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BGH schafft mehr Klarheit bei der Kündigung wegen Eigenbedarfs (Foto: sebra/Fotolia.com)
Eigenbedarfskündigung bei Wohnraummiete

Was die aktuellen Urteile des BGH zur Eigenbedarfskündigung bedeuten

ESV-Redaktion Recht
04.06.2019
Eigenbedarfskündigungen der Vermieter können Härtefälle auf der Mieterseite entgegenstehen. Zur Frage, wie genau die Tatsachengerichte solche Fälle prüfen müssen, hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) vor kurzem in zwei Parallelverfahren geäußert.
Den Urteilen des VIII. Zivilsenats des BGH lagen Verfahren der Instanzgerichte in Berlin und Halle zugrunde. Dabei ging es zum einen um die Frage, was die Gerichte veranlassen und prüfen müssen, um zu klären, wann auf Vermieterseite überhaupt Eigenbedarf vorliegt. Gleiches gilt für die Fälle, in denen sich der Mieter auf einen Härtefall beruft, um der Kündigung entgegenzutreten.


Verfahren in Berlin

Im ersten Verfahren –  BGH VIII ZR 180/18 –  war der Kläger Eigentümer Vermieter einer 73 qm großen Dreizimmerwohnung in Berlin. Die 1937 geborene Beklagte zu 1) wohnte dort seit 1974 zusammen mit ihren beiden Söhnen. Der Kläger hatte die Wohnung bereits 2015 erworben, um diese selbst zu nutzen. Bisher lebt er mit seiner Ehefrau und zwei Kleinkindern in einer 57 qm großen Zweizimmerwohnung zur Miete.

Beklagte zu 1) – Umzug unzumutbar:  
Der Eigenbedarfskündigung des Klägers widersprach die Beklagte zu 1). Ihre Argumente: Ein Umzug sei ihr wegen ihres Alters, ihrer Verwurzelung in der Umgebung, aber auch  wegen der langen Mietdauer nicht mehr zuzumuten. Zudem leide sie an Demenz. Diese Krankheit könne sich durch den Umzug weiter verschlechtern. Einem ärztlichen Attest zufolge, das die beklagte Mieterin hierzu vorlegte, war zusätzlich zu entnehmen, dass die Demenz seit ca. 1-2 Jahren fortschreite. Deshalb wäre sie nur noch bedingt in der Lage, Neues zu lernen und sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden.

LG Berlin – Härtefall gegeben: 
Die Berufungsinstanz – das Landgericht Berlin – hat dem Räumungsantrag des Klägers nicht entsprochen. Zwar ist die Eigenbedarfskündigung diesem Richterspruch zufolge wirksam. Allerdings, so die Berliner Richter weiter, liege ein Härtefall vor. Somit wäre das Mietverhältnis nach § 574a Absatz 2 Satz 2 BGB auf unbestimmte Zeit fortzusetzen.   

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Verfahren in Halle

In dem Verfahren VIII ZR 167/17 mieteten die Beklagten eine Doppelhaushälfte. Im Jahr 2015 kündigten die Kläger das Mietverhältnis. Ihre Begründung: Die geschiedene Ehefrau des Klägers, die bisher in Bayern lebte, wollte in die Doppelhaushälfte einziehen, damit sie ihre Großmutter, die in der Nähe lebt, besser betreuen kann.

Beklagte – Eigenbedarf vorgeschoben:  
Die Beklagten meinten, dass der Eigenbedarf vorgeschoben wäre. In Wahrheit ginge es um Mietmängel der Wohnung. Zudem läge beim Beklagten zu 4) ein Härtefall vor. Dieser wäre in die Pflegestufe II eingruppiert. Er leide an Schizophrenie, Inkontinenz, Demenz und an einer Abwehrhaltung bei der Pflege. Darüber hinaus wäre er alkoholsüchtig und würde von seinem Bruder, der als Betreuer bestellt war, im häuslichen Bereich versorgt. Dem in der Berufungsinstanz vorgelegten ärztlichen Attest eines Psychiaters zufolge würde ein erzwungener Umzug dessen Gesundheitszustand erheblich verschlechtern.
 
Vorinstanzen – Eigenbedarfskündigung berechtigt: Die Vorinstanzen hielten die Eigenbedarfskündigung ohne Beweisaufnahme über den umstrittenen Eigenbedarf sowie über den vorgetragenen Härtefall für begründet.
 

BGH: Keine pauschale Bewertung der Sachverhalte

Der VIII. Zivilsenat des BGH hat beide Berufungsurteile aufgehoben und zurückverwiesen. Die wesentlichen Erwägungen des Senats:

  • Sachverhaltsaufklärung und Interessenabwägung: Die möglichen Grundrechtsbeeinträchtigungen sämtlicher Parteien  machen umfassende Sachverhaltsaufklärungen erforderlich. Erst auf dieser Grundlage könnten die Tatsacheninstanzen die Interessen der Prozessparteien besonders sorgfältig abwägen.
  • Keine typisierten Fallgruppen: Hierbei dürften keine allgemeinen Fallgruppen gebildet werden, in denen die Interessen einer Partei generell überwiegen, wie zum Beispiel ein bestimmtes Alter der Mieter. Vielmehr würden sich diese Merkmale je nach Persönlichkeit und Verfassung des Mieters unterschiedlich auswirken. Ohne konkrete Feststellungen zu den Folgen eines erzwungenen Wohnungswechsels sei keine Härte nach § 574 Absatz 1 Satz 1 BGB anzunehmen.
  • Sachverständigengutachten: Beim Fehlen eigener Sachkunde darf ein Tatsachengericht nicht oberflächlich annehmen, wie schwerwiegend zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen aufgrund eines Umzuges sein werden. Demnach ist schon dann ein Sachverständigengutachten einzuholen, wenn der Mieter eine drohende Verschlechterung seines Gesundheitszustandes durch ein ärztliches Attest belegt.

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Fehler im Berliner Verfahren

  • Eigeninteresse des Vermieters nur schematisch geringer bewertet: In dem Berliner Verfahren habe das Berufungsgericht zwar zu Recht die Wirksamkeit einer Eigenbedarfskündigung des Klägers angenommen. Das Gericht habe jedoch das Eigeninteresse des Klägers gegenüber dem Mieterinteresse nur schematisch geringer bewertet, weil die erworbene Wohnung bereits vermietet war.
  • Mangelhafte Aufklärung des Härtefalls: Zudem habe es die Härtefallabwägung ohne Aufklärung über drohende Verschlechterungen des Gesundheitszustandes der Beklagten zu 1) vorgenommen, so der Senat.


Verfahrensfehler in Halle

  • Kein Zeugenbeweis bei Frage des Eigenbedarfs: Hier hatte die Berufungsinstanz schon die Wirksamkeit der Eigenbedarfskündigung fehlerhaft bejaht. Das Instanzgericht folgte dem Schriftsatzvortrag der Kläger, ohne das Bestreiten der Beklagten zu bebachten oder gar den Zeugenbeweis zu erheben, den die Beklagten angeboten hatten.
  • Kein Sachverständigengutachten bei Prüfung des Härtefalls: Auch die Härtefallabwägung hätte die Berufungskammer nicht ohne sachverständige Hilfe über drohende Verschlechterungen des Gesundheitszustandes des Beklagten zu 4) vornehmen dürfen.
Quelle: PM des BGH vom 22.05.2019 zu den Urteilen vom selben Tag – AZ: VIII ZR 180/18 und VIII ZR 167/17


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  • Praktische Auswirkungen der „Mietpreisbremse“
  • Eigenbedarfskündigung
  • Betriebskostenabrechnungen
  • Minderung bei Umweltmängeln
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Ausblick: Die wichtigsten Konsequenzen für die Praxis

  • Mehr Beachtung des Parteivortrags: Die Gerichte sind gehalten, das Vorbringen der Parteien ernster zu nehmen. So ging die Berufungsinstanz in Halle ohne weiteres davon aus, dass beim Vermieter Eigenbedarf vorliegt. Und das, obwohl die Mieter den Eigenbedarf bestritten hatten und hierfür einen Zeugenbeweis anboten. Hier hätte die Berufungskammer den Zeugenbeweis erheben müssen.
  • Keine pauschalen Bewertungen: Die Instanzgerichte dürfen nicht mehr aufgrund typisiereter Annahmnen von einem Härtefall ausgehen. Das tyische Argument des Mieters, dass er sich wegen seines hohen Alters nicht mehr in einer neuen Umgebung zurechtfinden würde, reicht nicht aus. Mit anderen Worten: Nicht jeder, der zum Beispiel 80 Jahre alt ist, ist automatisch unfähig, sich neu oerientieren. Vielmehr muss der Mieter ganz konkret darlegen, warum gerade bei ihm – zum Beispiel wegen wegen seines hohen Alters und seiner Gebrechlichkeit – eine ernsthafte Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu befürchten ist.   
  • Rechtzeitige Beweisangebote und bessere Tatsachenermittlungen durch die Gerichte: Mieter tun gut daran, für die Tatsachen die einen Härtefall begründen sollen, rechtzeitig Beweis anzubieten. Und zwar durch einen substantiierten Vortrag, am besten untermauert durch ein ärztliches Attest. Einen solchen Vortrag wird die Tatsacheninstanz nun nicht mehr mit einer eigenen Wertung – das heißt nicht ohne Hilfe eines Sachverständigen – abschmettern können.
  • Klarer Tatsachenvortrag zum Eigenbedarf: Auch Vermieter sind gut beraten, die Voraussetzungen für den Eigenbedarf präzise und ggf. mit Beweisangeboten bereits in der Klageschrift vorzutragen. Bestreitet der Mieter den Eigenbedarf und ist der entsprechende Vortrag des Vermieters hierzu nicht ausreichend, läuft er Gefahr, später mit einem ergänzenden Vortrag hierzu nicht mehr gehört zu werden. Er kann also allein deswegen den Prozess verlieren.
(ESV/bp)

Programmbereich: Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht