Witt: „In Unternehmen wird oft impulsiv und emotional entschieden“
Peter Witt: Viele Menschen entscheiden sich für etwas oder wählen etwas, das sie gar nicht richtig verstanden haben. Sie entscheiden intuitiv und emotional. Der Brexit ist da das beste Beispiel. Die möglichen Folgen des Brexit für die Menschen in Großbritannien sind selbst für Fachleute nicht verlässlich prognostizierbar. Die vorab veröffentlichten Versprechen und Prognosen waren daher sehr widersprüchlich, die meisten waren einfach unglaubwürdig.
Bei Landtagswahlen ist es ähnlich. Die Wahlentscheidungen der Bürger werden stark von aktuellen Vorkommnissen auf Bundesebene und vom Verhalten einzelner Politiker beeinflusst, obwohl es doch eigentlich um die langfristigen Parteiprogramme für das betreffende Bundesland gehen müsste. Auch hier weiß jeder Wähler bzw. jede Wählerin, dass ein Teil der Versprechungen nach der Wahl sowieso nicht erfüllt werden wird. Nur welcher Teil das sein wird, das weiß vorab niemand ganz genau.
„Klassisches Instrumentarium der Betriebswirtschaftslehre immer weniger wert“
Mich persönlich interessiert die Frage, warum Menschen tatsächlich so handeln und entscheiden, wie wir es tagtäglich beobachten können. Mich interessiert auch, wie wir alle besser mit Unsicherheit und Risiko umgehen können. Das gilt für unser Privatleben, aber insbesondere auch für die unternehmerische Praxis. Ich habe in meinen zahllosen Gesprächen mit Führungskräften erlebt, wie verunsichert viele Manager sind. Die Dynamik des technologischen Wandels nimmt spürbar zu. Valide Prognosen über zukünftige Marktentwicklungen werden immer schwerer. Damit wird auch das ganze klassische Instrumentarium der Betriebswirtschaftslehre immer weniger wert. Wozu soll ein Unternehmen noch den Kapitalwert einer Investition berechnen, wenn die meisten Parameter in diesem Kapitalwertmodell gar nicht mehr sinnvoll prognostiziert werden können? Und wie sollen Vorstandsmitglieder ihre Entscheidungen gegenüber einem Aufsichtsrat oder gegenüber einer Eigentümerversammlung rechtfertigen, wenn sie eigentlich eine reine Bauchentscheidung getroffen haben?Unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen – u.a. Psychologie, Neurobiologie und Wirtschaftswissenschaften - haben in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht bei der Erklärung von einzelnen Aspekten menschlicher Entscheidungen. Worin liegt dieses gesteigerte Interesse der Forschung begründet, was gab hierfür den Ausschlag?
Peter Witt: Ja, das stimmt. Die wissenschaftliche Forschung zur menschlichen Entscheidungsfindung hat enorme Fortschritte gemacht. Das gilt insbesondere für die Psychologie und die Medizin, aber in jüngerer Zeit auch für die Wirtschaftswissenschaften. Ausschlaggebend waren dafür mehrere Dinge. Zum einen sind die bildgebenden Verfahren der Diagnostik so gut geworden, dass wir den Menschen beim Entscheiden buchstäblich in den Kopf sehen können. Wir können beobachten, welche Hirnareale bei welcher Art von Entscheidung aktiv sind. Zum anderen sind experimentelle Studien des menschlichen Verhaltens stark verbessert worden. Wir können heute tatsächliche Entscheidungen nicht mehr nur in Laboren, sondern auch in einem halbwegs natürlichen Umfeld analysieren. Schließlich hat es mehrere Nobelpreise in Ökonomie für verhaltenswissenschaftliche Forschungen gegeben, was das Interesse junger Forscherinnen und Forscher an entsprechenden Themen natürlich stark steigert.
Zur Person |
Peter Witt studierte VWL an der Universität Bonn und promovierte 1996 mit einer Arbeit zur „Planung betrieblicher Transformationsprozesse“. Nach der Habilitation an der Humboldt-Universität zu Berlin im Juli 2002 zum Thema „Corporate Governance-Systeme im Wettbewerb“, übernahm er im August 2002 den Lehrstuhl für Unternehmertum und Existenzgründung an der WHU Vallendar. Zum 01. Oktober 2006 wechselte Witt an die Technische Universität Dortmund auf den Lehrstuhl für Innovations- und Gründungsmanagement. Seit November 2010 ist er an der Bergischen Universität Wuppertal Inhaber des Lehrstuhls für Technologie- und Innovationsmanagement. |
Das ist der wissenschaftliche Ansatz. Gab es darüber hinaus noch weitere Gründe, sich mit dem Thema menschliche Entscheidungen zu befassen?
Peter Witt: Ja, dann gibt es aus meiner Sicht noch einen weiteren Grund für das stark gestiegene Interesse an den tatsächlichen Treibern menschlicher Entscheidungen. Das sind die vielen offensichtlichen Fehlentscheidungen. Über den Brexit haben wir schon gesprochen. Niemand versteht, wie ein Land kollektiv eine solch verheerende Fehlentscheidung treffen konnte. Für Wahlen gilt dasselbe. Viele fragen sich, wie Donald Trump es schaffen konnte, Präsident der USA zu werden. Bei den Entscheidungen von Managern geht es vor allem um den Kauf anderer Unternehmen, also um Mergers and Acquisitions (M&A).
„Unternehmenskäufe sind nur selten erfolgreich“
Alle empirischen Befunde zeigen eindeutig, dass solche Unternehmenskäufe nur selten erfolgreich sind. Ich habe mich immer gefragt, warum sie trotzdem so häufig stattfinden. Hier besteht ein großes Forschungsinteresse, das tatsächliche Entscheidungsverhalten von Managerinnen und Managern besser zu verstehen, sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis.Lesen Sie die Fortsetzung des Interviews auf ConsultingBay.
Prof. Peter Witt über sein eigenes Entscheidungsverhalten und über seine Entscheidung, das Buch „Besser entscheiden in schwierigen Situationen ” zu schreiben |
„Ich habe für mich selber gelernt, immer auch auf meine Intuition und mein Bauchgefühl zu hören, wenn ich etwas Wichtiges entscheiden muss. Und deshalb bereue ich auch nachträglich keine Entscheidungen. Nachher ist man immer klüger. Aber wir müssen ja im Hier und Jetzt entscheiden. Aus meiner Sicht gibt es deshalb gar keine richtigen oder falschen Entscheidungen, es gibt immer nur Entscheidungen. Und jede Entscheidung ist besser als keine Entscheidung. Insofern bin ich zum Beispiel froh, dass ich mich entschieden habe, dieses Buch zu schreiben. Und ich bin froh, dass es jetzt beim Erich Schmidt Verlag erscheint. Ich hoffe, dass das Buch ein Erfolg wird, aber das weiß ich natürlich jetzt noch nicht. Trotzdem wird die Entscheidung, Zeit in das Schreiben eines Buches zu meinem Lieblingsthema zu investieren, auch im Nachhinein immer richtig gewesen sein.” |
(ESV/uw, mp)
Programmbereich: Management und Wirtschaft