
„Wenn man sich ein bisschen näher damit befasst, merkt man, wie spannend Syntax sein kann“
Lieber Herr Professor Kaiser, ertappen Sie sich manchmal auch dabei, ungrammatische Sätze zu benutzen?
Selbstverständlich! Wir alle gebrauchen solche Sätze immer wieder. Allerdings ist man sich dessen meist gar nicht bewusst. Nur als Linguist achtet man wahrscheinlich eher darauf. Dabei kann man zwischen unterschiedlichen Arten von ungrammatischen Sätzen und unterschiedlichen Graden von Ungrammatikalität unterscheiden.
Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels aus dem Deutschen erläutern, das ich in ähnlicher Weise auch in meinem Buch verwende. Nehmen wir den Satz ‚Ich weiß, dass Maria wird das Buch kaufen‘. Jede Sprecherin, jeder Sprecher des Deutschen weiß, dass so ein Satz nicht richtig ist und dass man einen solchen Satz normalerweise nicht sagen würde. Mit anderen Worten, der Satz ist ungrammatisch und zwar deshalb, weil im deutschen Nebensatz das flektierte Verb am Satzende stehen muss, was hier nicht der Fall ist. Dennoch kann es Situationen geben, in denen man so einen Satz äußert. Etwa wenn man unkonzentriert ist oder einen Gedankensprung macht und sozusagen vergisst, dass man eigentlich gerade dabei ist, einen Nebensatz zu äußern. So kann es durchaus passieren, dass man im Nebensatz in die Hauptsatzstellung „rutscht“ und den obigen Satz äußert – eventuell mit einer kurzen Sprechpause zwischen ‚dass‘ und ‚Maria‘: ‚Ich weiß, dass – Maria wird das Buch kaufen. Das hat sie unbedingt vor!‘
Etwas anders verhält es sich, wenn jemand einen Satz wie ‚Maria kauft das Buch, weil sie liebt Syntax‘ sagt. Hier steht das Verb des Nebensatzes ebenfalls nicht am Ende. Trotzdem wissen alle Sprecher des Deutschen, dass ein solcher Satz deutlich „weniger schlecht“ als der erste Satz ist, und sie können bestätigen, einen Satz mit dieser Verbstellung schon mal gehört zu haben. Wann und warum so ein Satz möglich ist, hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem von der Sprechsituation oder dem Medium, in dem der Satz verwendet wird. In einem formellen Kontext oder in einem geschriebenen Text würde man den Satz eher nicht verwenden, und zwar deshalb, weil die normgrammatischen Regeln des Deutschen einen solchen Satz als falsch oder „ungrammatisch“ klassifizieren. Im umgangssprachlichen Deutschen gebrauchen wir alle – ich eingeschlossen – jedoch solche Sätze und meist merken wir das gar nicht. Im sprachwissenschaftlichen Sinne werden sie daher auch nicht als ungrammatisch angesehen.
Auszug aus: Syntax des Französischen | 25.09.2020 |
„Es ist keineswegs immer einfach, die Gründe für die Ungrammatikalität eines Satzes zu benennen.“ | |
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„Die Grammatik und insbesondere die Syntax gehören wohl nicht zu den Gebieten, die sich bei Studierenden großer Beliebtheit erfreuen.“ So eröffnet unser Autor Georg A. Kaiser sein Buch zur Syntax des Französischen. Um den Studierenden aber den Einstieg in die Syntax zu erleichtern und um sie schließlich für diese sprachwissenschaftliche Teildisziplin einzunehmen und zu begeistern, hat er einen ganz wunderbaren Band geschrieben, der alle Facetten der Syntax aufzeigt, erklärt und somit erfassbar macht. mehr … |
Beim Stichwort „Syntax“ kommt ja nicht bei allen sofort Begeisterung auf, viele Studienanfänger wissen vielleicht gar nicht so genau, was sich hinter diesem Bereich der Sprachwissenschaft verbirgt. Können Sie uns „Syntax“ mit ein paar Worten erklären und schmackhaft machen?
In der Syntax geht es um die Wortstellungsregeln einer Sprache. Das mag auf den ersten Blick in der Tat wenig Begeisterung hervorrufen. Aber wenn man sich ein bisschen näher damit befasst, merkt man, wie spannend Syntax sein kann. Das lässt sich schön an den eben angesprochenen Nebensätzen mit ‚weil‘ illustrieren, über die in der germanistischen Linguistik viel diskutiert worden ist. Eine erste spannende Frage ist die, warum vor allem nur in diesen Nebensätzen das flektierte Verb nicht unbedingt am Satzende stehen muss.
Eine andere noch spannendere Frage ist die, woher das die Sprecher eigentlich wissen. In der Schule lernen wir, dass in allen (konjunktionalen) Nebensätzen das Verb am Satzende stehen muss. Warum ist es aber weitgehend gerade nur in Nebensätzen mit ‚weil‘ möglich, von dieser Regel abzuweichen, aber nicht in Nebensätzen mit ‚dass‘? Richtig spannend wird es dann, wenn wir uns einen Satz wie ‚Weil Maria liebt Syntax, kauft sie das Buch‘ ansehen. Auch hier steht das Verb im ‚weil‘-Nebensatz nicht am Satzende. Doch alle Sprecher des Deutschen wissen, dass das hier auf gar keinen Fall möglich ist und der Satz vollkommen ungrammatisch ist.
Aber woher wissen sie das? Und was sind die Gründe dafür, dass in einem Kontext die Abweichung von der Verbendstellung ausgeschlossen, in einem anderen jedoch möglich ist? Solche Fragen sind es, mit denen sich Linguisten beschäftigen und die Gegenstand der linguistischen Forschung sind. Die Ergebnisse dieser Forschung können unter anderem für diejenigen, die das Deutsche in der Schule unterrichten (werden) oder als Fremdsprache in der Erwachsenenbildung vermitteln (werden), wichtige Hilfestellungen für den Unterricht liefern. Oder sie können in die Weiterentwicklung von Übersetzungsprogrammen oder Sprachassistenten einfließen, um dort eine möglichst authentische Sprache erhalten.
Wie kam es dazu, dass Sie sich auf das Thema Syntax spezialisiert haben?
Das ist im Laufe meines Studiums (der Romanistik und der Germanistik) passiert. Dabei bin ich auf solche Fragen bezüglich meiner eigenen Muttersprache, dem Deutschen, aber auch bezüglich der von mir studierten romanischen Sprachen gestoßen und habe gemerkt, dass man sich wissenschaftlich damit beschäftigen kann.
Ein kleines Schlüsselerlebnis war für mich der Titel eines Aufsatzes der – leider früh verstorbenen – Tübinger Sprachwissenschaftlerin Brigitte Schlieben-Lange, auf den ich zufällig gestoßen bin, nämlich ‚Bairisch eh – halt – fẽi‘. Das heißt, das war ein Aufsatz, der nur diese drei Wörtchen – so genannte Abtönungspartikeln – zum Gegenstand hatte und untersucht hat, unter welchen Bedingungen und mit welchen Funktionen sie im Dialekt des Bairischen verwendet werden! Überlegen Sie einmal, wann und wie Sie solche Füllwörter, zu denen auch nicht-dialektale Wörter wie ‚bloß‘, ‚schon‘ oder ‚wohl‘ gehören, gebrauchen, und versuchen Sie das dann jemandem zu erklären, der Deutsch als Fremdsprache erwirbt!
Gibt es Besonderheiten in französischen Sätzen, die in anderen Sprachen nicht vorkommen?
Ja, durchaus. Ein Beispiel sind etwa die unbetonten Subjektpronomen, die es in der Form in keiner anderen romanischen Sprache gibt und auch in sehr vielen anderen Sprachen nicht. Sie sind ganz eng mit dem Verb verbunden und können daher nicht alleine oder vom Verb getrennt stehen. So kann etwa auf eine Frage wie ‚Qui achète le livre ?‘ (‚Wer kauft das Buch?‘) nicht mit dem unbetonten Pronomen ‚tu‘ (‚du‘) geantwortet werden, sondern es muss die betonte Pronomenform, nämlich ‚toi‘, gewählt werden. Wenn das Pronomen nach dem Verb erscheint, wie z. B. in einer Frage wie ‚Achètes-tu le livre ?’ (‚Kaufst du das Buch?‘) wird diese enge Verbundenheit mit dem Verb in der Schrift sogar durch einen Bindestrich gekennzeichnet. Eine weitere Besonderheit dieses Pronomens besteht darin, dass es auch dann verwendet werden muss, wenn das betonte Pronomen in einem Satz auftritt. Wenn ich hervorheben will, dass die von mir angesprochene Person das Buch kaufen soll, dann muss ich nicht nur das betonte Pronomen ‚toi‘ gebrauchen, sondern gleichzeitig auch das unbetonte Pronomen ‚tu‘ und damit sozusagen das betonte Pronomen verdoppeln: ‚Toi, tu achètes le livre‘ (wörtlich ‚Du, du kaufst das Buch‘). Mit anderen Worten, diese unbetonten Subjektpronomen üben ganz besondere Funktionen im Französischen aus, die die Subjektpronomen in anderen Sprachen nicht besitzen.
Wer sich mit Syntax im Rahmen eines Studiums beschäftigt, kommt früher oder später nicht an den Strukturbäumen vorbei, die die Struktur eines Satzes sichtbar machen und die einzelnen Elemente und ihre Bezüge zueinander benennen. Haben Sie einen Rat für Neulinge auf dem Gebiet, wie man sich dieses „Werkzeug“ zum Sichtbarmachen der Satzstruktur erarbeiten kann?
Ich denke, am besten ist es, wenn man mit ganz einfachen Sätzen, etwa mit einem Satz mit einer einfachen Subjekt-Verb-Objekt-Stellung, anfängt und ein bisschen übt. Dann entwickelt man schnell ein gewisses Gespür für solche Strukturbäume und erkennt, dass sie sehr hilfreich sind, um strukturelle Bezüge in einem Satz klarer zu erkennen. Strukturbäume sind hierfür auf jeden Fall besser geeignet als die sogenannte Klammerschreibweise, die häufig verwendet wird, weil sie platzsparender und typografisch weniger aufwendig ist. In meinem Buch werden hingegen vor allem Baumstrukturen gebraucht. Das mag auf den ersten Blick etwas abschreckend wirken, allerdings wird man schnell erkennen, dass die Struktur eines Satzes – besonders dann, wenn es sich um einen komplexen Satz handelt – wesentlich einprägsamer und leichter verständlich ist, wenn sie durch eine Baumstruktur anstatt durch eine Klammerschreibweise dargestellt wird.
Lieber Herr Kaiser, haben Sie vielen Dank für das Interview!
Zum Autor |
Dr. Georg A. Kaiser ist Professor für romanistische Sprachwissenschaft an der Universität Konstanz. Sein Forschungsschwerpunkt ist die (historische und moderne) Syntax der romanischen Sprachen und insbesondere des Französischen. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher wissenschaftlicher Bücher und Abhandlungen zu diesem Thema sowie Verfasser einer umfassenden Einführung in die romanische Sprachgeschichte. |
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Syntax des Französischen von Prof. Dr. Georg A. Kaiser Dieses speziell für Studierende konzipierte Buch bietet eine Einführung in Aufbau und Struktur des französischen Satzes. Es liefert zum einen eine umfassende Beschreibung aller zentralen Bereiche der Syntax des Französischen und trägt somit zur Erweiterung des Wissens über die französische Sprache bei. Zum anderen führt es in die sprachwissenschaftliche Beschäftigung mit der französischen Syntax ein, indem ausgewählte syntaktische Analysen vorgestellt und erläutert werden, und verhilft damit zu einem besseren Verständnis der komplexen Satzstruktur des Französischen. |
(vh/MD)
Programmbereich: Romanistik