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BGH: Rechtsanwälte müssen beim Scheitern eines Fax-Versandes nicht ohne Weiteres auf die Übertragung ihrer Schriftsätze per beA wechseln (Foto: piyaphunjun / stock.adobe.com)
Anwaltliche Sorgfaltspflichten

BGH: Rechtsanwälte müssen bei Faxstörung nicht das beA nutzen

ESV-Redaktion Recht
08.06.2020
Welche Rolle spielt das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) bei fristwahrenden Schriftsätzen? Nach einem kürzlich veröffentlichten BGH-Beschluss ist die Nutzung des Postfachs auch bei einer Faxstörung noch nicht zwingend. Doch Vorsicht: Für die Arbeitsgerichte gelten zum Teil andere Grundsätze, so das LArbG Kiel.
In dem Streitfall, den der BGH entschieden hat, stellte ein Patentanwalt kurz vor Fristablauf fest, dass die Übermittlung seiner Berufungsbegründung per Fax wegen technischen Problemen scheitern wird. Dem X. Zivilsenat des BGH zufolge musste der Patentanwalt aber keinen Rechtsanwalt aufsuchen, der seinen Schriftsatz für ihn über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) versenden kann.

Der Patentanwalt hatte versucht, am Tag eines Fristablaufs ab 22:40 Uhr einen Schriftsatz an den Senat zu faxen. Der Sendevorgang begann um 22.59 Uhr. Um 23:30 Uhr bemerkte er, dass der Versand nicht erfolgreich abgeschlossen war. Daher suchte er einen Internetdienst zum Faxversand und startete hierüber um 23:54 Uhr einen zweiten Sendevorgang. Vor Fristablauf waren aber nur 35 Seiten seines 39 Seiten umfassenden Schriftsatzes bei Gericht eingegangen. Die letzten vier Seiten gingen erst nach null Uhr dort ein. Diese enthielten auch die Unterschrift des Patentanwalts. Damit wäre der Schriftsatz also verfristet gewesen. Dennoch gewährten die Karlsruher Richter dem Patentanwalt wegen einer Störung am Empfängerfax die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

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BGH: Patentanwälte müssen beA nicht nutzen

Dieses verwundert nicht, da der BGH vorweggeschickt hat, dass ein Patentanwalt gar kein beA unterhalten muss. Nach § 31a Absatz 1 Satz 1 BRAO wird das besondere elektronische Anwaltsverzeichnis nur für Mitglieder der Rechtsanwaltskammern eingerichtet, die in das Gesamtverzeichnis eingetragen wurden. Dies betrifft nach § 31 Absatz 1 BRAO aber nur Rechtsanwälte. Patentanwälte gehören nicht dazu.


Die Prinzipen zur Faxnutzung für klassische Anwälte

Dennoch hat diese BGH-Entscheidung viel Beachtung gefunden. Der X. Zivilsenat hat nämlich in einem obiter dictum die folgenden Prinzipien zur Nutzung von Fax und beA umschrieben, die für Rechtsanwälte gelten:

  • Volle Ausnutzung der Fristen: Rechtsanwälte dürfen die gesetzlich eingeräumten prozessualen Fristen bis zu ihrer Grenze ausnutzen.
  • Übertragungszeit pro Seite: Für die Übertragung einer Seite sind etwa 30 Sekunden anzusetzen. Das wären bei einem Schriftsatz von 39 Seiten rund 20 Minuten.
  • Sicherheitszuschlag: Hinzu kommt ein Sicherheitszuschlag von etwa 20 Minuten, weil das Ziel-Faxgerät besetzt sein könnte. Die für den Faxversand zur Verfügung stehende Zeit von gut einer Stunde – vom Start des ersten Sendeversuches um 22.59 Uhr bis null Uhr – war also ausreichend. 
  • Keine Änderung der Übermittlungsart: Auch beim Scheitern der Versendung per Fax muss der Anwalt nicht ohne Weiteres die Übermittlungsart ändern. Dem Senat zufolge kann von einem Prozessbevollmächtigten, der seine organisatorischen Vorkehrungen auf die Übertragung per Fax eingerichtet hat, nicht verlangt werden, unter allen denkbaren Anstrengungen innerhalb kürzester Zeit auf die Übertragung per beA zu wechseln. Die dem Prozessbevollmächtigten nach § 233 Satz 1 ZPO obliegende Sorgfaltspflicht dürfe nicht überspannt werden, so der X. Zivilsenat des BGH. Aufgrund der relativ hohen Störungsanfälligkeit hat der Senat auch erhebliche Zweifel, ob dieses Medium zuverlässiger ist als ein Telefax. Insoweit verwiesen die Karlsruher Richter die Internetseite der BRAK für März 2020. Dort sind insgesamt zwölf Störungsmeldungen veröffentlicht. Hiervon entfallen vier auf Wartungsarbeiten und acht auf unbekannte Anmeldeprobleme.
Ebenso wie der BGH entschied das LG Mannheim laut Beschluss vom 17.1.2020 – 1 S 71/19. Anderer Ansicht sind das OLG Dresden laut Beschluss vom 29.7.2019 – 4 U 879/19 und das LG Krefeld laut Beschluss vom 10.9.2019 – 2 S 14/19. Danach müssen Rechtsanwälte beim Scheitern der Faxübertragung schon jetzt das beA nutzen.

Auch wenn die BGH-Entscheidung die Anwaltschaft im Moment zu entlasten scheint. Die aktive Nutzungspflicht des beA nach § 130d ZPO tritt in Zivilsachen – abhängig vom jeweiligen Bundesland – spätestens am 1.1.2022 in Kraft.


Aber – LArbG Kiel: Berufungseinlegung ausschließlich per Fax unwirksam

In Schleswig-Holstein gilt die aktive Nutzungspflicht des beA innerhalb der Arbeitsgerichtsbarkeit bereits seit dem 1.1.2020 – und zwar nach Auffassung des LArbG Kiel für alle Instanzen. Wie die Kieler Richter hervorhoben, reicht es nicht aus, fristwahrende Schriftsätze ausschließlich per Fax einzureichen.

Die Nutzungspflicht des beA ergibt sich dem LArbG zufolge aus § 46g ArbGG. Der Landesgesetzgeber hat diese Norm per Landesverordnung (LVO) vorzeitig eingeführt. Ermächtigungsgrundlage für die Verordnung ist Art. 24 Absatz 2 in Verbindung mit Art. 26 Absatz 7 des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 (BGBl. I S. 3786).
 
Nutzung des beA soll für alle Instanzen gelten

Die Richter aus Kiel meinen, dass § 46g ArbGG auch in der zweiten Instanz gilt. Zwar findet sich die Regelung im Gesetzesabschnitt für den ersten Rechtszug. Auch ist § 64 Absatz 7 ArbGG nicht erwähnt. Dennoch entspricht nach Auffassung der Kieler Arbeitsrichter die Geltung für alle Instanzen dem Willen des Gesetzgebers. Diesem wäre lediglich ein Redaktionsversehen unterlaufen. Dem Gesetzgebungsverfahren sei zu entnehmen, dass die Nutzungsverpflichtung die gesamte Arbeitsgerichtsbarkeit und nicht nur die einzelnen Instanzen betreffen soll, so das LArbG.

In dem Streitfall hatte eine Partei über ihren Prozessbevollmächtigten, der in Niedersachsen ansässig war, den Berufungsschriftsatz zum LArbG Kiel innerhalb der Berufungsfrist nur per Telefax eingereicht – nicht aber über den elektronischen Rechtsverkehr. Damit hielten die Kieler Richter die Berufung für unzulässig und gewährten der betreffenden Partei auch keine Wiedereinsetzung. Wie das LArbG weiter mitteilt, hat es die Revisionsbeschwerde aber wegen der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen.
 
Im Wortlaut: § 46g ArbGG
1 Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind als elektronisches Dokument zu übermitteln. 2 Gleiches gilt für die nach diesem Gesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 46c Absatz 4 Nummer 2 zur Verfügung steht. Ist eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. 4 Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen.

Quellen

  • PM des ArbG Kiel vom 5.6.2020 zum Beschluss vom 25.3.2020 – 6 Sa 102/20

ZPO

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  • Neuer Anhang: Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV)
  • Bereits beschlossene Gesetzesänderungen zum 1.1.2022
  • Artikel 11 Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.7.2017
  • Artikel 1 Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013
  • Gesetz zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften vom 12.12.2019
  • Kommentierung der Normen der Musterfeststellungsklage
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