung sollten der Abschreckung dienen und fungierten zugleich als Demonstration der Justiz- und Herrschaftsgewalt.
Obgleich verschiedene Hinrichtungsmethoden unter Verwendung eines Rades bereits in der Antike nachweisbar sind, auch die Legenden einiger spätantiker Heiliger (St. Katharina, St. Georg) von deren Räderung berichten, scheint die Strafe in der oben beschriebenen Form erst im MA aufgekommen zu sein. [...] Bis heute ist das Rädern in Redewendungen präsent: Manch einer fühlt sich wie gerädert, andere können nur radebrechen – eine längst verselbständigte (tote) Metapher für das Zerstückeln der Worte im Mund des Redners. [...].“

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„Rechts und links
I. Allgemeines
Rechts und links sind Richtungs- und Positionsangaben, die von einer Person ausgehen und in Korrelation mit einem Bezugspunkt verwendet werden. Zentral für die Bestimmung von Rechts und links als bipolares Orientierungs- und Ordnungsprinzip sind die zwei Hände als Teile des menschlichen Körpers. Von den beiden Händen hat in der Regel eine (ganz überwiegend die rechte) davon die größere Kraft und die besser ausgeprägte Fingerfertigkeit (Händigkeit). Die beiden Zuweisungen besitzen in der Rechts- und Kulturgeschichte mannigfache Bedeutungsinhalte
und funktionale Gebrauchsformen. Von fundamentaler kulturgeschichtl. Bedeutung ist die Schreibrichtung. Die in Europa verbreiteten Schriften sind rechtsläufig (von links nach rechts). Beispiele für Linksläufigkeit sind z.B. das Arabische und Hebräische. Im Sachsenspiegel ist die Schrift selbstverständlich rechtsläufig; die Bildzeilen der Bilderhandschriften weisen sowohl rechts- als auch linksläufige  Lese-/Betrachtungsrichtungen auf.
Ein besonderes natürliches Phänomen stellt seit jeher die Linkshändigkeit dar. Unabhängig vom Kulturkreis beträgt der Anteil der linkshändigen
Bevölkerung in der Welt ca. 3–23 % und in Deutschland ca. 10–15 %. Jahrhundertelang war Linkshändigkeit mit abwertenden abergläubischen Vorstellungen verbunden. Bis in die 1970er Jahre gab es in Deutschland organisierte  Umgewöhnungsmaßnahmen zugunsten der Rechtshändigkeit. Noch heute wird den Kindern mehrheitlich vermittelt, dass es sich bei der rechten Hand, um die „gute“ bzw. „schöne“ Hand handele. Die rechte Seite/Hand erscheint seit ältester Zeit in den meisten Kulturen als die angesehenere, kraftvollere (Waffenführung, handwerkliche Tätigkeiten u.a.), während die linke einer pejorativen Bewertung ausgesetzt ist. Der Handschlag (Begrüßung, Bekräftigung einer Einigung) wird in der Regel mit den rechten Händen der Beteiligten vollzogen.
Sprachlich/etymologisch korrespondiert „rechts“ in den meisten europ. Sprachen mit „Recht“, „rechtmäßig“, „rechtens“ (lat. rectus). Dem gegenüber steht im Deutschen „linken“ i.S.v. „täuschen“, „hintergehen“. [...].“

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Herausgegeben von: Prof. Dr. Albrecht Cordes, Prof. Dr. Hans-Peter Haferkamp, Prof. Dr. Bernd Kannowski, Prof. Dr. Heiner Lück, Prof. Dr. Heinrich de Wall und Prof. Dr. Dieter Werkmüller.
Philologische Beraterin: Prof. Dr. Christa Bertelsmeier-Kierst

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Programmbereich: Rechtsgeschichte