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„Dann sollen sie eben Kuchen essen!“ (Foto: Uzhursky/Fotolia.com)
Ancien Régime

Willkür, Despotismus, Ungerechtigkeit, königliche und adelige Verschwendungssucht

ESV-Redaktion Philologie
14.08.2018
Vor der Revolution Ende des 18. Jahrhunderts lebte die Aristokratie in Frankreich in Saus und Braus, während es der Mehrheit der Bevölkerung am Nötigesten fehlte. „Dann sollen sie eben Kuchen essen!“ war die Antwort des „alten Staates“ auf den Hunger des Dritten Standes, der sich nach Missernten kein Brot mehr leisten konnte.
Ancien Régime ist die Bezeichnung für die Staatsform und die Gesellschaftsordnung des vorrevolutionären Frankreich, insbesondere in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Staatsform der absoluten, auf dem Gottesgnadentum beruhenden Monarchie, deren Anfänge auf Heinrich IV. zurückreichen und unter Ludwig XIV. ihre vollste Ausprägung erfuhr, verlieh dem König als Gesetzgeber, oberstem Exekutivorgan und oberstem Richter eine nach außen hin unbeschränkte Machtfülle. […]

Gesellschaft im Ancien Régime

Die Gesellschaft des Ancien Régime war ständisch gegliedert und beruhte auf den Privilegien von Geburt und Grundbesitz. Der etwa 150.000 Personen umfassende Klerus war wohl als Stand organisiert, bildete aber keine homogene soziale Gruppe. Die Mitglieder des hohen Klerus stammten überwiegend aus dem Hochadel, standen in ihrem prunkvollen Lebensstil diesem nicht nach und residierten vielfach bei Hof. Der niedere Klerus auf dem Land teilte hingegen oftmals die Armut der Bauern, sodass er sich weitgehend mit der Landbevölkerung solidarisieren und somit zum Mittler von Reformideen und zum Wortführer des Volkes werden konnte.

Nur die hohe Geistlichkeit bezog hohe kirchliche Einkünfte. Die wirtschaftliche Machtposition der Kirche beruhte einerseits auf den Erträgen aus ihrem enormen Grundbesitz, der im 18. Jahrhundert einen jährlichen Gewinn von etwa 100 Mio. Livres abwarf, andererseits auf der von den Bauern zu erbringenden Steuer, dem Zwanzigsten (vingtième), die 80 Mio. Livres abwarf. Demgegenüber war die Kirche von jeglicher Steuerleistung an den Staat befreit, sie leistete bloß freiwillige Gaben (dons gratuits), welche auf ihren alle fünf Jahre abgehaltenen Kirchenversammlungen festgelegt wurden.

Die Aristokratie

Obwohl politisch vom Königtum entmachtet, spielte in der französischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts die Aristokratie die führende Rolle. Sie besaß ein de facto-Monopol auf die hohen Ämter in der Verwaltung, der Armee, der Kirche (1789 waren alle 139 Bischöfe Adelige). Aber wie beim Klerus gab es auch innerhalb des Adels bedeutungsvolle Schattierungen. Dem alten Geburts- oder Schwertadel (noblesse d’épée) stand der aus der Bourgeoisie durch Ämterkauf oder wegen seiner Verdienste aufgestiegene Amtsadel gegenüber (noblesse de robe, robins); beide Gruppen verschmolzen im Verlauf des 18. Jahrhunderts weitgehend.

Nach dem gesellschaftlichen Einfluss und dem Vermögen unterschied sich der am Versailler Hof eingeführte Hofadel, für den „Grundrente und Königsgunst die Haupteinnahmequelle“ (Furet / Richet) bildeten und dessen prunkvolle Lebensführung seinen finanziellen Ruin bewirken sollte, vom Landadel in der Provinz, der von den relativ geringen Erträgen seiner nicht sehr großen Ländereien lebte. Angesichts der mehr als angespannten finanziellen Situation, in der sich der Adel befand, erscheint es verständlich, dass er gemeinsam mit dem Klerus vehement für die Aufrechterhaltung des status quo, für die Erhaltung seiner Privilegien eintrat, welche ihm Steuerbefreiung sowie feudalrechtliche Abgaben der Bauern sicherten.

Der sozial ungeheuer vielschichtige, äußerst heterogene Dritte Stand schließlich umfasste den Rest der Bevölkerung, d. h. etwa 96 % einer Gesamtbevölkerung von 26 Mio. Menschen. Dominiert wurde der Tiers Etat vom Bürgertum, welches zum eigentlichen Träger der Revolution werden sollte. […]

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Lohnabhängige und Bauern

Besonders litten aber unter dem System des Ancien Régime die eigentlichen Volksmassen, die Lohnabhängigen, denen ein Klassenbewusstsein allerdings noch fehlte und die nur durch ihren Hass auf die Aristokratie und die Reichen einen Zusammenhalt fanden, der sie dann zur Unterstützung der Bourgeoisie bei der Zerschlagung des Ancien Régime treiben sollte.

Das Elend der Lohnabhängigen hatte sein Pendant in der Not der Bauern. Frankreich besaß im 18. Jahrhundert noch eine ausgeprägte Agrarstruktur, 75 % der französischen Bevölkerung lebten auf dem Land, der „Alltag des Ancien Régime ist das Leben der Bauern“ (Furet / Richet). Die Bauern litten am meisten unter dem immer noch herrschenden Feudalsystem und unter den grundherrlichen Rechten des Adels. […]

Ein feudalaristokratisches System

Resümierend lässt sich das Ancien Régime als feudalaristokratisches System charakterisieren, in dem die privilegierten Stände auf die Sicherung ihres Besitzstandes aus waren, während der Dritte Stand nach Veränderung strebte, die Bauernschaft wegen der unerträglichen Belastungen, die Bourgeoisie, um den ihr zustehenden, bisher vorenthaltenen gesellschaftlichen Rang einzunehmen und an der bislang ebenso verweigerten politischen Willensbildung teilzuhaben. Für die Revolutionäre von 1789 war das Ancien Régime im Rückblick eine mit dem Odium von Willkür, Despotismus, Ungerechtigkeit, königlicher und adeliger Verschwendungssucht, verfehlter Finanzpolitik, die bis zum Teilstaatsbankrott geführt hat, behaftete Staatsform, in welcher das Königtum sich als unfähig erwiesen hatte, notwendige Reformen einzuleiten und zu verwirklichen.

Frankreich-Lexikon

Von Bernhard Schmidt, Jürgen Doll, Walther Fekl, Siegfried Loewe und Fritz Taubert

In über 600 ausführlichen Artikeln wird ein breites Spektrum an Fakten und Hintergrundinformationen zu Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur Frankreichs vermittelt. Im Vordergrund stehen dabei aktuelle Fragen, doch wird auch jeweils der historische Kontext umfassend berücksichtigt. Umfangreiches Karten- und Tabellenmaterial sowie systematische bibliographische und Internet-Angaben runden diese Informationen ab.




(ESV/lp)

Programmbereich: Romanistik